Title: Meister Eckart
Eine theologische Studie
Author: Hans Lassen Martensen
Release date: November 9, 2025 [eBook #77203]
Language: German
Original publication: Hamburg: Friedrich Perthes, 1842
Credits: Richard Illner and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images made available by The Austrian National Library)
Anmerkungen zur Transkription.
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.
Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes versetzt worden; die Verlagswerbung am Ende des Textes zusammengefügt.
Worte in Antiqua sind "kursiv" dargestellt.
Eine theologische Studie
von
Dr. H. Martensen,
Professor der Theologie an der Universität zu Copenhagen.
Hamburg,
bei Friedrich Perthes.
1842.
| Seite. | |
| Einleitung | 1 |
| Meister Eckart's Predigt | 17 |
| Das mystische Bewußtseyn, dargestellt nach Meister Eckart, Dr. Tauler, Suso und dem Verfasser der »deutschen Theologie | 31 |
| I. Das Mysterium | 32 |
| II. Die Offenbarung | 61 |
| III. Das höchste Gut und die Tugend | 99 |
| Andeutung des Verhältnisses der Mystik zur Theosophie Jacob Böhme's | 118 |
| Anhang | 124 |
Das anziehende Studium der deutschen Mystik veranlaßte den Verfasser vorliegender kleinen Schrift schon früher zu einer in dänischer Sprache geschriebenen Abhandlung über diesen Gegenstand. Er wünschte die Aufmerksamkeit seiner Landsleute, denen die deutsche Philosophie und Theologie der Gegenwart nicht fremd ist, auf jene denkwürdigen Anfänge des religiös-speculativen Geistes hinzuleiten. Sowohl äußere Anregung, wie die Hoffnung auch deutschen Lesern vielleicht einiges nicht Unwillkommene mittheilen zu können, hat den gegenwärtigen Versuch hervorgerufen. Der deutschen Litteratur dankbar zurückgebend, was er von ihr empfangen, wünscht der Verfasser, daß die hier dargelegte Auffassung der Mystik der Theilnahme der Sachverständigen nicht unwürdig gefunden werden möge. Wegen Incorrectheiten der Sprache und Mangelhaftigkeit des Ausdrucks bittet der Fremde um wohlwollende Nachsicht.
Copenhagen, im Januar 1842.
[S. 1]
Es gibt wenige Gegenstände, worüber so entgegengesetzte und doch so unbestimmte Urtheile ausgesprochen sind, wie über das Wesen der Mystik. Die Anschauung des achtzehnten Jahrhunderts verwies die Mystik in das Reich der Unvernunft und der Schwärmerei; dann kam eine Periode, wo man in der Mystik ein Heiliges ahnete, aber ein Heiliges als ein Unaussprechliches und Uebervernünftiges, dem das begreifende Denken sich ohne Profanation nicht nähern durfte. Das Unvernünftige und das Uebervernünftige sind die Kategorien, die sich hier feindlich gegenüber stehen, aber weder durch die eine noch die andere kommt man auf den wahren Grund der Sache, so daß man zu sagen wisse, was denn die Mystik eigentlich sey. Soll dieses überhaupt gesagt werden, soll die Mystik dem Gedanken offenbar werden, so muß sie aus ihrer eignen Kategorie oder ihrem Begriffe entwickelt werden; sie muß von der Wissenschaft zum Sprechen gebracht werden und, indem sie sich gründlich ausspricht, selbst ihr Geheimniß verrathen. Loquere, ut te videam! Der Geist der Mystik ist aber dem Geiste der Wissenschaft näher verwandt, als man es dem ersten Anscheine nach vielleicht denken möchte. Die christliche Mystik — und von dieser ist hier zunächst die Rede — ist nicht nur eine höchst merkwürdige Form der Frömmigkeit und des gottinnigen Lebens, ein eigenthümliches religiöses Gewächs, wurzelnd in Gemüths- und Herzenstiefen, sondern sie ist zugleich eine Form der speculativen Theologie. Weit entfernt, daß die Mystik ihrer innersten Natur nach der Vernunft entgegengesetzt wäre, gebührt ihr vielmehr eine bedeutende Stelle in der Geschichte der religiösen Speculation selbst.
[S. 2]
Es ist Zweck gegenwärtiger Abhandlung die Mystik, diese religiöse Speculation und speculative Religiosität, in einer ihrer Hauptformen darzustellen. Die deutsche Mystik des 14ten und 15ten Jahrhunderts ist sowohl in religiöser als in philosophischer Beziehung die reichste und vollendetste Form dieser Geistesrichtung. Sie ist die erste Gestalt, in welcher die deutsche Philosophie in der Geschichte auftritt, ihr erster, kühner Versuch den Gegensatz zwischen Glauben und Wissen aufzuheben und dem Geiste eine absolute Versöhnung und Befriedigung zu verschaffen. Das Licht der speculativen Idee leuchtet hier im frischen Morgenglanze, aber so wie es durch die Fensterscheiben des mittelalterlichen Klosters hineinstrahlen konnte. In der stillen Zelle wird der philosophische Gedanke herausgeboren aus den Tiefen des religiösen Gemüths, wird aber nicht zur freien Weltexistenz entlassen. Die Speculation ist noch Eins mit der Religion, sie sind zusammengewachsene Zwillinge, die eine ist unmittelbar die andere. Wenn wir in der Folge eine Darstellung dieser merkwürdigen Erscheinung versuchen, so geschieht dieses natürlich weder Lobes noch Tadels, sondern nur des Erkennens halber. Auch ist uns die Mystik kein bloßes historisches Object, denn was sich in jenen Geistern bewegte, gehört nicht zu den todten und vergangenen Dingen, sondern zu den ewigen und gegenwärtigen Geistesangelegenheiten, wie denn auch die Mystik die bedeutendsten Vergleichungspuncte mit der gegenwärtigen Philosophie und Theologie darbietet. Ich habe diese Abhandlung nach dem Meister Eckart benannt, nicht weil er ausschließlich ihr Gegenstand ist, sondern weil er im Kreise der deutschen Mystiker die hervorragendste Gestalt ist, der Meister der ganzen Schule, in dem die Mystik sich in ihrer kräftigsten Originalität darstellt, dessen anregender und begeistender Einfluß allenthalben bemerkbar ist. Meister Eckart ist der Patriarch der deutschen Speculation. Es war darum kein Wunder, daß Hegel, der doch nur einzelne Gedanken von ihm gekannt zu haben scheint, in so hohem Grade von diesen angezogen wurde.
Das Interesse und der Sinn für die Mystik ist in neuerer Zeit theils durch die Romantik, theils durch die Philosophie wiederbelebt worden. Die Romantiker erbauten sich an dem religiösen[S. 3] Blumenflor der Contemplation, der in der mondbeglänzten Zaubernacht des Mittelalters seinen Duft still verbreitete. Sie sogen ätherische Nahrung aus der mystischen Gemüthlichkeit und klösterlichen Innigkeit, die sie das eitle, weltliche Wesen der Gegenwart vergessen ließ. Sie fühlten sich hingezogen zu jenen stillen Seelen, denen der Geist Gottes sich offenbarte, nicht im Sturm oder Erdbeben, sondern in dem sanften Säuseln heiliger Gefühle. Die mystischen Sympathien sind oft von den Dichtern ausgesprochen und Tieck hat noch neulich den Tauler in eine Novelle eingeführt. Görres hat vom Standpuncte der Romantik eine Schilderung der Mystik geliefert in seiner Einleitung zur neuen Ausgabe des deutschen Mystikers Suso[1]. Mit großer historischer Kenntniß beschreibt er die Mystik, wie sie in ihren mannichfachen Verzweigungen sich durch's ganze Mittelalter zieht. Aber wie seine prachtvolle, poetische Darstellung alle Vorzüge besitzt, die sein Standpunct verleihen kann, so leidet sie auch an allen den Mängeln, die oft genug an diesem Standpuncte gerügt sind. Der Begriff verbirgt sich in der chaotischen Vorstellungsmasse, der Gedanke zerrinnt in der nebelhaften Gefühlsdämmerung. Görres steht im Dienste des Mittelalters, er ist selbst in den mystischen Zauberkreis hineingebannt, und es fehlt ihm daher die freie Besonnenheit des philosophischen Gedankens. Das speculative Element der Mystik wird nur oberflächlich aufgefaßt, während seine Betrachtung sich mit einseitiger Vorliebe nur an eine Seite des mystischen Bewußtseyns hält, nemlich dessen Naturseite. Ekstatische Zustände und Visionen, Gesichte und Offenbarungen bilden den Mittelpunct seiner Betrachtung, wie dies besonders aus seinem größeren Werke über die Mystik erhellt, welches eine große Legendensammlung mystischer Zustände ist. Ueberhaupt aber liegt es im Wesen jener Romantik die Mystik nur als eine unergründliche Erscheinung anzuschauen und das Speculative, das dem Begriffe Verwandte, nur ungründlich aufzufassen. Der Flug der himmlischen Psyche, der sich in räthselhaften Kreisen bewegt, läßt sich vom Begriffe nicht messen, der zarte Flügelstaub verträgt[S. 4] nicht die Berührung des Gedankens. Sie ist nur Gegenstand unaussprechlicher Liebe und Bewunderung. Verhielte es sich wirklich so, daß die mystische Schönheit es nicht ertragen könnte beim Lichte der Philosophie gesehen zu werden, dann wäre sie auch nur eine sterbliche Psyche und man müßte sich dann mit dem Gedanken trösten, daß, ob auch das Vergängliche im Feuer des Denkens verbrannte, doch der bessere und unsterbliche Theil gerettet werde. Allein so verhält es sich nicht. Der Begriff steht der Endlichkeit nicht feindselig gegenüber, wenn diese eine individuelle Spiegelung des Gedankens ist. Er conservirt dann die ganze Individualität ohne Zersplitterung und Trennung, weil diese als solche eine eigenthümliche, unentbehrliche Form der Idee ist. Ist es überhaupt Ziel der Philosophie allen Geistern diejenige Unsterblichkeit zu verschaffen, die ihnen gebührt, so hat sie an der Einführung der Mystik in die Sphäre des ewigen Geistes noch ein besonderes Interesse, weil sie in der mystischen Psyche sich selbst als Kind erblickt. Schelling und Hegel haben der Mystik wieder gedacht und gefordert, daß die in einen schlechten Rationalismus hineingerathene Wissenschaft sich verjünge durch jenes unmittelbare, kindliche Schauen Gottes und der göttlichen Dinge. Wird die Mystik so als eine Station in der Entwickelungsgeschichte des philosophischen Geistes aufgefaßt, so muß die des 14ten und 15ten Jahrhunderts nothwendig als die bedeutendste Form erscheinen. Rosenkranz hat in seinem Aufsatze über die deutsche Mystik[2] diese erste Epoche der deutschen Philosophie kurz und treffend charakterisirt. Er nennt sie mystisch, weil sie die Erkenntniß der Wahrheit von ihrer unmittelbaren Anschauung abhängig macht. »Wird auch, was die Wahrheit sey, im Einzelnen von den Mystikern anders bestimmt, so sind sie doch in der Angabe des Weges zu ihrer Gewißheit zu gelangen einig. Es ist die praktische Entäußerung seiner selbst, welche die theoretische Freiheit vermittelt, und diese, die begreifende Erkenntniß, ist wesentlich ein Erkennen Gottes in dem Erkennenden durch Gott selbst.« Hiermit ist uns in formaler Beziehung[S. 5] ein orientirender Vorbegriff gegeben. Das mystische Schauen ist bedingt durch einen bestimmten Typus des religiösen Lebens.
Die Mystik existirt nicht in der Form eines philosophischen Systems, sondern spricht sich nur in Predigten und erbaulichen Abhandlungen aus. Es ist eine erbauliche Philosophie, religiöse Popularphilosophie in der edelsten Bedeutung des Worts. Es ist nicht die modern fromme Reflexion, welche die christlichen Vorstellungen verständig commentirt ohne deren tieferen Gehalt aussprechen zu können, sondern das Erbauliche enthält durchgängig in sich selber eine speculative Pointe. Der Vortrag ist reich an Kernsprüchen, die auf eine eben so naive als paradoxe Weise die Idee ausdrücken. Die Paradoxie — eine Form, die auch der Bibel nicht fremd ist — erscheint hier als unmittelbare Form des Speculativen, den Widerspruch der Wahrheit gegen das Alltagsbewußtseyn schlagend hervorhebend und durch eine göttliche Thorheit den Verstand von seiner falschen Weisheit befreiend. Es findet sich hier keine fortschreitende, wissenschaftliche Entwickelung; nicht selten bricht das Speculative hervor wie eine geistige Explosion, eine plötzliche Illumination der Seele, wodurch unerkannte Regionen erleuchtet werden. Da das Geistige mehr unter der Form der Involution, als der Evolution erscheint, hat die Betrachtung keine große Abwechselung. Es sind nur einzelne, substantielle Gedanken, die immer aufs neue in der Seele geboren werden; diese aber sind so intensiv und fruchtbar, daß sie sehr wohl als die elementarischen Anfänge — στοιχεῖα — eines philosophischen Systems betrachtet werden können.
Von der äußeren Geschichte dieser Mystiker weiß man nur Weniges. Ihr Leben war verborgen in Gott. Görres nennt Eckart eine nebelverhüllte, beinahe christlich-mythische Gestalt, und nicht mit Unrecht; denn wir kennen nur sein inneres Leben in der Idee, während sein wirkliches Leben in der Geschichte in Dunkelheit gehüllt ist. Seine Aussprüche werden oft von seinen Schülern mit tiefer Ehrfurcht angeführt, er ist ihnen der Heros der Contemplation, und nicht selten erblicken sie seine erhabene Gestalt in ihren Visionen. Sowohl das Jahr seiner Geburt wie seines Todes ist unbekannt. Doch wissen wir, daß er am Schlusse des dreizehnten und am Anfange des vierzehnten Jahrhunderts[S. 6] lebte. Er war Dominicaner, soll in Paris studirt und unter dem Papste Bonifacius dem Achten die theologische Doctorwürde in Rom erhalten haben. Die Ueberlieferung sagt, er sey eine Zeitlang Ordensprovincial in Sachsen, nachher Generalvicar in Böhmen gewesen, ausgezeichnet durch strenge Sittlichkeit und Handhabung der Disciplin. Als Mystiker scheint er besonders in Straßburg und Cölln gewirkt zu haben, und in letzterer Stadt hat er wahrscheinlich sein Leben beschlossen. Nach seinem Tode wurde seine Lehre von dem avignonschen Papste Johann dem Zweiundzwanzigsten verdammt (1329)[3]. Die päpstliche Bulle fügt hinzu, daß Eckart vor seinem Ende seine Lehre widerrufen habe und zur katholischen Kirche zurückgekehrt sey. Wir werden in der Folge auf diesen Punct zurückkommen. Der Verdacht der Ketzerei, der an Eckart haftete, scheint verursacht zu haben, daß er in der Geschichte ein geringeres Ansehen erlangt hat, als sein Schüler Johann Tauler, der berühmte Prediger in Straßburg († 1361), der gewöhnlich als der größte Meister dieser Schule angesehen wird. Ein anderer Schüler Eckarts war der Dominicaner Heinrich Suso von Schwaben, genannt Amandus wegen seiner feurigen Minne zur ewigen Weisheit († 1365). Geistesverwandt mit diesen ist Johannes Ruysbroock, Prior von Grünthal in der Nähe von Brüssel. Der Verfasser der »deutschen Theologie« im 15ten Jahrhundert scheint durch Tauler in Verbindung mit Eckart zu stehen. Diese Männer sind die vornehmsten, uns bekannten, Repräsentanten der deutschen Mystik. In verschiedenen Individualitäten spiegeln sie denselben Geist, ihre Schriften sind nur verschiedene Darstellungen desselben Systems, wenn es überhaupt hier erlaubt ist diese Benennung zu gebrauchen[4].
[S. 7]
Der Zustand des Zeitalters war ein solcher, der auf mancherlei Weise die Geister auffordern mußte in sich selbst zu gehen. Das alte System fing an in seinen Grundpfeilern erschüttert zu werden; sowohl im Politischen wie im Kirchlichen herrschte große Verwirrung. Der Katholicismus hatte culminirt. Die babylonische Gefangenschaft der Päpste, ihre ärgerlichen Streitigkeiten mit der Staatsgewalt gaben die Belege hiezu. Dante ließ in seiner apokalyptischen Komödie das jüngste Gericht über die in sich zerfallene Welt ergehen. Reformatorische Tendenzen, Protestation und Opposition wurden allenthalben vernommen, obgleich keiner recht wußte was er wollte, oder der Verwirrung Ausgang zu erblicken vermochte. Eine unbestimmte Sehnsucht nach Freiheit durchbebte die ganze Zeit. Die Nationen fingen an ihre geistige Individualität zu behaupten, die Muttersprache wurde lebendig, die Volksgeister fingen an in eignen Zungen zu reden. In dieser Entwickelung der Sprache, dieser Befreiung von der abstracten, alle Individualität nivellirenden Herrschaft des Lateins, haben die Mystiker große Bedeutung. Die tiefsten Wurzelwörter der deutschen Prosa wurden in ihrer lebendigen Rede ausgesprochen, und mit Recht sind sie die Minnesänger der Prosa genannt worden. Ihre contemplative Geistesrichtung mußte durch ihre Zeit mächtig gefördert werden. Das Alte war im Sinken begriffen, aber die Wiedergeburt der Geschichte war noch fern; dem Geiste gehörte nur die Vorzeit und die unbekannte Zukunft, allein es fehlte ihm die Gegenwart, das praesens, weil die Wirklichkeit keine wahre Wirklichkeit, sondern nur ein Zustand der Gährung, des Werdens und Uebergehens war. Es war da ganz in der Ordnung, daß die contemplativen Naturen, um sich in der weltgeschichtlichen Spannung vom Zeitdrucke zu befreien, die Zeit zur Ewigkeit zu verwandeln suchten, indem sie die Langeweile und Unruhe der Zeit im gegenwärtigen Jetzt der Contemplation vernichteten. Die Kunstbestrebungen des Zeitalters in der Architektur und Malerei, welche zum Theil in denselben Gegenden blühten, wo auch die Mystik ihren vornehmsten Sitz hatte, in den Rheingegenden nemlich, besonders in Straßburg und Cölln, hängen hiemit zusammen. Der Geist sucht in einer Phantasiewelt hervorzuzaubern, was aus dem Leben und der Wirklichkeit verschwunden ist.
[S. 8]
Dieser Mangel an Befriedigung in der Wirklichkeit, die Sehnsucht nach geistiger Realität, zeigt sich in einem dogmatischen Probleme des Zeitalters, welches große Theilnahme erregte. Es war ein eschatologisches Problem, betreffend das zukünftige Schauen Gottes in der ewigen Seligkeit. Wenn eschatologische Fragen, Untersuchungen über das zukünftige Leben mit ängstlicher Heftigkeit geführt werden, ist es ein Zeichen, daß die Lebensfülle aus der Gegenwart entflohen ist. Unter dem Papste Johann dem 22sten wurde die Frage aufgeworfen, ob diejenigen Geister, denen der Schmerz des Fegfeuers erlassen war, unmittelbar nach ihrem zeitlichen Tode zum Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht gelangten, oder ob dieses vollendete Schauen erst nach der Auferstehung des Leibes und dem jüngsten Gericht einträte. Der Papst bestätigte das Letztere, aber der Zeitgeist sehnte sich ungeduldig nach der Vollendung und suchte ihm eine entgegengesetzte Erklärung abzunöthigen[5]. Dieses gelang unter seinem Nachfolger Benedict dem 12ten, der sich ausdrücklich für die von seinem Vorgänger verworfene Ansicht erklärte. Diese dogmatischen Probleme über das zukünftige Leben suchten Viele in eine gegenwärtige Gewißheit zu verwandeln, indem sie in der Contemplation die zukünftige Seligkeit und die Identität mit Gott anticipirten. Es erhob sich die Frage über die ewige Identität des Gedankens mit Gott. Man fragte, ob Gott nur Object, Gegenstand des seligen Schauens, oder ob er nicht vielmehr das selige Schauen selbst sey, so daß der Erkennende Eins sey mit dem Erkannten[6].
Charakteristisch für das Zeitalter und eine Erscheinung, die nicht ohne Zusammenhang ist mit der Mystik, sind die vielen Secten, die sich damals von der Tradition und dem objectiven Cultus der Kirche zu emancipiren suchten. Sie waren von einer glühenden, schwärmerischen Begeisterung für Freiheit erfüllt, von einem Spiritualismus, der alle äußeren Formen zu sprengen suchte, einer grenzenlosen Sehnsucht nach Einheit mit Gott, wodurch[S. 9] sie mit der Kirchenlehre in Zwiespalt geriethen. Das gährende speculative Element kam in pantheistischen Anschauungen zum Durchbruch. Die herrschende Kirche konnte die Irrthümer dieser Secten erkennen, aber ihre Bedeutung nicht begreifen. Schon am Anfange des 13ten Jahrhunderts wurden die Pariser Theologen Amalrich von Bena und David von Dinanto, wie es scheint, Anhänger des Systems des Scotus Erigena, auf dem Concilium zu Paris 1209 verdammt, weil sie lehrten, Gott sey Alles und Alles sey Gott, Gott sey das Wesen der Geschöpfe, alle Dinge würden zu Gott zurückkehren und in ihm als ein einiges Individuum verbleiben. Das Princip ihrer Lehre wurde in dem Satze ausgesprochen: »Quod deus sit Esse formale omnium.« Man beschuldigte sie, daß sie Christum nur in der Bedeutung Gottmensch nannten, in welcher auch jeder geistige Mensch ein Gottmensch genannt werden könne. Vom heiligen Abendmahl lehrten sie, daß die Gegenwart Christi im Brode und Weine nicht erst mittelst der Consecration eintrete, sondern daß Christus in allem Brode und Weine auf dieselbe Weise gegenwärtig sey, wie in der Eucharistie. Das Dogma von der Transsubstantiation erklärten sie als ein Sinnbild der in der ganzen Natur gegenwärtigen Gottheit. Denn Gott könne nur in der Creatur angeschaut werden und Gott und die Creatur seyen Eins[7]. Die Pariser Synode beschuldigt sie ferner, daß sie den Glauben und die Hoffnung verachteten und sich thöricht rühmten, ihr Wissen sey ihnen genug. Das Wissen sey das Paradies selbst, die Lehre von der Auferstehung der Todten und dem ewigen Leben sey nicht von einem Zukünftigen, sondern von einem geistig Gegenwärtigen zu verstehen[8]. In der ersten Weltperiode habe Gott der Vater geherrscht; das Reich des Vaters aber sey durch das Reich des Sohnes abgeschafft, das mosaische Gesetz aufgehoben und[S. 10] ein neues, geistiges Gesetz eingeführt worden; das Reich des Geistes aber sey jetzt mit ihnen und ihren Anhängern eingetreten, jedes positive Gesetz und jede äußere Cultusform müsse abgeschafft werden, die Sacramente seyen überflüssig, denn dem Geiste allein gebühre die Herrschaft. Eine ähnliche Construction der Weltgeschichte erschien in demselben Jahrhundert in dem sogenannten »ewigen Evangelium« der Franciscaner, wodurch eine neue Ordnung der Dinge verkündigt und eine apokalyptische Polemik gegen das Papstthum und den ganzen Zustand der Kirche ausgesprochen wurde. Amalrich's Schule zählte viele Anhänger; die Verfolgungen, die diese Secte leiden mußte, förderten nur ihre Verbreitung, und im Laufe des 13ten Jahrhunderts wurden pantheistische Sympathien mannichfach in der Christenheit verspürt. Die Anhänger der Secte, die sich nach und nach weiter ausbildete und modificirte, hießen Brüder und Schwestern des freien Geistes. Gegen das Ende des 13ten Jahrhunderts sollen sie am Rhein zahlreich gewesen seyn, also in derselben Gegend, wo Eckart lebte, und gleichzeitig mit ihm. In den Schriften der Mystiker finden sich nicht selten Hindeutungen und Anspielungen auf diese Secte; hienach scheint es, als habe jener spiritualistische Pantheismus sich zugleich als ein grenzenloser Antinomismus gezeigt, der sich nicht nur über die positiven Gesetze der Kirche, sondern selbst über das Sittengesetz hinaussetzte. Die religiöse Genialität proclamirte die Emancipation des Fleisches, weil der Geist nicht an ein Aeußeres gebunden sey[9].
Man hat nicht selten den Meister Eckart in Verbindung mit dieser Secte gebracht. Der Papst Johann der 22ste, der sein ganzes Leben hindurch nicht blos in politische, sondern auch in kirchliche Streitigkeiten verwickelt war und der Beschuldigung der Ketzerei selbst nicht entgehen konnte, erließ im Jahre 1330 eine Verdammungsbulle wider die Brüder des freien Geistes[10]. Da die Sätze, die er bei den Brüdern des freien Geistes verdammt, fast wörtlich mit denjenigen übereinstimmen, die er bei Eckart[S. 11] verdammte[11], so scheint es, als habe er diese unter demselben Gesichtspuncte betrachtet, und die Historiker sind seiner Ansicht gefolgt und haben Eckart mit den freigeistigen Brüdern zusammengestellt[12]. Aber eine nähere Bekanntschaft mit Eckarts Schriften zeigt, daß dieses mit Unrecht geschehen sey, und daß man ihn mit Tauler zusammenstellen müsse. Dieses wird auch von der neuesten historischen Untersuchung von Schmidt anerkannt, obgleich die Ansicht des Verfassers mir hier etwas unklar und schwankend scheint, indem er nichtsdestoweniger die Hypothese aufstellt, Eckart habe insgeheim der Secte angehört[13]. Vergleichen wir die päpstliche Bulle mit den uns bekannten Eckartschen Schriften, dann finden sich hier allerdings viele von den pantheistischen Sätzen, die ihm vom Papste zugelegt werden[14], aber keine Spur des unsittlichen Antinomismus, dessen ihn die päpstliche Bulle beschuldigt. Die angeführten pantheistischen Sätze sind ohnehin aus dem Contexte gerissen; dieser aber zeigt sie als aus einer eigenthümlichen Denkweise und Geistesrichtung entsprungen, derselben, die wir bei denjenigen Mystikern finden, die nicht der Sectirerei beschuldigt sind. Da die Erfahrung unserer eigenen Tage sattsam lehrt, wie das tägliche Bewußtseyn mit geistigen Kategorien, als Pantheismus, Rationalismus, Liberalismus u. s. w., umgeht, wie es solche Kategorien nur als allgemeine Fächer gebraucht, worin es das Verschiedenartigste hineinrubricirt, ohne den specifischen Unterschied, das heißt die wahre Natur der Sache, zu berücksichtigen, so halte ich es nicht für unwahrscheinlich, daß die Benennung »freigeistige Brüder« nicht selten als ein Gemeinname gebraucht worden sey, womit man damals alle diejenigen bezeichnete, die man heutzutage als Idealisten und Pantheisten[S. 12] bezeichnet. Keiner wird sich wundern, daß es dem Papste, dessen Sache es eben nicht war sich auf die differentia specifica der Geister einzulassen, und der sich nur an die einzelnen »Resultate« hielt, begegnen konnte die äußere Aehnlichkeit mit der Identität zu verwechseln. Die Wissenschaft aber muß es mit solchen Dingen genauer nehmen. Allerdings waren Eckart und seine Geistesverwandte Idealisten, Söhne »des freien Geistes«, und es ist natürlich, daß sie nicht unberührt geblieben sind von dem, was sich in ihrer Nähe geistig bewegte. Aber Eckarts Mystik muß unter ihrer eigenen, selbstständigen Kategorie betrachtet werden, weil sie ein neuer, origineller Entwickelungspunct ist. Es ist nicht Amalrich's von Bena nach dem Erigena gebildeter Pantheismus, oder seine Opposition gegen den kirchlichen Cultus. Es ist keine apokalyptische, religiös-politische Polemik gegen das Bestehende, wie bei den spiritualistischen Franciscanern. Ebenso wenig ist es ein unsittlich schwärmender Antinomismus, der den Geist mit dem Fleische confundirt. Eckarts Antinomismus und Pantheismus fordert seinen eigenen Maaßstab. In welches Dunkel auch die Geschichte der damaligen Secten und ihrer mannichfachen Verzweigungen noch eingehüllt seyn mag, dieses scheint ihnen doch gemeinsam gewesen zu seyn, daß sie mit der herrschenden Kirche förmlich brachen, daß sie nach außen thätig waren, mehr oder weniger die Einführung eines neuen Weltzustandes beabsichtigten. Aber eine solche opponirende Tendenz, ein solches kämpfendes Auftreten auf dem Schauplatze der Wirklichkeit liegt außerhalb der Grenzen der ächten Mystik, die, in innere Regionen zurückgezogen, ein in sich gekehrtes, geistiges Stillleben führt. Es liegt in der Natur des mystischen Geistes, unabhängig von jeglicher äußeren Macht und Zuständlichkeit, in sich selbst absolut befriedigt und versöhnt, der selige Punct inmitten der Verwirrung zu seyn. Die Mystik verhält sich nicht polemisch zur bestehenden Kirche und ihrer Lehre, sondern sucht nur eine geistige Auffassung und Application derselben, und wenn sie hiedurch in Zwiespalt mit der Kirche geräth, — was unläugbar der Fall ist — ist dieses ihr nicht bewußt. Nur aus diesem Gesichtspuncte läßt sich erklären, daß Eckart kurz vor seinem Tode seine Lehre widerrufen habe. Da er sich nicht von der Kirche trennen wollte, hat[S. 13] er wahrscheinlich nur seine Sätze widerrufen, insofern sie eine antikirchliche Deutung veranlassen konnten, nicht aber diese Sätze selbst. Denn es ist unerklärlich, daß er jemals von den Ueberzeugungen abgefallen sey, in denen sein ganzes geistiges Leben aufging, oder daß er selbst nicht geglaubt hätte sie mit dem Geiste der Kirchenlehre versöhnen zu können. Wie viel Unwahrscheinliches auch diese Annahme an und für sich enthalten mag, so wird sie doch durch eine nähere Bekanntschaft mit dem mystischen Bewußtseyn gerechtfertigt.
Die uns bekannten Schriften von Eckart sind Predigten, die theils vor dem Volke, theils wohl auch als Lehrvorträge im Kloster gehalten sind. Sie finden sich in den Baseler Ausgaben von Taulers Predigten von 1521 und 1522 und werden (fol. 242) unter folgender Ueberschrift eingeführt: »Folgen hernach etlich gar subtil und trefflich kostlich predigen etlicher vast gelertter andechtiger vätter und lerern, auß denen man achtet Doctorem Tauler etwas seins grundes genommen haben. Namlich und insonders meister Eckarts (den er underweylen in seinen predigen meldet) der ein fürtreffenlich hochgelerter man gewesen ist, und in subtilikeiten natürlicher und göttlicher künsten so hoch bericht, das vil gelerter leut zu seinen zeitten in nit wol verstunden. Deßhalb seiner ler ein teyl auch in etlichen stücken und articklen verworfen ist, und noch von einfeltigen menschen gewarsamlich gelesen werden sol. Wiewol hieher in diß Buch mit fleiß nüt gesetzet ist, dann das gemeinlich wol verstanden und erlitten werden mag. Das ist ein teil seiner ler und predig, darauß man spüren mög, wie gelert und subtil er gewesen sey, und uff was grund all sein ler und predig (wie Doctor Taulers) gevestnet gewesen sey«. — Die Anzahl dieser Predigten ist 55, wozu noch 4 kleinere Lehrstücke hinzukommen. Sie sind die einzigen uns bekannten Schriften von Eckart und finden sich nur in den angeführten Ausgaben von Tauler, verschwinden aber nachher aus den Taulerschen Schriften[15]. Innere Kriterien, Gedanken, Styl, Ausdrucksweise bezeugen denselben Verfasser, wozu noch kommt, daß der Verfasser selbst an mehreren Stellen sich als Eckart bezeichnet.[S. 14] Sollte auch diese oder jene Predigt nicht von ihm verfaßt seyn, — welches die Kritik schwerlich beweisen wird — so ist dieses doch für unseren Zweck gleichgültig, da es nichtsdestoweniger sein Geist und Gedanke ist, der sich auf jeder Seite ausspricht. Er soll aber mehrere Schriften verfaßt haben, die nicht auf uns gekommen sind, namentlich eine Erklärung des Evangelium Johannis und des Hohenliedes[16]. Daß so Weniges davon bekannt geworden, ist wahrscheinlich darin gegründet, daß es als gefährliche Lectüre angesehen wurde. Obgleich eine vollständige Ausgabe allerdings von großem Interesse seyn würde, so ist es doch nicht wahrscheinlich, daß dadurch etwas wesentlich Neues hinzukommen würde. Die Manier der Mystiker ist von der Beschaffenheit, daß man nicht einer vollständigen Sammlung ihrer Schriften bedarf, um ihre ganze Ansicht zu kennen. Sie haben ihr System in nuce und sprechen das Ganze auf einmal aus. So oft die Mystik redend oder schreibend auftritt, ist sie »omnia sua secum portans.« Mag denn auch Vieles verloren gegangen seyn, so dürfen wir doch behaupten, daß Nichts fehle.
Um den Leser in die Sache selbst unmittelbar einzuführen, gebe ich erst einen kurzen Auszug aus Eckarts Predigten. Eine unmittelbare Bekanntschaft mit dem mystischen Grundton, mit Vortrag und Ausdrucksweise, die in dieser Art von Speculation noch mehr als anderswo vom Gedanken unzertrennlich ist, wird, wie ich hoffe, einen passenden Uebergang bilden zu dem, was Hauptzweck dieser Abhandlung ist, nemlich die Darstellung dieser mystischen Richtung als eines Ganzen, das nach seinen verschiedenen Momenten entwickelt wird. Was hier aus den Schriften des mystischen Meisters mitgetheilt wird, sind nur einzelne Gedanken, Aphorismen, deren innerer Zusammenhang nicht entwickelt ist, obgleich dieser allenthalben an sich vorhanden ist. Ich habe gesucht Auswahl und Anordnung so zu treffen, daß der[S. 15] denkende Leser diesen tieferen Zusammenhang entdecken und hier ein Mehreres gewahr werden könne, als religiöse Blumen und philosophische Gedankenspäne. Die sich widersprechenden Sätze, die hier gefunden werden, werden in der Folge ihre Erklärung finden. Um ermüdende Tautologien in der Darstellung zu vermeiden, habe ich zerstreute Aussprüche, die sich gegenseitig erklären, indem sie denselben Gedanken von verschiedenen Seiten ausdrücken, bisweilen combiniren müssen. Den altdeutschen Ausdruck habe ich nach dem Vorgange der neuen Ausgaben von Tauler und Suso der heutigen Schriftsprache anzubequemen versucht ohne doch das alterthümliche Gepräge zu verwischen. Daß ich bisweilen einen kräftigeren Ausdruck aus einer anderen Stelle einem minder prägnanten substituirt, hie und da das im Texte Zerstreute zusammengezogen habe, dieses war nach meinem Dafürhalten nicht nur erlaubt, sondern nothwendig in einer Arbeit, wo es sich nicht um die philologisch-diplomatische Genauigkeit des Einzelnen, sondern um das concentrirte Wiedergeben der substantiellen Totalität handelte. Der Einwand, den ich nicht sowohl gegen diese Epitome aus Eckart, als besonders gegen die ganze folgende Entwickelung von Vielen zu erwarten habe, ist, daß der Gegenstand, durch das Medium eines bestimmten philosophischen Interesses betrachtet, nicht in seiner Reinheit aufgefaßt werde, daß sich hier nothwendig viel Subjectives einmische, Vieles hineingedeutet werde, das nicht der Sache selbst, sondern nur dem Systeme des Darstellers zukomme u. s. w. Dieses läßt sich immer sagen, wenn von der geistigen Auffassung irgend eines Gegenstandes die Rede ist, und hierauf läßt sich immer antworten, daß die Sache doch Niemandem anders erscheinen kann, als wie sie gesehen wird. Wie das Denken nicht von dem Gegenstande abstrahiren darf, so kann es nicht von sich selbst abstrahiren. Es läßt sich in der Behandlung eines gegebenen historischen Objects ein doppelter Weg einschlagen. Man kann sich darauf beschränken, es blos als Factum zu nehmen, den Stoff zu sammeln und zu sichten, aber doch so, daß man sich jeder geistigen Berührung mit demselben enthält, um es desto besser als Factum conserviren zu können. Es ist dies eine nützliche Vorarbeit, ihr Resultat ist das Richtige, aber das Wahre fehlt noch. Das Wahre ist[S. 16] die, allerdings vom Factum unzertrennliche, Idee, die sich im Factum offenbart, und das wahre, sachgemäße Erkennen ist nur dasjenige, das den Gegensatz von Empirie und Speculation überwunden hat. Die blos empirische Historie kann nur über das factisch Richtige und Unrichtige urtheilen; handelt es sich aber über die Wahrheit der geistigen Auffassung des Factums, so muß diese sich durch sich selbst bewähren, oder durch eine tiefere philosophische Auffassung widerlegt werden.
Ich citire die Aussprüche Eckarts nach der Baseler Ausgabe von Taulers Predigten von 1521. Ob die Auffassung, die sich schon indirect durch Zusammenstellung und Anordnung kund gibt, die wahre sey, dieses kann nur geprüft werden durch die wissenschaftliche Entwickelung des Begriffes der Mystik.
[S. 17]
Wenn ich predige, pfleg ich zu sprechen von Abgeschiedenheit und daß der Mensch ledig werde seiner selbst und aller Dinge; zum andernmal, daß man eingebildet werde in das einfältige Gut, das Gott ist; zum dritten, daß man bedenke des großen Adels, den Gott an die Seele gelegt hat; zum viertenmal, was Lauterkeit und Klarheit göttlicher Natur sey; das ist unsprechlich. fol. 274.
Ein jeglich Ding ruhet in der Stätte, daraus es geboren ist. Wirf den Stein in die Luft, er ruhet nicht, er komme denn wieder zur Erde. Wovon ist das? Die Erde ist sein Land, die Luft ist sein Elend. Die Stätte, aus der ich geboren bin, ist die Gottheit. Die Gottheit ist mein Vaterland. Hab ich einen Vater in der Gottheit? Ja ich habe nicht allein einen Vater da, mehr, ich hab mich selber da. Ehe daß ich an mir selber ward, da war ich in der Gottheit geboren. fol. 293.
Was ist Ewigkeit? Ewigkeit ist ein gegenwärtiges Nun, das nicht weiß von Zeit. Der Tag, der vor tausend Jahren vergangen ist, ist der Ewigkeit nicht ferner, als die Stunde, da ich hier stehe, und der Tag, der über tausend Jahr kommen soll, ist der Ewigkeit nicht ferner, denn die Stunde, da ich jetzt rede. Wenn der Wille von sich selber und von aller Geschaffenheit wiederkehret in seinen Ursprung, dann steht er im gegenwärtigen Nun der Ewigkeit, und in diesem Augenblick wird alle verlorne Zeit wiedergewonnen. fol. 251, 267, 285.
[S. 18]
Salomon spricht, es sey nichts Neues unter der Sonn. Das wird selten verstanden nach seinem Sinn. Was die Sonne überscheinet, das ist in der Zeit. Zeit gibt zwei Ding, Alter und Abnehmen. Alles das unter der Sonne ist, das altet und nimmt ab, aber in der Ewigkeit, im lautern Wesen, ist Alles neu. fol. 247.
Je näher ein Ding seiner Geburt ist, je jünger ist es. Je näher die Seele Gott ist, je jünger ist sie. In der Vernünftigkeit, da ist man allzumal jung, und je mehr man in der Vernünftigkeit wirkt, je näher ist man der Geburt. Was ich bin nach der Zeit, das soll mit der Zeit verderben und zu nichte werden, aber nach meiner Geburtsweise, die ewig ist, mag ich nimmermehr ersterben. Wisset, das Kind im Mutterleib ist alt genug zum Sterben, ich aber will trauern, bin ich morgen nicht jünger, denn heut. fol. 269, 268, 308.
In der Fülle der Zeit sendet Gott seinen Sohn in die Seele. Wann ist die Fülle der Zeit? Wann die Seele Zeit und Statt ledig ist, dann sendet Gott seinen Sohn in sie. fol. 261.
Was ist Wahrheit? Wahrheit ist so edel, daß, wenn Gott sich von der Wahrheit kehren möchte, ich wollte mich an die Wahrheit haften und wollte Gott lassen. Denn Gott ist die Wahrheit und Alles was in der Zeit ist, und Alles das Gott je erschaffen hat, ist nicht die Wahrheit. fol. 252.
Was ist Freiheit? Frei ist das an Nichts haftet und an dem Nichts haftet. Darum ist Nichts frei, denn die erste Sache, die da ist eine Sache aller Sachen. Gott haftet an Nichts, er schwebet in sich selber und ist frei von allen Dingen. Zur Freiheit gehört auch Herrschaft, daß man viele gute und schöne Dinge besitze. Gott ist das Gute in allen Dingen, darum besitzt er sich in Allem, und Alles was Gott hat, das ist er. fol. 247.
[S. 19]
Niemand ist gut, denn allein Gott. Was ist gut? Was sich gemeinet. Den heißen wir einen guten Menschen, der gemein und nützlich ist. Gott ist das Allergemeinest, er gibt sich allen Dingen. Kein Ding gibt sich selbst. Die Sonne gibt nur ihren Schein, aber bleibt selbst stehen. Gott aber gibt sich selbst in allen seinen Gaben. Seine Gottheit hanget daran, daß er sich gemeine Allem, das seiner Güte empfänglich ist, und gemeinete er sich nicht, dann wäre er nicht Gott. In allen Creaturen ist Etwas Gottes, aber in der Seele ist Gott göttlich. fol. 287, 254.
Alle Dinge, die in der Zeit sind, haben ein Warum. Aber ein guter Mensch, wenn Einer ihn fragte: warum liebst du Gott? antwortet: Um Gott! Warum hast du lieb die Wahrheit? Um die Wahrheit! Warum hast du lieb die Gerechtigkeit? Um die Gerechtigkeit! Warum lebst du? Wahrlich, ich weiß nicht, aber ich lebe gerne. fol. 252.
Suchst du Gott um deinen eigenen Nutzen und deine eigene Seligkeit, so suchst du Gott nicht in der Wahrheit. Etliche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, als sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott liebhaben, als sie eine Kuh liebhaben (die hast du lieb um die Milch und um den Käs und um deinen eignen Nutzen). Also liebhaben sie Gott um auswendigen Reichthum und um inwendigen Trost, aber diese Leute haben Gott nicht recht lieb, sondern suchen nur sich selbst und ihren eignen Nutzen. fol. 252, 300.
Wer Gott sucht und etwas Anderes als Gott, der findet Gott nicht; wer aber Gott sucht allein, der findet alle Dinge mit Gott. fol. 252.
Einfältige Leute wähnen, sie sollen Gott ansehen, als stände er dort und sie hier. So ist es nicht. Gott und Ich sind Eins im Erkennen. Gottes Wesen ist sein Erkennen und Gottes Erkennen macht, daß ich ihn erkenne. Darum ist sein Erkennen mein Erkennen. fol. 305, 315.
[S. 20]
Die Leute sprechen oft zu mir: Bitte zu Gott für mich! Da denke ich: Warum gehet ihr aus? Warum bleibet ihr nicht bei euch selber und greift in euer eigen Gut? Ihr traget doch alle Wahrheit wesentlich in euch. fol. 267.
Wo die Natur endet, fahet Gott an zu seyn. Gott begehret nichts mehr von dir, denn daß du ausgehest aus dir selber in creatürlicher Weise und lässest Gott Gott in dir seyn. Das mindeste creatürlich Bild, das sich dir einbildet, ist so groß als Gott. Warum? Es raubet dir einen ganzen Gott. Wenn das Bild eingeht, muß Gott weichen mit all seiner Gottheit; geht aber das Bild aus, geht Gott ein. Gott begehrt so sehr, daß du aus dir selber ausgehest in creatürlicher Weise, als ob allein seine Seligkeit daran läge. Eia, lieber Mensch, was schadet dir, daß Gott Gott in dir sey! fol. 267.
Fragt man mich, daß ich endlich berichten soll, was der Schöpfer meinte, als er alle Creaturen schuf, antworte ich: Ruhe. Fragt man mich zum zweitenmal, was alle Creaturen suchen in ihrer natürlichen Begierde, ich spreche abermals: Ruhe. Fragt man mich zum drittenmal, was die Seele suche auf allen ihren Wegen, ich spreche abermals: Ruhe. Denn das Antlitz göttlicher Natur ziehet alle Kräfte und alles Begehren der Seele nach sich. Dies schmeckt Gott so wohl und ist ihm so gefällig, daß all seine göttliche Natur dazu gekehret und geneiget ist. Als viel die Seele in Gott ruhet, als viel widerruhet Gott in ihr. Ruhet sie nur theilweise in ihm, so widerruhet er nur theilweise in ihr. Ruhet sie ganz und ungetheilt in ihm, so widerruhet er ganz und ungetheilt in ihr. In der lautern Seele, da Gott findet einen Widerschein seiner selbst, da widerruhet Gott in der Seele, und die Seele widerruhet in Gott. Der das Gott benähme, daß er nicht ruhete in der Seele, der benähme ihm seine Gottheit. Denn Gott sucht Ruhe in allen Dingen und göttliche Natur ist Ruhe. fol. 292.
Ein jeder Ausgang ist um des Eingangs willen, ein jeder Anfang ist um des Endes willen. Gott ruhet nicht da, wo er[S. 21] ist ein Anfang, sondern wo er ist ein Ende alles Wesens. (Nicht als ob dies Wesen zu nichte würde, sondern es wird vollbracht nach seiner höchsten Vollkommenheit.) Was ist das letzte Ende? Es ist die verborgene Finsterniß der ewigen Gottheit und ist unbekannt und wird nimmermehr bekannt, fol. 256.
Alle Creaturen jagen danach, daß sie Gott gleich werden. Wäre Gott nicht in allen Dingen, die Natur hätte weder Wirken noch Begehren. Nun aber suchet sie heimlich Gott. Sie wisse es oder nicht, es sey ihr lieb oder leid, sie meinet doch nur Gott in all ihrer Begehrung. Durstete ein Mensch noch so sehr, er würde doch nicht einen Trunk begehren, wäre nicht Etwas Gottes darin. fol. 259.
Mein äußerer Mensch schmeckt alle Creaturen als Creaturen, Wein als Wein, Brod als Brod, Mein innerer Mensch aber schmeckt Nichts als Creaturen, sondern Alles nur als Gaben Gottes. Aber in allen seinen Gaben gibt Gott nur sich selbst. fol. 301.
Gott liebt sich selber und seine Natur und sein Wesen und seine Gottheit. In der Liebe, darin Gott sich liebet, liebt er auch alle Creaturen, nicht als Creaturen, sondern Creaturen als Gott. Nun bitt ich euch, daß ihr vernehmet. Ich will sprechen, wie ich nie sprach: Gott schmeckt sich selber und in dem Geschmack, darin er sich selber schmeckt, schmeckt er alle Creaturen, nicht als Creaturen, sondern Creaturen als Gott. fol. 301.
Gott liebet Nichts denn sich selber, er verzehret all seine Liebe in sich selber. Niemand erschrecke, weil ich spreche, daß Gott Nichts liebet denn sich selber. Es ist unser Allerbestes und unsere höchste Seligkeit liegt daran. fol. 254.
St. Paulus spricht: Gottes Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen. Sintemal uns denn Gott seine Liebe gegeben hat, hat er uns auch den heiligen Geist gegeben. Dann lieben wir mit der göttlichen Liebe, darin er sich selber liebet, und wäre diese Liebe nicht, dann wäre der heilige Geist nicht. fol. 248, 284.
[S. 22]
Alsfern der Mensch sich selbst verläugnet durch Gott und mit Gott vereinigt wird, alsfern ist er mehr Gott denn Creatur. Wenn der Mensch seiner selbst ledig ist und nicht lebt, denn in Gott allein, ist er wahrlich dasselbe von Gnaden, was Gott ist von Natur, und Gott bekennet selbst, daß kein Unterschied sey zwischen ihm und diesem Menschen. Ich habe gesprochen: von Gnaden, denn Gott ist und der Mensch ist. Also ist Gott gut von Natur, der Mensch aber ist gut von Gnaden. fol. 309.
Ich sprech bei guter Wahrheit und bei ewiger Wahrheit und bei immerwährender Wahrheit, daß sich Gott in jeglichem Menschen, der sich zu Grunde gelassen hat, allzumal ausgießen muß nach aller Vermögenheit, so ganz und gar, daß er in seinem Leben und in seinem Wesen, in seiner Natur und in seiner Gottheit Nichts behaltet, er muß es alles zumal in fruchtbarer Art ergießen. fol. 300.
Es ist eine sichere Wahrheit, daß es Gott also Noth ist, daß er uns suche, recht als ob all seine Gottheit daran hinge. Gott mag unser so wenig entbehren als wir seiner. Mögen wir uns von Gott kehren, so mag Gott sich doch nimmer von uns kehren. Darum will ich Gott nicht bitten, daß er mir Etwas gebe, ich will ihn auch nicht loben um das, was er mir gegeben hat, sondern ich will ihn bitten, daß er mich würdige ihn zu empfangen und ich will ihn loben, daß er der Natur und des Wesens ist, daß er geben muß. fol. 252.
Ich danke nicht Gott, daß er mich liebhat, denn er mag es nicht lassen; er wolle es oder nicht, seine Natur zwinget ihn doch. Ich will ihm danken, daß er nicht lassen mag von seiner Güte. fol. 254.
Gott ist allzeit wirkend in einem Nun der Ewigkeit, und sein Wirken ist das Gebären seines Sohnes, den gebiert er allzeit. Der Sohn ist der erste Ausbruch aus der Fruchtbarkeit göttlicher Natur und dieser Ausbruch ist ohne Mittel des Willens, darum er heißet ein Bild und Wort des Vaters. In diesem[S. 23] Worte spricht der Vater meine Seele und deine Seele, Er gebiert seinen Sohn in der Seele in derselben Weise als er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders. Er muß es thun, es sey ihm lieb oder leid. Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlaß und ich sprech mehr: Er gebiert mich seinen Sohn, mehr, er gebiert mich sein Wesen und seine Natur. Da quelle ich aus im heiligen Geist; da ist ein Leben und ein Wesen und ein Werk. fol. 268, 299, 304.
Es ist des Vaters Wesen, daß er den Sohn gebäre, und es ist des Sohnes Wesen, daß er geboren werde und daß ich in ihm geboren werde, und es ist des heiligen Geistes Wesen, daß ich in ihm verbrenne und in Liebe verschmolzen werde. fol. 245.
Wenn der Wille also vereinigt wird, daß er wird ein einig Ein, so gebiert der himmlische Vater seinen eingebornen Sohn in sich und in mir. Warum in sich und in mir? Ich bin Eins mit ihm, er vermag mich nicht auszuschließen. In demselben Werk empfaht der heilige Geist sein Wesen und wird von mir, wie von Gott. Warum? Ich bin in Gott und nimmt der heilige Geist sein Wesen nicht von mir, nimmt er es auch nicht von Gott. Ich bin auf keine Weise ausgeschlossen. fol. 251.
Ein Meister spricht: Gott ist Mensch geworden, davon ist erhöhet und gewürdiget das ganze menschliche Geschlecht. Dessen mögen wir uns freuen, daß Christus unser Bruder ist gefahren von eigner Kraft über alle Chöre der Engel und sitzet zur Rechten des Vaters. Dieser Meister hat wohl gesprochen, aber wahrlich ich gebe nicht viel darum. Was hülf mich, hätt ich einen Bruder, der da wär ein reicher Mann, und wär ich dabei ein armer Mann? Was hülf mich, hätt ich einen Bruder, der da wär ein weiser Mann und wär ich dabei ein Thor? Ich sprech ein Anderes und Näheres. Gott ist nicht allein Mensch geworden, sondern er hat menschliche Natur angenommen. fol. 266.
Die Meister sprechen gemeinlich, daß alle Menschen seyen gleich edel in der Natur. Ich aber sprech, daß alles das Gute,[S. 24] das die Heiligen und Maria und Christus nach ihrer Menschheit besessen haben, das ist mein eigen in dieser Natur. Nun möchtet ihr mich fragen: Sintemal ich in dieser Natur hab Alles, das Christus nach seiner Menschheit leisten mag, wovon ist denn, daß wir Christum hören und würdigen als unsern Herrn und unsern Gott? Das ist davon, daß er ist gewesen ein Bote von Gott zu uns und hat uns zugetragen unsere Seligkeit. Ja dieselbe Seligkeit, die er uns zutrug, die war unser. fol. 266.
Der Herr sprach: Alles das ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch geoffenbaret. Nun wundert mich, daß Etliche, die wohl gelehrt sind und große Pfaffen seyn wollen, sich hier so schier genügen lassen. Sie wollen das Wort also verstehen, er habe uns auf dem Wege geoffenbaret, was nothdürftig wäre zur Seligkeit. Das halte ich nicht, denn es ist keine Wahrheit. Alles das der Vater hat und das er ist, die Abgründigkeit göttlichen Wesens und Natur, das gebiert er zumal in seinem eingebornen Sohn. Dieses ist was der Sohn vom Vater höret, und er hat uns geoffenbaret, daß wir derselbe Sohn seyen. Gott ist Mensch geworden, daß ich Gott würde. Gott ist gestorben, daß ich sterbe aller Welt und allen geschaffnen Dingen. fol. 263.
Menschheit und Mensch ist ungleich. Menschheit in ihr selber ist so edel, daß sie hat Gleichheit mit den Engeln und Sippschaft mit der Gottheit. Die größte Einung, die Christus besessen hat mit dem Vater, ist mir möglich zu gewinnen, wenn ich könnte ablegen das da ist von Diesem oder von Dem und könnte annehmen die Menschheit. fol. 251.
Der Vater gebiert seinen Sohn in dem Gerechten. Alle die Tugend des Gerechten und ein jeglich Werk des Gerechten ist anders nicht, denn daß der Sohn von dem Vater geboren wird. Der Vater ruhet nicht, es sey denn daß der Sohn in mir geboren werde, und er jaget und treibet mich allzeit, daß ich ihm den Sohn gebäre. Dies sollen weise Leut wissen und grobe Leut die müssen es glauben. fol. 245.
[S. 25]
Der gerechte Mensch dienet weder Gott noch den Creaturen, denn er ist frei, und je näher er der Gerechtigkeit ist, je mehr er die Freiheit selber ist. Alles das geschaffen ist, ist nicht frei. Dieweil Etwas ob mir ist, das Gott selber nicht ist, das drückt mich, wie klein es auch ist; und wär es auch Vernunft und Liebe, alsfern als sie geschaffen ist und Gott selber nicht ist, drückt sie mich, denn sie ist unfrei. fol. 274.
Ein Meister spricht: Die Seele, die Gott liebt, liebt ihn unter dem Gewand der Güte. Ich aber sprech, daß Wesen lauterer sey, denn Güte. Wäre nicht Wesen, dann wäre auch nicht Güte, und nur alsfern sie am Wesen ist, ist Güte gut. Daß Gott gut ist, macht mich nicht selig und ich will nimmer begehren, daß Gott mich selig mache von seiner Güte, denn er möchte es vielleicht nicht thun. Davon bin ich allein selig, daß Gott vernünftig ist und daß ich das erkenne. fol. 287.
Gott hat viele Namen, aber der erste Name ist Wesen. Alles das gebrechlich ist, das ist ein Abfall vom Wesen. Alsfern unser Leben ein Wesen ist, alsfern ist es in Gott. Es ist kein Leben so krank, alsfern es Wesen ist, ist es edler denn Alles, das je Leben gewann. Erkennst du eine Blume nach ihrem Wesen in Gott, dann ist diese Blume edler denn die ganze Welt. fol. 279.
Der Wille läßt sich wohl genügen an Gottes Güte, aber Vernünftigkeit läßt sich weder genügen an Güte, noch an Weisheit, noch an Wahrheit, noch an Gott selber. Sie sucht Gott als den Mark, daraus Güte fließet, sie sucht ihn als den Kern, daraus Güte quillet, sie sucht ihn als die Wurzel, daraus Güte blühet. Sie bricht ein in den Grund, da Güte und Wahrheit ihren Ausbruch haben, und nimmt sie im Anfange (in principio), bevor sie noch ihre Namen gewinnen. Sie ziehet Gott das Gewand der Güte ab und nimmt ihn bloß und entkleidet von allen Namen. Darum genügt ihr weder an Vater, noch an Sohn, noch an heiligem Geist, sondern sie durchbricht die innerste[S. 26] Tiefe der Gottheit, und dringt ein in die Wurzel, da der Sohn ausquillet und der heilige Geist hervorblühet. fol. 260, 288, 301.
Es ist Etwas in der Seele, das über die Geschaffenheit der Seele ist; es ist göttlicher Art, einfältig in sich selber, ein lauters Nichts, mehr ungenannt, denn genannt, und mehr unbekannt, denn bekannt. Könntest du dich selber vernichten einen Augenblick (oder noch kürzer denn ein Augenblick), dann hättest du Alles, was Dieses in sich selber ist. Dieweil du aber dich selber achtest als ein Etwas, weißt du so wenig, was Dieses ist, als mein Mund weiß, was Farbe ist, und als mein Auge weiß, was Geschmack ist. Von Diesem pfleg ich zu sprechen in meinen Predigten und underweilen hab ich es genannt eine Kraft, underweilen ein ungeschaffen Licht, underweilen ein göttliches Fünklein. Es ist von allen Namen und Formen frei und ledig, wie Gott frei und ledig ist in sich selber. Es ist höher denn Erkennen, und höher denn Liebe und höher denn Gnade. Denn alles dieses hat noch Unterschied. In dieser Kraft blühet und grünet Gott mit all seiner Gottheit, und der Geist blühet in Gott. In dieser Kraft gebiert der Vater seinen eingebornen Sohn, so wesentlich als in ihm selber; in diesem Lichte wird der heilig Geist. fol. 274, 297, 308, 301.
St. Paulus spricht: Alles das ich bin, das bin ich von der Gnade Gottes. Diese Worte sind wahr und doch war die Gnade nicht in ihm. Denn die Gnade hatte gewirkt und hatte Paulum gebracht in das Wesen, und dann hat die Gnade ihr Werk vollbracht. Da aber die Gnade ihr Werk vollbracht hatte, wurde Paulus was er in Ewigkeit war. Dann hat der Mensch die wahre geistige Armuth, und hat keinen Unterschied, und weiß weder von Gott noch von Creatur noch von sich selber, und hat weder Vor noch Nach, und erwartet kein zukünftiges Ding, und kann weder gewinnen noch verlieren. Darum bitte ich Gott, daß er mich quitt mache Gottes (daß er von Gnade mich bringe ins Wesen), denn Wesen ist über Gott und über Unterschied. fol. 307, 308.
[S. 27]
Als viel du dich bekehrest von dir selber und von allen geschaffnen Dingen, als viel wirst du gereiniget und beseliget in diesem Funken der Seele, der unberühret ist von Ort und Zeit. Dieser Funke widerspricht allen Creaturen und will nur den bloßen Gott, wie er in sich selber ist. Diesem Funken genüget weder an Vater, noch Sohn, noch heiligem Geist, noch an den drei Personen, alsfern eine jegliche bestehet in ihrer Eigenschaft. Ich will noch mehr sprechen, das noch wunderlicher lautet. Ich sprech es bei der ewigen Wahrheit, und bei der immerwährenden Wahrheit und bei meiner Seele, diesem Lichte genüget nur an dem überwesentlichen Wesen. Es will in den einfältigen Grund, da die Personen ausbrechen, in die stille Wüste, da Niemand daheim ist, in das Eine, da kein Unterschied scheinet, in die einfältige Stille, die in ihr selber unbeweglich ist, von welcher Unbeweglichkeit aber alle Dinge beweget werden. fol. 301.
Da ich stund in meiner ersten Ursache, da hatte ich keinen Gott, da war ich mein eigen, ich wollte nicht, ich begehrete nicht, denn ich war ein ledig Seyn und ein Erkenner meiner selbst nach göttlicher Wahrheit. Was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und ich stund ledig Gottes und aller Dinge. Aber da ich entging meinem freien Willen und empfing mein geschaffen Wesen, da hatte ich einen Gott. Denn ehe die Creaturen waren, war Gott nicht Gott; er war nur was er war. Da die Creaturen wurden und empfingen ihr geschaffen Wesen, da war Gott nicht in ihm selber Gott, sondern in den Creaturen war er Gott. Nun sprechen wir, daß Gott, alsfern er Gott ist, nicht ist ein vollkommen Ende aller Creaturen; und hätte eine Fliege Vernunft und möchte sie vernünftiglich suchen den Abgrund göttlichen Wesens, dann müßten wir sprechen, daß Gott, alsfern er Gott ist, nicht möchte die Fliege erfüllen oder ihr genügen. Darum bitte ich, daß ich Gottes ledig werde, und nehme die Wahrheit und gebrauche die Ewigkeit, in der ich stund, da ich war was ich wollte und wollte was ich war. In diesem Durchbrechen bin ich und Gott Eins; da nehme ich weder ab noch zu; da bin ich ein Unbewegliches, das Alles beweget. fol. 307, 308.
[S. 28]
Da ich stund in dem Grund der Gottheit und in dem Boden der Gottheit und in dem Revier der Gottheit und in dem Quell der Gottheit, da fragte mich Niemand, was ich wollte oder was ich thäte. Da ich floß aus, da sprachen alle Creaturen von Gott. Fragte man mich: Bruder Eckart, wann ginget Ihr von Hause? da war ich darinnen. Warum sprachen sie nur von Gott und nicht von der Gottheit? Gott und Gottheit hat Unterschied. Alles das in der Gottheit ist, ist Eins und davon ist nicht zu sprechen. Gott wirket, in der Gottheit ist kein Werk, sie ist still und unbeweglich in sich selber. Wenn ich komme wieder in die Gottheit, so ist mein Durchbrechen edler als mein Ausfließen, denn ich bringe alle Creaturen mit mir in meiner Vernunft. Wenn ich komme in den Grund der Gottheit und in den Boden der Gottheit und in das Revier der Gottheit und in den Quell der Gottheit, so fragt mich Niemand, wannen ich komme oder wo ich sey gewesen, und Niemand vermisset mich, denn hier ist eine Entwerdung. fol. 302.
Viele gelehrte Leute mögen nicht leiden, daß man die Seele so nahe ins göttliche Wesen setzt und ihr so viel göttliche Gleichheit zueignet. Das ist davon, daß sie den Adel der Seele aufs allerhöchste nicht erkennen, denn erkennten sie den Adel der Seele aufs allerhöchste, dann wüßten sie nicht an etlichen Puncten, wo sie Unterschied sollten finden zwischen ihr und Gott. Mich aber wundert (und dies Wunder hat mich lange bekümmert), daß die Seele nicht also kräftiges Wort aussprechen mag, wie der himmlische Vater. Die Meister sprechen, es sey davon, daß, was in Gott ist, das ist in Gott wesentlich, in der Seele aber bildlich, und darum möge die Seele nicht Gott gleichen an ihren Werken. Diese Rede halte ich nicht für wahr. Denn leget man ab, was der Seele zugelegt ist, so ist sie wesentlich nach Gott gebildet. Andere Meister sprechen: Was Gott ist, das hat er Alles von ihm selber, aber was die Seele hat, das hat sie empfangen, davon mag sie Gott nicht gleichen an ihren Werken. Diesem widersprech ich aber allzumal. Denn der Sohn hat auch empfangen vom Vater Alles das er ist und wirket doch gleich dem Vater, denn er und der Vater gießen aus den heiligen[S. 29] Geist mit gleicher Kraft und Vollkommenheit. Dieses also mag die Seele nicht hindern. Es ist eine andere Rede, die die Seele hindert; an dieser lasse ich mich ein wenig genügen. Das ist, daß der Sohn ist geflossen aus der Person des Vaters und ist in ihm geblieben wesentlich, und darum vermag er wesentlich und persönlich Alles das der Vater vermag, die Seele aber ist ausgeflossen von den Personen und nicht im Wesen geblieben. Mehr, sie hat empfangen ein fremdes, (ein ungleiches) Wesen, das vom göttlichen Wesen geursprunget ist. fol. 278.
Wie du liebest, also bist du. Liebst du die Erde, so bist du irdisch; liebst du Gott, so bist du göttlich. Wenn ich denn Gott liebhabe, werde ich dann Gott? Das sprech ich nicht, sondern ich weise euch zur Schrift, wo Gott spricht: Ihr seyd Götter und Kinder des Höchsten. fol. 246.
Wir sollen mit Gott vereinigt werden wesentlich, wir sollen mit Gott vereinigt werden einlich, wir sollen mit Gott vereinigt werden gänzlich. Wie sollen wir wesentlich mit Gott vereinigt werden? Das soll geschehen an der Schauung und nicht an der Wesung. Sein Wesen mag nicht unser Wesen werden, sondern soll unser Leben seyn. Davon sprach auch Christus: Der Dich, Vater, erkennet, das ist ein ewig Leben. Er sprach nicht: Das ist ein ewig Wesen. fol. 277.
Die Seele ist ein seliger Spiegel. Nun fragt man, wo das Wesen des Bildes am eigentlichsten sey, in dem Spiegel, oder im Gegenstande, von dem es ausgehet. Antwort: Dieweil der Spiegel meinem Antlitz gegenüberstehet, so ist mein Bild darin; zerbräche der Spiegel, so zerginge auch das Bild. fol. 287.
Das Auge, darin ich Gott sehe, ist dasselbe Auge, darin Gott mich sieht. Mein Auge und Gottes Auge ist ein Auge und ein Gesicht und ein Erkennen und eine Liebe. fol. 313.
Da ich heute hieher ging, dachte ich, wie ich euch so vernünftiglich predigen möchte, daß ihr mich wohl verstündet. Da[S. 30] erdachte ich ein Gleichniß und könntet ihr dies wohl verstehen, dann verstündet ihr den Sinn, den Grund und die Meinung aller meiner Predigten. Und das Gleichniß war genommen von meinen Augen und dem Holze. Wird mein Auge aufgethan, so ist es ein Auge; ist es geschlossen, so ist es dasselbe Auge und durch das Sehen gehet dem Holze weder was ab noch zu. Nun verstehet mich recht. Wird mein Auge aufgethan und auf das Holz geworfen mit einem Ansehn, so bleibt ein Jegliches das es ist, und doch werden sie in der Wirklichkeit des Gesichtes so Eins, daß man sagen muß, das Auge ist Holz und das Holz ist Auge. Wäre nun aber das Holz ohne Materie und geistlich wie mein Auge, dann möchte man mit Wahrheit sprechen, daß in der Wirklichkeit des Gesichtes das Holz und mein Auge bestünden in einem Wesen. Ist nun dieses wahr von leiblichen Dingen, viel mehr ist es wahr von geistlichen Dingen. fol. 300.
Ich nimm ein Becken mit Wasser und lege darin einen Spiegel und setze es unter das Rad der Sonnen. Die Sonne wirft aus ihren lichten Schein in den Spiegel und vergehet doch nicht. Das Widerspielen des Spiegels in der Sonne ist Sonne in der Sonne, und der Spiegel ist doch das er ist. Also ist es um Gott. Gott ist in der Seele mit seiner Natur und seinem Wesen und seiner Gottheit, und er ist doch nicht die Seele. Das Widerspielen der Seele in Gott ist Gott in Gott und die Seele ist doch das sie ist. fol. 301, 302.
Wer diese Predigt hat verstanden, dem gönn ichs wohl. Wäre hier Niemand gewesen, ich müßte sie diesem Stock gepredigt haben. Wer diese Predigt nicht hat verstanden, bekümmere sein Herz nicht damit, denn so lange der Mensch selber nicht gleich ist dieser Wahrheit, so lange wird er sie nicht verstehen, denn es ist eine unbedachte Wahrheit, die gekommen ist aus dem Herzen Gottes ohne Mittel. fol. 302, 308.
[S. 31]
Hat der Leser durch den hier mitgetheilten Auszug eine allgemeine Vorstellung gewonnen von dem mystischen Grundton, den Meister Eckart angeschlagen hat, so haben wir hiedurch einen Ausgangspunct erhalten für eine umfassendere Betrachtung, in welche wir einen größeren Kreis hiehergehörender mystischer Schriften hineinziehen. Indem wir nicht bei den gegebenen Mittheilungen aus Eckart stehen bleiben, sondern in der Entwickelung des mystischen Bewußtseyns seine Predigten fortwährend im Auge behalten, betrachten wir ihn doch von jetzt an nur in einem umfassenderen Zusammenhange, weil wir nicht sowohl die Schilderung einzelner Individualitäten beabsichtigen, als vielmehr die Betrachtung und Beurtheilung des mystischen Geistes, der größtentheils durch ihn geweckt und hervorgerufen ist. Außer ihm habe ich besonders auf die oben genannten Mystiker Rücksicht genommen., Obgleich Ruysbroock wesentlich in dieselbe Kategorie gehört, habe ich doch wegen seiner abstrusen, nicht selten schwülstig-phantastischen Darstellung so gut wie keine besondere Rücksicht auf ihn genommen. Soweit ich ihn kenne, gibt er keine neue Gesichtspuncte und in der Reinheit des Ausdrucks wird er von den Anderen weit übertroffen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß wir, um der deutschen Mystik ihre eigenthümliche Stelle anzuweisen, zugleich eingehen müssen in das allgemeine Wesen aller Mystik.
[S. 32]
Der Akosmismus und der Atheismus bezeichnen die Vorstellung, die sich beim Lesen Eckarts zunächst aufdrängt, nemlich die Vorstellung des Pantheismus. Wird schon der aufmerksame Leser Eckarts bei näherer Erwägung finden, hier sey mehr als Spinoza, so ist doch nicht zu zweifeln, daß dasselbe, was zunächst die Aufmerksamkeit und das Bedenken des Papstes erregte, auch bei christlichen Lesern der Gegenwart zunächst Aufmerksamkeit und Bedenken erregen wird. Eben dieses Bedenkliche ist es aber, was zunächst diese Predigten von der großen Masse gewöhnlicher Erbauungsschriften ausscheidet und ihnen eine bleibende Stelle in der philosophischen und theologischen Litteratur sichert; ja es ist dasselbe, das ihren tieferen religiösen Gehalt bedingt und die höhere Einsicht in die christlichen Geheimnisse, die sich hier an so vielen Stellen ausspricht, möglich macht. Der Pantheismus ist die erste, unmittelbarste Gestalt, in der die Idee sich dem Denken faßlich macht, wenn dieses sich von der traditionellen, herkömmlichen Betrachtung der Dinge losgemacht und den Boden der Speculation betreten hat. Er ist das allgemein Speculative in aller Speculation, das reine Universale der Philosophie, das an allen Puncten der philosophischen Weltanschauung circulirt, der flüchtige Elementargeist des reinen Denkens, der die organischen, concreten Gestalten des Geistes fortwährend durchströmen und verjüngen muß. Das philosophische Denken strandet an der Sandbank der Endlichkeit, es stagnirt in der Prosa, wenn nicht der frische Hauch des Pantheismus als die fortwährende Negation der Prosa das System durchweht. Der Pantheismus ist nicht nur das allgemeinste Lebenselement der Philosophie, sondern[S. 33] auch der Religion. Ist es wahr, daß Gott nicht blos ein figürliches, sondern ein wesentliches und wirkliches Daseyn in der Seele hat, dann muß auch in aller Religion ein pantheistisches Element vorhanden seyn; fehlt dieses der religiösen Andacht und Begeisterung, dann fehlt ihr auch die wahre Unmittelbarkeit, denn die unmittelbare Gegenwart Gottes in der Seele ist nicht verschieden von seiner wesentlichen Gegenwart, auf welche alle religiöse Gewißheit sich gründet. Die Alles durchdringende Substantialität Gottes aber ist die eigenthümliche Idee des Pantheismus. Aus dieser frischen Quelle religiöser und speculativer Begeisterung haben jene alten Mystiker in vollem Maaße geschöpft; namentlich ist Eckart absolut erfüllt und durchdrungen von dem Gedanken, daß es die Gottheit und nur die Gottheit ist, in der wir leben, weben und sind. Und er ist in diesem Gedanken nicht nur begeistert, sondern verzückt, so daß noch eigentlicher von ihm, als von Spinoza gesagt werden kann, er sey ein gotttrunkener Mensch.
Der Pantheismus, sagten wir, ist der erste Gedanke, den die Speculation aussprechen muß, wenn nicht nur die Vorstellung, sondern der Gedanke Gottes als des absoluten Wesens ihr aufgeht. Dieser Gedanke heißt: »Nur Gott ist und außer Gott ist Nichts« (praeter deum nihil). Gott wäre nicht Gott, er wäre nicht das absolute, all-einige Wesen, wenn neben ihm noch ein Anderes, von ihm selbst Verschiedenes wäre. Nicht zu irgend Etwas außer ihm, wodurch seine Unbedingtheit begrenzt würde, sondern nur zu sich selber kann das alleinige Wesen sich verhalten. Erfüllt mit dem Gedanken von der absoluten Substantialität Gottes, faßt die Speculation den kühnen Gedanken die Welt gleichsam aus dem Wege zu räumen, um der Gottheit Platz zu machen. Das Denken vermag nicht aus dem ewigen Cirkel der Gottheit herauszutreten und muß das Daseyn der Welt läugnen, um das Daseyn Gottes unverkürzt zu erhalten. Die Realität der Welt wird vom Denken als eine Scheinrealität aufgezeigt, das Daseyn der Welt ist nicht ihr eignes, sondern Gottes, und dieses nur erscheinende Daseyn der Welt muß durch ununterbrochenes Verschwinden und Vergehen von seiner illusorischen Wirklichkeit selbst Zeugniß ablegen. Die kosmischen Existenzen sind nur die transitorischen Accidenzen, die unselbstständigen Durchgangspuncte des[S. 34] alleinigen Wesens, ihr flüchtiger, vorübergehender Schein. Dieser Vernichtungsproceß der Endlichkeit ist es, der den Pantheismus als Akosmismus oder als Weltläugnung charakterisirt. Je mehr aber die Nichtigkeit der Welt diesem Erkennen offenbar wird, je mehr das Bewußtseyn von jedem endlichen Inhalte sich reinigt, desto mehr wird es von der einen, unvergänglichen Realität erfüllt und gesättigt; und wie die ganze Erscheinungswelt dem Blicke schwindet, wie ihre vielen bunten Lichter nach und nach erlöschen, geht das eine, ewige Licht in ungetrübter Klarheit dem schauenden Geiste auf. Es ist die via negationis, der Weg der Verneinung des Endlichen, auf welchem sich der Geist zum Bewußtseyn Gottes erhebt. Aus dem Wissen von der Eitelkeit aller Dinge entsteht ihm die unverwüstliche Gewißheit von dem Einen, das nicht eitel ist. Diese via negationis ist die Einleitung zu aller speculativen Theologie, die Vorschule, in der das Bewußtseyn sich gewöhnt das Leben sub specie aeterni zu betrachten, wo es genöthigt wird die vulgäre Betrachtungsweise abzulegen, welche Gott nur in endlichen Beziehungen aufzufassen vermag, aber sein reines, relationsfreies Seyn in sich selber ignorirt. Der Akosmismus ist so der generellste Ausdruck für die Befreiung des philosophischen und religiösen Geistes von der Endlichkeit und sein Auftauchen ins Element der Ewigkeit. Der von der Weltschwere befreite Geist schwebt in Gott wie der Vogel in der Luft; er schwimmt in Gott wie der Fisch im Meer.
Der aus der via negationis resultirende Akosmismus ist nun die allgemeine Grundlage der Gotteserkenntniß in der mystischen Theologie und tritt in kräftigster Energie hervor in Meister Eckart und seinen Geistesverwandten. Der edelste Name Gottes ist »Wesen« und Wesensschauung ist das höchste Ziel dieser Theologie; aber es ist nur ein alleiniges Wesen, in dem Alles beschlossen und begriffen ist, und was außer diesem ist, ist nur ein Schein und ein Zufall (deutsche Theol. cap. 1). Es ist nicht in »Bildern« zu fassen; denn alle Bilder sind genommen von der Creatur, aber zum Verständniß des lauteren Wesens kommt man nur in einem unbildlichen Erkennen. Von der Mannichfaltigkeit muß darum die Betrachtung eingehen in die »Einfältigkeit«; von dem Unvollkommnen, dem Getheilten, dem Stückwerk muß sie[S. 35] kommen in das »Ungetheilte« und »Vollkommene«. Eine andere Kategorie, die in der mystischen Theologie häufig vorkommt, ist das reine »Nichts«. Das Nichts ist entgegengesetzt dem Ichts, dem Etwas. Alles, was als ein Etwas betrachtet werden mag, ist endlich, begrenzt, hat Anderes außer sich. Dieses Stückwerk heißt Creatur und kann sich selber nicht genug seyn, denn ein jegliches Etwas weiset hin auf eine Schranke, ein Gefängniß, und Gebrechlichkeit klebet ihm an. Das göttliche Nichts ist dem Mystiker identisch mit der unendlichen »Freiheit«; denn frei ist nur was nicht an einem Anderen haftet, was in sich selber schwebet und nur auf sich selbst bezogen ist. Wesen, Unbildlichkeit, Freiheit, reines Nichts sind Kategorien, auf welche hier fortwährend zurückgegangen wird.
Der Akosmismus bildet so einen Gegensatz zu der theologischen Denkweise, die auf dem kosmischen und anthropocentrischen Standpuncte stehen bleibt. Die Weise, sagt Meister Eckart, die des Wesens am allermeisten hat, heißet Substanz, und die Weise, die des Wesens am mindesten hat, heißet Relatio (fol. 287). Für die kosmische Theologie, die in endlichen Relationen denkt, ist Gott das höchste Object, aber doch nur ein Object unter den vielen Objecten, von denen das Ich umgeben ist; er ist der höchste Gedanke, aber doch nur ein Gedanke unter den vielen Gedanken, die im Ich vorhanden sind. Für den mystischen Akosmismus dagegen existirt nur ein wirkliches Object und er kennt nur einen wahren Gedanken. Wer die ganze Welt mit Gott nimmt, sagt Meister Eckart, nimmt nicht mehr, als nähme er Gott allein; denn alle Creaturen sind ein pures Nichts, nicht ein göttliches, sondern ein creatürliches Nichts. Dieser Akosmismus ist nicht die leere Abstraction der Endlichkeit, sondern deren Versenkung in die Unendlichkeit. Er verneint die Welt, insofern sie ein Leben ist (insofern sie ein endliches, zeitliches Daseyn hat), aber bejahet sie, insofern sie ein Wesen ist in Gott. »Wer die Dinge verläßt, wo sie getheilt und zerstückelt sind, findet sie wieder da, wo sie geeint und vollkommen sind.« Denn alle weltliche Existenzen werden als Idealitäten in Gott aufbewahrt, während sie als Realitäten vernichtet werden. Im göttlichen Nichts sind alle Dinge in ihrem Anfang und Ende. Es ist also kein Abstractum,[S. 36] sondern eine überschwängliche Lebensfülle, Alles in sich enthaltend. »Daß es genannt wird ein Nichts, das ist nur zu verstehen nach allem dem Ichts, das wir ihm nach creatürlicher Weise zulegen mögen. Denn, was man ihm in solcher Weise zulegt, das ist Alles in etlicher Weise falsch und seine Läugnung ist wahr. Aus dem so mag man ihm sprechen ein ewiges Nicht« (Suso pag. 289). Indem diese Theologie in Allem nur das Eine und Alles nur als das Eine betrachtet, tritt sie nie aus dem Kreise der Gottheit heraus.
Die in endlichen Relationen denkende Theologie fragt nur nach der Beziehung Gottes zur Welt, und namentlich, was er sey in praktischer Beziehung für das menschliche Ich; sie kennt nur den Widerschein des göttlichen Wesens in der Welt, aber nicht dieses selbst; sie weiß nur von einer göttlichen Offenbarung und Weltregierung, die nicht Gott selbst, sondern nur die Creatur zum Ziel hat. Auf diesem Standpuncte bezeichnen die göttlichen Eigenschaften nur die Beziehungen, in denen das Wesen Gottes von dem endlichen, beschränkten Denken des Menschen aufgefaßt werden kann, nicht aber die eignen Bestimmtheiten des göttlichen Wesens. Alle diese relative Gesichtspuncte erlöschen im mystischen Schauen. In der mystischen Contemplation stellt die Welt sich nicht als eine hemmende, unüberwindliche Schranke zwischen den Gedanken und Gott, sondern Gott wird geliebt und erkannt ohne alles »Mittel« der Creatur. Es ist nur auf dem Standpuncte einer niederen Betrachtung, daß die Welt, wie ein Stäubchen im sinnlichen Auge, das wahre Erkennen hindert. Gott zu erkennen in der Creatur ist die niedrigste Erkenntniß, die da heißet eine Abend-Erkenntniß, denn es ist nur der gebrochene Widerschein des göttlichen Wesens, was hier erkannt wird, während dieses, die ewige Sonne selbst, sich im Jenseits verbirgt; die Creatur aber in Gott zu erkennen ist eine höhere Stufe, die da heißet eine Morgen-Erkenntniß, weil die creatürlichen Gestalten in das hervorbrechende Licht aufgenommen und verklärt werden; wenn aber das göttliche Wesen an und für sich, ohne alle Reflexion, ohne allen creatürlichen Schein erkannt wird, dann steht der Gedanke in der absoluten Identität oder in der hellen Mittagssonne (Eckart fol. 279). Es ist nur das menschliche Ich selber, das dieser höchsten Erkenntniß im Wege steht; darum muß der Mensch seinem Ich, seinem creatürlichen[S. 37] Nichts absterben; die Seele muß aller Bilder entkleidet werden, denn das mindeste creatürliche Bild, das sich bildet zwischen der Seele und Gott, zerstört die Einheit. Und nicht darf die Seele Gott suchen um dieses und das, um ihren eigenen Nutzen oder ihre eigene Seligkeit, sondern sie muß seyn ohne alles Warum. Darum muß auch die Erkenntniß des göttlichen Wesens frei seyn von allem Affect, ein reines unpathologisches Denken. »Willst du Gott lauterlich erkennen«, spricht Meister Eckart, »dann mußt du ablegen alle Freude und Furcht, alle Zuversicht und alle Hoffnung; denn dies Alles ist creatürlich und hindert die Einheit. Dieweil du dieses ansiehest, siehest du Gott nicht« (fol. 258). Der gewöhnliche Ausdruck für den Zustand, wo die absolute Identität von Subject und Object, der Seele und Gott, eintreten kann, ist die vollkommene »Armuth«, denn Armuth haftet an Nichts. Als die durchgeführte Negation der ganzen Mannichfaltigkeit der Erscheinungswelt ist die vollkommene Armuth Eins mit der vollkommenen Unabhängigkeit und »Freiheit«; aber als die absolute Freiheit ist die Seele Eins mit dem göttlichen »Nichts«[17]. Mag es nun allerdings scheinen, als habe die Mystik sich über alle Relation erhoben, als sey das theoretische Interesse, das sich rein unpathologisch zu seinem Gegenstande verhält, ihr das Höchste, so wurzelt sie doch tief in einem praktischen und subjectiven Interesse; und obwohl sie den praktischen Standpunct negirt, der nur fragt, was Gott sey in Beziehung auf den Menschen, so fragt sie doch wesentlich nach demselben, aber auf eine unendliche Weise. Die mystische Theorie ist durch ein praktisches, subjectiv-religiöses Interesse vermittelt, und dieses ist es, was der Mystik ihren specifischen Charakter gibt im Unterschiede vom theoretischen Pantheismus. Dieses praktische Interesse ist nemlich die Sorge des Individuums um seine Seligkeit, und diese Rücksicht ist gleichsam der heimliche Faden, der[S. 38] die Seele auf allen ihren Wegen durch das Labyrinth der Betrachtung leitet. Die Erkenntniß des göttlichen Wesens ist für den wahren Mystiker nicht ein Anliegen der Wissenschaft, sondern eine Sache der Seligkeit, des Heils; und obgleich er nicht Gott der Seligkeit, sondern nur seiner selbst wegen suchen will, ist die Reflexion auf sich, die Selbstberücksichtigung doch nicht verschwunden. Der Mystiker hat nemlich gefunden, daß die Seele ihre Seligkeit nur finden könne in der absoluten Identität, das heißt in einem Verhältniß Gottes und des Menschen, das da wesentlich ist das unendliche Verhalten Gottes zu sich selber. Will man also das Wesen der Mystik im Allgemeinen bezeichnen, so kann man es bezeichnen als eine »Anweisung zum seligen Leben«, und nicht blos als eine Anweisung dazu, sondern als dieses Lebens reelle Praxis und wirklichen Genuß. Fichte's Anweisung zum seligen Leben ist vielleicht dasjenige Werk in der neueren Litteratur, das an Geist, Physiognomie und Sprache der alten Mystik am meisten ähnlich ist. Der historische Ausgangspunct der alten Mystik ist die Askese und das Mönchsleben. Das religiöse Gemüth, unbefriedigt von dem geschichtlichen Weltzustande, wo es nur lauter Eitelkeit siehet, will selbst für sein Heil sorgen, da der gewöhnliche Weg ihm nicht genüget. Es vollzieht einen praktischen Akosmismus, legt sich selbst Armuth, Keuschheit und Gehorsam auf, und zieht sich zurück in sein inneres Adyton, um hier das Ewige und Heilige zu finden, das es in der Welt vergebens suchte. Aber indem nun die Seele in stiller Einsamkeit ihren Gott sucht als das höchste Gut, wird ihre Betrachtung geläutert durch verschiedene Stadien in der Erkenntniß des Guten. Es wird erkannt, daß das Gute vom Wahren und Substantiellen nicht verschieden sey, daß das Wahre aber nicht vermischt sey mit Einzelnheit, Endlichkeit, Creatürlichkeit; es wird erkannt, um in der Sprache der Mystik zu reden, daß das vollkommene Gute, das der Mensch lieben soll, weder ist Dies noch Das, weder hie noch da, weder Ich noch Du, sondern nur das Eine, das da ist über alles Ich und Du, über alles Dies und Das, über alle Enden und Oerter; und in diesem einen Gut wird Alles geliebt, was Gut genannt werden mag, so daß man sagen muß: Alles in Einem, und Eins in Allem. Denn[S. 39] was da ist hie und da, das ist nicht allewege, und was da ist heute oder morgen, das ist nicht allezeit und über alle Zeit, und was da ist Etwas, das ist nicht Alles und über Alles. Wäre denn Gott Etwas, Dies oder Das, dann wäre er nicht das Vollkommene, sondern nur ein Stückwerk (deutsche Theol. cap. 30). Aber diese intellectuelle Liebe Gottes kann durch kein wirkliches Handeln realisirt werden, denn das wirkliche Handeln geht immer auf Dies oder Das; diese Liebe realisirt sich nur als unendliches Schauen und seliger Genuß im stillen Reiche der Ewigkeit. Ein einiger Augenblick göttlicher Schauung, wiederholen alle Mystiker nach Dionysius dem Areopagiten, ist mehr werth, denn alle die guten Werke, die die ganze heilige Christenheit wirkt in tausend Jahren.
Das höchste Gut ist also die unendliche Identität Gottes und der Seele, aber da das religiöse Individuum von der Wirklichkeit abgeschieden und gleichsam aus dem Contexte des Weltlebens herausgerissen ist, so kann sein Streben nach Vollkommenheit, die Praxis, die es übernimmt, damit es zum Ideale gelange, kein wirkliches Handeln seyn auf dem Gebiete der eigentlichen Sittlichkeit, die ihre Realität für das Bewußtseyn verloren hat. Dahingegen strebt es durch eine Reihe absoluter Handlungen zum Ziele zu gelangen, durch Buß- und Andachtsübungen, durch einen ununterbrochenen religiösen Cultus, in welchem die natürliche Individualität durch fortgesetzte Selbstopferung geläutert und gleichsam transsubstantiirt werden soll, damit das Verwesliche sich wandele in das Unverwesliche, das Zeitliche ins Ewige. Der mystische Reinigungsproceß bewegt sich durch alle Stationen, die zwischen der unmittelbaren Natürlichkeit und Sündhaftigkeit der Individualität und ihrer Vergottung liegen. Die Mystik ist gleichsam die Jacobsleiter, die Himmel und Erde verbindet, und an welcher der Mensch zur höchsten Einheit emporsteigen soll. Erst wenn die Seele durch fortgesetzte Negation der Endlichkeit alle Stationen zurückgelegt hat, kann der reine Akosmismus eintreten, der mit der völligen Auflösung der Individualität und ihrem Verschwinden in der Gottheit endigen zu müssen scheint. Allein wir werden in der Folge sehen, wie die christliche Mystik in demselben Momente, wo sie den Untergang der Individualität[S. 40] ausspricht, sich doch wieder selbst corrigirt und die Individualität restituirt. Es liegt in der Natur der Mystik, daß es ihr nicht völliger Ernst seyn kann mit dem reinen Akosmismus und mit der Läugnung der individuellen Unsterblichkeit der Seele. Die tiefe, unendliche Theilnahme der Seele an sich selber, die Selbstreflexion, worin die Mystik ihren Anfang nimmt, ist auch ihr wirkliches Ende; die Seele, die zur höchsten Vollendung gelangt ist und sich in den Abgrund der Gottheit versenkt hat, geht nicht verloren, denn sie weiß die Gottheit als ein eigenstes Selbst, als ihre unendliche Freiheit, sie weiß Sich als den unendlichen Identitätspunct. Mag der Mystiker auch momentan eine Vernichtung seines Ich wollen und mit dem kühnsten Muthe dieses aussprechen, es ist doch nur die weltliche Erscheinung, eine unvollkommene Gestalt, eine untergeordnete Potenz des Bewußtseyns, wovon er sich befreien will, denn die Freiheit selbst will nicht sterben und gebiert sich immer wieder aufs neue in einer höheren Potenz. Die religiöse Psyche, die aus Liebe sich selbst als Opfer verbrennt, ist nicht nur der ewig absterbende und verschwindende, sondern auch der ewig wiedergeborne und selige Punct, in dem die Gottheit unablässig pulsirt.
Dieses ist nun die nähere Bestimmung des mystischen Akosmismus; aber der eigenthümlich mystische Charakter desselben wird erst völlig klar werden, wenn wir ihn als Atheismus betrachten. Der Atheismus ist nur der Akosmismus aus einem anderen Gesichtspuncte gesehen. Es versteht sich von selber, daß hier nicht die Rede ist von dem Atheismus, der das Daseyn Gottes und der Idee überhaupt läugnet, weil er die Materie als die einzige Wirklichkeit setzt und, weit entfernt vom Akosmismus, nur die schlechteste Weltvergötterung ist. Der Atheismus, von dem hier die Rede ist, entspringt nicht aus Weltliebe, aus »Zärtlichkeit für die endlichen Dinge,« sondern indem er Gott verneinet, verneinet er ebensosehr die Welt und tritt als entschiedener Akosmismus hervor. Da die Mystik alle Endlichkeit, also alle Bestimmtheit negirt, kann sie nicht ausruhen in Gott als Gott, als welcher er auf die Welt bezogen ist, sondern sie sucht ihn als die Gottheit, als das ewige Nichts, daraus Alles, selbst die göttliche Persönlichkeit urständet. Dies ist ein hoher, ächt speculativer[S. 41] Gedanke. Der wahre Mystiker, der das innerste Mysterium sucht, vernichtet sowohl Gott als die Welt, um zu demjenigen zu gelangen, welches war, bevor noch Gott und die Welt waren. Er kann nur ausruhen in dem Ursprünglichen, in dem metaphysischen Anfang Gottes. Darum bittet Meister Eckart Gott, daß er ihn ledig mache Gottes, damit er ihn nicht mehr als Schöpfer oder in irgend einer anderen Bildung anschaue, sondern als die bloße, lautere Vernünftigkeit selber. Darum genüget ihm weder an Vater, noch Sohn, noch heiligem Geist, denn auch diese concreten Bestimmtheiten will er in ihrer Wesenswurzel und ihrem Quellpuncte ergreifen. Darum sehnt er sich zurück in seine erste Ursache, wo er war von Ewigkeit, in das lautere Wesen, das ungesprochene Nichts, wo da weder war Gott noch Creatur. Und er will nicht seine Seligkeit nehmen von der Güte Gottes, von dem beneplacitum seiner Gnade, sondern nur von der Gottheit in Gott; er sucht die substantielle Nothwendigkeit, das markige Wesen der Güte und jeglicher göttlichen Eigenschaft, die Essenz des Geistes, den gediegenen Kern aller Wirklichkeit und alles Lebens. Diesen Gedanken von dem reinen, metaphysischen Anfange Gottes hat Meister Eckart gepredigt mit einem logischen Enthusiasmus, mit der Energie des reinen Denkens, daß man oft unwillkührlich an Hegel erinnert wird, der jenen gediegenen, substantiellen Kern, aus welchem alle Wirklichkeit und alles Leben urständet, den Geist des Geistes, die in sich verhüllte, noch nicht als Gott und Schöpfer offenbare Gottheit als logische Idee ausgesprochen hat.
Hier aber ist der Punct, wo die Einseitigkeit des mystischen Bewußtseyns offenbar wird. Denn diese substantielle Gedankentiefe, dieser Urgrund entfaltet sich nicht zur logischen Idee, wie bei dem neueren Denker, sondern wird nur als ein unendliches Pleroma vorgestellt, als eine unergründliche Tiefe, ein wogendes Lichtmeer, in dem alle Farbe und alle Bestimmtheit verloschen ist. Und — dies eben ist das Mystische — dieses unmittelbare Mysterium, das sich noch nicht zur Offenbarung aufgeschlossen hat, wird als das wahre Mysterium festgehalten und die Identität mit diesem deus implicitus als das höchste Gut bestimmt. In dieser esoterischen Stille verschmilzt das mystische Bewußtseyn in[S. 42] heiliger Verschwiegenheit mit dem Unaussprechlichen und Namenlosen, das da höher ist denn alle Sinne und alles Verständniß. Dieses religiöse Mysterium wird gemeint, wenn nach dem Vorgange des Areopagiten gelehrt wird, Gott müsse aller Namen entkleidet werden, weil diese nur Unwahres von ihm aussagen; und aus diesem Grunde will die mystische Theologie lieber eine theologia ἀποφατικὴ seyn, welche Gott rein prädicatlos denkt, denn eine theologia καταφατική, welche das Wesen Gottes in bestimmten Prädicaten ausdrückt. Dieses meint Meister Eckart, wenn er an einer Stelle sagt, daß man Gott ehre, je mehr man ihn läugne, und daß man ihn mehr lobe mit Stillschweigen denn mit Namengeben. Aus diesem Grunde lehrt die Mystik die Unbegreiflichkeit Gottes, und sie behauptet consequent, daß Gott sich selber unbegreiflich sey; denn das Begreifen enthält die Bestimmtheit, die Negation, die Endlichkeit, die Grenze, welches Alles vom göttlichen Wesen ausgeschlossen ist. In die rechte Einheit mit diesem Mysterium gelangt die Seele erst durch die Ekstase, wo nicht blos Sehen und Hören, sondern alles articulirte Denken dem Bewußtseyn vergeht. Sie ist versunken in die Anschauung des reinen Lichts, das von der reinen Finsterniß nicht verschieden ist, weil gleich viel in beiden gesehen wird. Beide Ausdrücke kommen auch häufig vor in den Schriften der Mystiker, um dasselbe zu bezeichnen. Das mystische Bewußtseyn findet aber im reinen Wesen keine bleibende Stätte, darin es wirklich ausruhen könnte; denn mitten in dem unendlichen, überschwänglichen Pleroma sehnt es sich nach einem bestimmten Inhalt, und um diesen zu finden, muß es wieder ins Reich der Relationen hinabsteigen. Es steigt also wieder hinab in den Kreis der Dreieinigkeit, in welchem die Offenbarung Gottes an die Welt und seine versöhnende Erscheinung zur Erlösung der Menschheit enthalten und begriffen ist; kaum aber ist es in den Kreis der Offenbarung angelangt, so sehnt es sich wieder zurück nach dem Mysterium; es durchläuft die ganze via negationis aufs neue, um in das lautere Nichts einzudringen, und in diesem Wechsel kommt es nie zur wirklichen Ruhe. Die Seele oscillirt ununterbrochen zwischen dem verborgenen Gott und dem offenbaren, und hiedurch entsteht jenes clair-obscur des Bewußtseyns,[S. 43] welches das eigentliche Element der Mystik ist. Das mystische Bewußtseyn bewegt sich, ohne es selbst zu wissen, in einem dialektischen Widerspruch; es bewegt sich zwischen zwei Momenten, die es auseinander fallen läßt, ohne sie zusammenzubringen, und ihr Widerspruch besteht darin, daß sie die Gottheit außer Gott, das Esoterische außer dem Exoterischen, das Mysterium hinter der Offenbarung ergreifen will. Den Gedanken des reinen Wesens, der für das begreifende Denken nur eine aufzuhebende dialektische Bedeutung hat, hypostasirt es als einen selbstständigen, für sich bestehenden, geistigen Ort.
Wie aller Inhalt sich nur in der Form verwirklicht und nur in der Form seine eigne Fülle gewinnt, wie das Wesen, um das wahre Wesen zu seyn, in die Erscheinung übergehen muß, wie die Substanz nur im Begriffe Subsistenz gewinnt, so muß auch das Mysterium sich zur Offenbarung aufschließen, um die wahrhafte Tiefe zu gewinnen. Gott nur als Mysterium bestimmen heißt, ihn nur als das verschlossene Seyn, als das in starrer Ewigkeit unbewegt ruhende Wesen bestimmen. Dann aber fehlt diesem Mysterium die tiefste Wahrheit; es fehlt dieser Gottheit das wahrhaft Göttliche. Denn das wahrhaft Absolute ist nicht nur Seyn, sondern Werden, ewiges Leben aus sich selber, Gebären seiner selbst; es ist nicht nur Wesen, sondern Scheinen in sich selber, innere Spiegelung, Selbstoffenbarung. Allerdings ist hiemit die Negation, der Unterschied, der Gegensatz in Gott gesetzt, aber als die ewige Vermittelung des Gegensatzes ist die Offenbarung zugleich die sich selbstgenügende ewige Ruhe, die ungetrübte Klarheit des göttlichen Wesens. Die Mystik irrt nun nicht darin, daß sie annimmt, es sey dem Menschen vergönnt in die Tiefen der Gottheit einzudringen, sondern darin irrt sie, daß sie diese sucht im unmittelbaren Mysterium, anstatt sie im vermittelten, offenbaren Mysterium zu suchen, welches allein die wahre Tiefe und Höhe, die Länge und Breite des göttlichen Wesens enthält (Eph. 3, 18). Wie die Offenbarung urständet aus dem Mysterium, dem ewig, ursprünglich Seyenden, und ohne dieses Nichts zu offenbaren hätte, so muß andererseits das Mysterium aufgehen als Leben und Geist, was nur möglich ist durch die Aufhebung der Unmittelbarkeit[S. 44] vermittelst der Negation. Wäre das Negative nicht, wäre keine Endlichkeit in Gott, dann wäre auch kein Leben, kein Bewußtseyn und Wille, dann gäbe es keine Schöpfung, dann gäbe es weder Freude noch Leid, dann wäre Alles nur eine öde Stille, in welcher kein Geist sich bewegte, weder Gott noch Mensch. Damit aber Gott und Mensch und die ganze Mannichfaltigkeit der Creaturen sey, muß die Gottheit sich von sich selbst unterscheiden, daß ihr Mysterium aufgehe in Persönlichkeit; und nur der persönliche, der sich und der Creatur offenbare Gott ist der wahre Gott. Ein Mysterium ohne Geist und Offenbarung ist ein unaufgelöster Widerspruch, eine unsichtbare Schönheit, eine unthätige Güte, eine ungewußte Wahrheit, ein Licht ohne Auge. Die ewigen Wesenheiten, die im unmittelbaren Mysterium ruhen, erreichen erst ihre Wahrheit, wenn sie begriffen werden im Spiegel des Wissens. Es ist hier kein Unterschied zwischen der Wahrheit und dem Wissen von der Wahrheit; das Bild ist nicht ohne den Spiegel und der Spiegel nicht ohne das Bild; das göttliche Wissen ist selbst die Wahrheit, der göttliche Wille ist selbst das Gute. Wie nun Mysterium und Offenbarung ewig vermittelt sind im Geiste Gottes, so sollen sie es werden im Geiste des Menschen. Kein Mysterium würde den Menschen mit seinem unwiderstehlichen Zauber anziehen, der menschliche Geist würde an kein Mysterium glauben, hätte er nicht eine Ahnung davon, daß hier nicht nur Gottes, sondern sein eignes Geheimniß ruhe. Darum arbeitet und ringt der Geist, daß die Gottmenschheit offenbar werde in seinem Wissen und in seinem persönlichen Daseyn und Leben. Und andererseits wartet und harret das Mysterium auf den Menschen, daß er es befreie aus seiner Verborgenheit, daß Gott selbst im Menschen ein neues Moment seines Offenbarseyns gewinne.
Eben da, wo das mystische Bewußtseyn sein höchstes Ziel erreicht, verfehlt es seine Bestimmung als religiöses Bewußtseyn. Gott und Mensch werden in der mystischen Einheit in einer absoluten Indifferenz neutralisirt, während die wahre Einheit Gottes und des Menschen nur im Reiche der Offenbarung statt finden kann. In der Offenbarungseinheit bestehen alle qualitativen Unterschiede, also auch der wesentlichste Unterschied von allen,[S. 45] der Unterschied Gottes und der Creatur. Alle kosmische Existenzen, selbst die unbedeutendsten, treten hier in relativer Selbstständigkeit, in specifischer Differenz hervor. Der Pantheismus löst sie auf und verflüchtigt sie zu lauter Accidenzen und Modificationen; im Systeme der Offenbarung aber herrscht die Distinction und das principium individuationis. Indem nun alle creatürliche Existenzen, sowohl die bewußtlosen als die bewußten, doch nur als relative Offenbarungspuncte Gottes subsistiren und wie alle in Gott, so alle in einander und für einander leben und sind, wird das Einzelne mit dem Ganzen vermittelt, die Individualität sowohl aufgehoben wie bestätigt im Ganzen. Das Princip der Vermittelung aber fehlt der Mystik. Ihre Praxis will die Freiheit erringen durch Vernichtung der Weltlichkeit, durch eine unmittelbare Transsubstantiation des Zeitlebens in die Ewigkeit, anstatt das ewige Leben mitten im Zeitleben zur wahrhaften Erscheinung zu bringen. Ihre Theorie will die Wahrheit gewinnen durch Abstraction von den Bestimmungen des Denkens, anstatt die Wahrheit in die Gestaltung des Begriffs einzuführen. Aber in dieser Abstraction von der Endlichkeit vermag sie nicht consequent zu bleiben; sie verhält sich unsicher und schwankend, und meint gewöhnlich das Entgegengesetzte von dem, was sie sagt. Da nemlich im mystischen Bewußtseyn ein unablässiger Wechsel von Tag und Nacht statt findet, indem es bald in dem verborgenen Gotte, bald in den lichten Regionen der Offenbarung versirt, so spricht es in diesen letzteren die tiefsten Offenbarungswahrheiten aus, ja sie vermittelt momentan die höchsten Probleme der christlichen Speculation, so daß man sich nur darüber wundern muß, daß ein Bewußtseyn, welches die Wahrheit geschaut hat und diese Erkenntniß auszusprechen vermag, dennoch die Wahrheit hinter der Wahrheit sucht. Für uns können jene Blicke ins Reich der Offenbarung als ewige Wahrheiten, als leitende Lichtpuncte stehen; für das mystische Bewußtseyn selbst verschwinden sie wieder in die Nacht des reinen Nichts. Denn obgleich die Mystik die Grundzüge des Begriffs anschaut, besitzt sie doch nicht die Kraft diese festzuhalten; sie ist ihrer selbst nicht mächtig und also auch nicht im vollen Besitze ihrer eignen Gedanken. So wird in demselben[S. 46] Athemzuge der reinste Akosmismus und die christliche Anschauung von der Realität der Endlichkeit und des creatürlichen Seyns von ihr ausgesprochen. In den angeführten Bruchstücken aus Meister Eckart wird der Leser mehrere solcher Antinomien gefunden haben, welche oft in derselben Predigt ausgesprochen werden, ohne vermittelt, ja ohne bemerkt zu werden. Die Mystik gehört daher recht eigentlich in die Phänomenologie des religiösen Geistes.
Versuchen wir nun nach dieser Darlegung der Momente des mystischen Bewußtseyns diese in ihrem allgemeinen Grunde zusammenzufassen, so zeigt sich dieser als subjective, unvermittelte Einheit der Religion und der Philosophie. Hierin liegt der eigenthümliche Gehalt der Mystik, das Interessante und Anziehende an ihr, aber hierin liegt zugleich ihre Unwahrheit. Die Einheit der Religion und der Philosophie ist das Höchste, aber die wahre Einheit ist nur diejenige, die sich aus ihrem Unterschiede und ihrer Sonderung herausstellt, wenn der wissenschaftliche Gedanke und das religiöse Gemüth eine freie Versöhnung eingehen. Allerdings ist das Speculative nicht jenseits des religiösen Bewußtseyns, implicite ist die Philosophie in der Religion enthalten. Aber die Mystik ist mehr als Religion, denn der philosophische Trieb ist so stark geworden, daß das Speculative als solches zum Durchbruch kommt. Andererseits ist sie nicht Wissenschaft; ihr Denken ist Andacht, ihr Forschen ist Cultus, der Gedanke haftet ganz am religiösen Subject und dessen frommen Zuständen. Religion und Speculation, diese Zwei sind nur ein unmittelbares Eins im mystischen Subject. Darum kann die Religion nicht wirklich Object werden für die Speculation, und ebensowenig kann die Speculation sich selber Object werden. Dieses würde den Unterschied und die Sonderung beider voraussetzen, dann aber wäre das Bewußtseyn nicht mystisch, denn seine Mystik besteht eben darin, daß es sich selber nicht offenbar ist, daß weder sein unendlicher Inhalt noch sein eignes Selbst ihm gegenständlich wird. Das Speculative ist hier nur vorhanden als ein sich aus der Religion entwickelnder mächtiger Trieb, welcher dasjenige zu setzen sucht, was die Religion ursprünglich ist, nemlich die Versöhnung der Gegensätze des Lebens, namentlich die Versöhnung[S. 47] Gottes und des Menschen. Die erste unmittelbare Form aber die Gegensätze in die speculative Einheit aufzulösen ist der Gedanke der absoluten Substantialität, der pantheistische Gedanke. Wie ein sprudelnder Quell kommt dieser Gedanke zum Durchbruch im religiösen Gemüth und überströmt den festen, positiven Inhalt der Religion. Das Subject besitzt nicht die Macht den Strom zu beherrschen und zu leiten, sondern ist immer nahe daran im Strome zu ertrinken, weil es ihn nicht außer sich bekommen kann, weil es seinen eignen Gedanken nicht als Object zu setzen vermag, sondern von ihm wie trunken ist. Dazu würde erfordert, daß Philosophie und Religion wirklich gesondert wären, daß das philosophische Ich sich unterschiede vom religiösen Ich. Dieses aber ist eben auf diesem Standpuncte das Unmögliche, und das Subject muß an seinem eignen substantiellen Reichthum zu Grunde gehen, weil es ihn nicht gegenständlich zu machen weiß; es vermag seinen geistigen Schatz nicht zu entäußern, darum bleibt dieser ein ungesehenes Geheimniß. Dieses ist die Unfreiheit der Mystik. Wie viel sie auch von Selbstbetrachtung und Selbstbeschauung sprechen mag, sie kommt doch nie wirklich dazu sich selbst zu sehen, weil es ihr an der nöthigen Doppeltheit des Bewußtseyns, an der inneren Selbstunterscheidung fehlt. In seiner substantiellen Identität mit sich ist das mystische Bewußtseyn sich selbst ein unsprechliches Geheimniß, ein schweigendes Mysterium. So sagt Eckart von sich selber, er hätte gestanden in dem Grunde der Gottheit und in der Tiefe der Gottheit und in dem Quell der Gottheit. Dieses ist nicht nur zu verstehen von der ideellen Präexistenz der Seele, sondern es ist ebensosehr zu nehmen als eine Beschreibung des mystischen Zustandes. Denn wenn das Bewußtseyn sich in seinen eignen substantiellen Grund verhüllt, dann steht es in der Tiefe der Gottheit, wo es weder weiß noch will, weil ein jeglicher Gegenstand, ein jegliches Verhältniß von Subject und Object aufgehoben ist. Das Offenbarungsbewußtseyn ist nun das nothwendige alterum des mystischen Bewußtseyns, denn nur aus jenem producirt sich dieses, und das oben besprochene Reflexionsverhältniß von Mysterium und Offenbarung ist hiemit gegeben. Wenn nun im Kreise der Offenbarung[S. 48] die Identität von Subject und Object oft in speculativer Wahrheit ausgesprochen wird, so läßt diese sich doch nicht festhalten, weil das Subject sich selbst nicht als wahrhaftes Subject seiner eignen Gedanken festzuhalten vermag. Die Gegenstände der Offenbarung können nicht festgehalten werden, weil das Subject sich selbst nicht wahrhaft gegenständlich ist. Es ist sich selber unsichtbar, und da die Unsichtbarkeit seine eigne Natur ist, sucht es die Offenbarung hierauf zurückzuführen. So wird auch das Geschichtliche, das Factisch-Gegenständliche der Offenbarung immer aufs neue aufgelöst und in ein Inneres, in eine reine Wesenheit verwandelt, welche in der stillen Identität der Seele verschlossen und versiegelt wird. Den Dualismus von Mysterium und Offenbarung, welcher das Wesen dieses Bewußtseyns ausmacht, legt es, ohne es selbst zu wissen, hinein in das göttliche Wesen selbst.
Die so oft besprochene Lehre von der Unbegreiflichkeit Gottes wird durch die Betrachtung der Mystik von einer wesentlichen Seite beleuchtet. Die verschiedenen Proteusgestalten, in welchen diese Lehre zu verschiedenen Zeiten erschienen ist, lassen sich nemlich alle auf zwei Hauptgesichtspuncte reduciren, von welchen der eine in objectiver, der andere in subjectiver Beziehung die Unbegreiflichkeit Gottes lehrt. Der objective Standpunct, oder derjenige, welcher lehrt, Gott sey an sich selber ein unbegreifliches Wesen, und die Unbegreiflichkeit gleichsam zur göttlichen Grundeigenschaft macht, ist eben der mystische. Gott ist an sich selber unbegreiflich, denn im Begriffe ist die Endlichkeit enthalten, Gott aber ist das eine, unterschiedslose Wesen. In dieser Bedeutung muß allerdings die Unbegreiflichkeit Gottes zugestanden werden, denn nur das in sich Vermittelte läßt sich begreifen. Insofern Gott im unmittelbaren Mysterium, im reinen An-sich-seyn gefaßt wird, muß gesagt werden, er werde vielmehr gar nicht gefaßt, und es habe Keiner Gott gesehen, weil er wohne in einem unzugänglichen Lichte. Jene innerste Tiefe der Gottheit ist unbekannt und wird nimmermehr erkannt; hier ist die Gottheit sich selber unbekannt, weil sie sich noch nicht in Subject und Object unterschieden hat. Aber ebensosehr muß das Mangelhafte und Endliche jenes Mysteriums aufgezeigt werden, der Widerspruch, welcher darin enthalten ist, Gott nur als ruhendes,[S. 49] in sich verschlossenes Seyn zu denken, ohne fortzuschreiten zum Offenbarseyn, zum lebendigen Geiste. — Der subjective Standpunct ist der rationalistische, welcher lehrt, daß Gott, ob auch sich selber begreiflich, doch dem Menschen unbegreiflich sey, weil alle menschliche Begriffe nur endliche seyen. Dieser Lehre zufolge kann der Mensch nie über seinen subjectiven und beschränkten Horizont hinauskommen. Ihren höchsten wissenschaftlichen Ausdruck hat diese Denkweise in der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts gefunden. Wenn die Mystik Mysterium und Offenbarung auf abstracte Weise trennt, so trennt der Rationalismus göttliche Offenbarung und menschliches Selbstbewußtseyn und scheidet, was Gott zusammengefügt hat. Auf diese Theorien lassen alle Lehren von der Unbegreiflichkeit Gottes sich reduciren und sind nur Modificationen des mystischen oder des rationalistischen Princips, oder von beiden zugleich. Denn die Frage, ob das vollständige, concrete Gottwissen schon in diesem αἰὼν oder erst in einem zukünftigen höheren αἰὼν vergönnt sey, diese empirische Frage ist allerdings von großer theologischer Wichtigkeit, läßt sich aber erst beantworten oder abweisen, wenn die Frage nach der an sich seyenden Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines absoluten Gottwissens erst erledigt ist. Die rein metaphysischen Gründe aber, aus welchen die Begreiflichkeit Gottes bestritten werden kann, sind in den angedeuteten Standpuncten gegeben.
Da der unaufgelöste Widerspruch von Mysterium und Offenbarung allen Formen der Mystik gemeinsam ist, so kann die christliche Mystik ihren specifischen Charakter, wodurch sie sich von jeglicher andern Mystik unterscheidet, nur von derjenigen Offenbarung erhalten, über welche sie hinauszukommen sucht. In der mystischen Nacht, jenseits der Grenzen der Offenbarung, können christliche und nicht-christliche Mystiker nicht unterschieden werden. Es ist nur am Ausgangspuncte ihrer Wanderung und am Wege, wo sie beim Lichte der Offenbarung unterschieden werden können; am Ziele aber sind sie alle Eins. Es erhellt aber, daß diejenige Mystik, welche sich durch den reichsten Offenbarungsinhalt bewegt, auch die reichste Gedankenfülle entwickeln wird, und das mystische »Nichts« erhält seine nähere Bedeutung[S. 50] durch das »Ichts« oder Etwas, welches seine reale Voraussetzung ist. Der Offenbarungskreis nun, welcher Voraussetzung ist für die christliche Mystik, wird beschrieben von der Dreieinigkeit, in welcher die Gegensätze der Schöpfung und der Menschwerdung Gottes, der Sünde und der Erlösung enthalten sind. Hiemit ist eine Betrachtung der Endlichkeit gegeben, welche sich vom Akosmismus scharf unterscheidet. Nach christlicher Lehre ist die Endlichkeit nicht Nichts, sondern Etwas; es gibt eine von Gott wesensverschiedene Existenz, ein Leben, das sich reget und beweget außer Gott; es gibt eine creatürliche Ichheit, ein Denken, ein Wollen, das ein anderes ist, als das des allmächtigen Gottes. Die Sünde und das Elend des Menschen, die ganze empirische Noth des Irdischen, die Wehklage über die Eitelkeit dieser Welt, ist kein Schein, sondern tiefer Ernst; und die Erlösung von diesen negativen Mächten ist nicht nur die Befreiung des Gedankens vom Scheine, sondern die Zurückführung der Existenz in das wahre Grundverhältniß. Die Menschwerdung Gottes zum Heile der Menschheit ist kein Gedankenbild, Christus hat nicht einen Scheinleib angenommen, ist keine mythische Apparenz oder Theophanie, sondern in der Geschichte ist Gott Mensch geworden, ist eingegangen in die empirische Endlichkeit, hat ihr Kreuz in dessen ganzer Wirklichkeit auf sich genommen. Die eigenthümliche Betrachtung des Endlichen bildet den Mittelpunct in jeder Religion, wie auch die Endlichkeit das eigentliche Kreuz der Philosophie ist. Das christliche Evangelium, welches, um es in einem alten mystischen Symbole zu sagen, den Menschen die Rose im Kreuze und das Kreuz in der Rose zeigt, mußte nothwendig den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit seyn, weil es einerseits mit dem ästhetischen Akosmismus des Heidenthums, welcher die Endlichkeit wegidealisirt und ihren Stachel ignorirt, andererseits mit dem abstracten Monotheismus des ungläubigen Judaismus, welcher die Endlichkeit nur in ihrer prosaischen, nackten Gottverlassenheit auffaßt, im tiefsten Widerspruche steht. Die pantheistische Denkweise sieht in der Welt nur lauter Gott und lauter ideale Herrlichkeiten; der abstracte Theismus sieht in der Welt nur das nackte, prosaische[S. 51] Kreuz, bemerkt aber nicht die Rose der Ewigkeit in dessen Mitte.
Es ist die hier angedeutete Betrachtung der Endlichkeit, wodurch die christliche Mystik ihre eigenthümliche Färbung erhält, und wodurch sie sich sowohl von der orientalischen wie von der neoplatonischen, den beiden weltgeschichtlichen Gestaltungen der Mystik, welche der christlichen vorangehen, unterscheidet. Die via negationis, welche der christliche Mystiker durchzumachen hat, nimmt ihren Ausgangspunct von der mit der Sünde behafteten Creatürlichkeit, vom Schuldbewußtseyn und dem unendlichen Schmerz über die Sünde; sie bewegt sich durch den Proceß der Bekehrung und der Wiedergeburt, durch die christliche Heilsordnung. Der orientalischen und neoplatonischen Mystik aber fehlt es an dem tiefen ethischen Momente; sie strebt nur nach der abstracten Befreiung von der Endlichkeit, aber nicht von der sündhaften, schuldigen Endlichkeit. Der Pantheismus, der sich bei den persisch-mahomedanischen Dichtern ausspricht, ist von ächt mystischer Natur. Denn der Grundton in diesen Poesien ist die Liebe der Seele zu Gott und ihre Seligkeit durch Aufgebung des endlichen Ich[18]. Aber diese Seligkeit ist nicht errungen durch den harten inneren Kampf, durch Gewissensnoth und Seelenleiden; die Sorgen der Endlichkeit schweben nur wie leichte Traumwolken am poetischen Himmel. Die Contemplation ist mehr extensiv als intensiv; sie sieht die Gottheit in den Sternen, im Meere, in den Thautropfen, in der Blume, in der quantitativen Unendlichkeit der Natur, welche sie mit dem ganzen Luxus der morgenländischen Phantasie ausmalt. Sie wird nicht müde davon, die ganze Herrlichkeit der Natur in der einen absoluten Substanz zu Grunde gehen zu lassen, und da das Ich mit jedem Naturgegenstande sympathisirt, ist es selig, wenn es selbst wie der Thautropfen vor der Sonne verschwindet. Die Anweisung zum seligen Leben, welche diese Mystik verkündigt, führt zu einer unmittelbaren Lebensfreude, zu einem seligen Rausch im Universellen und Ewigen; es kostet dem Ich keinen schweren Kampf und keine Resignation[S. 52] sich selbst aufzugeben, denn die menschliche Persönlichkeit hat nicht die unendliche Wichtigkeit für sich selbst wie im Christenthum, da sie sich noch nicht deutlich von der Natur unterschieden hat. — Die neoplatonische Mystik kehrt zurück zur reinen Lichtanschauung des alten Orients und die Reinigung der Seele wird angestrebt durch Vernichtung des Stoffes, der Materie. Die idealistische Flamme hat alle Naturbetrachtung verzehrt, aber das Bewußtseyn der Sünde fehlt, und es ist hier kein Verhältniß eines reellen Gegensatzes von Gott und Welt, welche letztere nur ein doketischer Schein ist. Die christliche Mystik hingegen geht aus von einer gefallenen Welt. Unter allem Geschaffenen ist nur ein Punct, an welchem die Betrachtung haftet, nemlich das menschliche Ich, und unter allem Sichtbaren ist nur ein Bild, zu welchem sie unablässig zurückkehrt, nemlich das gnadenreiche Bild des Heilandes. Die Natur ist profan und die Seele, welche mit Natürlichkeit behaftet ist, ist sündhaft. Ein Gefühl durchdringt die Seele, der Widerspruch zwischen ihrer Wirklichkeit und ihrem ewigen Wesen, das Gefühl ihrer Creatürlichkeit, ein unendlicher Hunger und Durst nach Gott. Die Seele will nicht nur von der Sünde erlöset werden, sondern auch von der nackten Creatürlichkeit, welche sich sehnet mit dem unerschaffenen, unverweslichen Wesen überkleidet zu werden. Die Seele muß mit Gott vereinigt, in Gott verwandelt oder vergottet werden; das Creatürliche muß glorificiret, das Menschliche deificiret werden. Diese Einheit des Menschen mit Gott wird vermittelt durch Christus, den Mittler zwischen Gott und der Menschheit. Deshalb kann der Mensch nur deificiret werden, insofern er christificiret wird. Die Aufgabe der christlichen Mystik erhält so ihren concretesten Ausdruck, indem sie bestimmt wird als die Nachfolge Christi, welche keinesweges zu nehmen ist als eine nur moralische Nachfolge des lediglich im Gedächtnisse aufbewahrten Beispieles Christi, sondern als ein innerer, realer und wesentlicher Christificationsproceß.
Wenn so eine nähere Betrachtung der christlichen Mystik zeigt, daß sich hier eine doppelte Anschauung des Endlichen hervorthut, und daß die Widersprüche oft unvermittelt sich zur Seite stehen, so ist dieses theils eine nothwendige Folge des Begriffes[S. 53] der Mystik, theils der eigenthümlichen Natur des Mittelalters. Denn obgleich die äußere Gestalt des Mittelalters eine christliche war, so gährte doch in seinem Innern eine Mannichfaltigkeit von unverdauten, heidnischen Elementen, welche in sich zu verwandeln oder sich zu assimiliren das christliche Princip noch nicht die Macht hatte. So mußte ja die ganze Intelligenz des Mittelalters ihre Entwickelung an die heidnische Philosophie anlehnen, vermochte aber nicht den umgestaltenden und reinigenden Proceß damit vorzunehmen, welcher nöthig gewesen wäre, um in jeglicher Beziehung jene Philosophie dem christlichen Geiste als dienendes Organ anzueignen. Dasselbe gilt von der christlichen Mystik in ihrem Verhältniß zum Neoplatonismus, dessen pantheistischer Strom sich durch's ganze Mittelalter erstreckt.
Am reinsten und durchgeführtesten zeigt sich die neoplatonische Ansicht der Endlichkeit in der Mystik der griechischen Kirche, bei Dionysius dem Areopagiten. Die griechische Kirche steht dem Orient am nächsten; ihre speculative Geistesrichtung ist fast ausschließlich auf das Wesen und die inneren Verhältnisse der Gottheit gekehrt, wohingegen das Anthropologische, das Interesse am Menschlichen in den Hintergrund tritt. Ihre orthodoxe Dogmatik ist wesentlich Trinitätslehre, aber nicht so sehr eine Lehre vom dreieinigen Gotte, wie er sich in der Geschichte offenbart, als eine Lehre von seinem überweltlichen Seyn in sich selber. Dieses vorherrschende Interesse am Göttlichen mit Zurückstellung des Menschlichen wiederholt sich nun auch in der Mystik dieser Kirche. Allerdings ist auch die oben besprochene Amphibolie bei Dionysius vorhanden, da er das christliche Dogma zu seiner Voraussetzung hat, aber der Widerspruch ist oberflächlich, weil die Weltseite der Offenbarung, die schärfsten Puncte des Negativen, die Sünde, die Erlösung, die menschliche Natur Christi, keine rechte Wurzel im Bewußtseyn haben und gleichsam nur von außen ins Bewußtseyn hineinscheinen. Was den Areopagiten begeistert, ist nur die intelligible Welt, der Himmel der Ideen, welcher jenseits der menschlichen Wirklichkeit gelegen ist, das göttliche Licht und die Gemeinschaft der reinen, übermenschlichen Geister, zu welcher wir durch fortgesetzte Reinigung erhoben und für welche wir durch die mystische Symbolik des kirchlichen Lebens vorbereitet[S. 54] werden[19]. Aber das Bewußtseyn setzt nicht die volle Wirklichkeit der christlichen Offenbarung voraus, die anthropologische Seite des Christenthums hat kein wahres Leben gewonnen, und hiedurch unterscheidet sich die Mystik der griechischen von der Mystik der abendländischen Kirche, welche den vollständig entwickelten Offenbarungsgehalt zur Voraussetzung und Grundlage hat. Die Worte »Seele« und »Mensch« werden von den Mystikern des Abendlandes mit einem ganz anderen, volltönendern, tiefergreifenden Klange ausgesprochen, als in den dionysianischen Betrachtungen. Denn die Seele hat einen unvergeßlichen Blick gethan in sich selber, in den Abgrund der menschlichen Natur, von dessen Tiefe der griechische Mystiker nur eine ferne Ahndung hat. Es ist die tiefsinnige augustinische Betrachtung der menschlichen Natur, wodurch die Lehre von der Sünde und der Erlösung Grundlage der occidentalischen Anschauung wurde, und welche auch dazu beigetragen hat der abendländischen Mystik das eigenthümliche Gepräge zu geben. Dieses Gepräge findet sich nicht nur in der germanischen Mystik, sondern auch in der romanischen (die zweite Epoche der christlichen Mystik), welche ihre vornehmsten Repräsentanten in dem heiligen Bernhard und den Victorinern, in dem heiligen Franciscus und Bonaventura findet. Wir können die dionysianische Contemplation als die objective, die occidentalische Contemplation als die subjective Seite der christlichen Mystik bezeichnen.
Sollten wir mit einem Worte dieses Eigenthümliche der abendländischen Mystik ausdrücken, so würden wir es mit dem Worte »Gemüth« bezeichnen, und durch nähere Betrachtung dieses Begriffs werden wir auch den Unterschied der germanischen Mystik von der romanischen angeben können. Das Gemüth ist der innere Lebensheerd der geistigen Persönlichkeit, die in sich selbst gesammelte Seele, ihr Leben und Weben in ihrer esoterischen Unendlichkeit. Es ist nicht diese oder jene von den Kräften der Seele, sondern der innere Brennpunct ihrer ungetheilten Vereinigung. Es enthält die geistige Totalität als inneres Eigenthum des Individuums. Das religiöse Gemüth ist die ideale Verschmelzung der absoluten Wahrheit nicht nur mit dem allgemeinen,[S. 55] denkenden Ich, sondern mit dem wirklichen, empirischen Ich und in dieser Einheit fühlt der Mensch sich heimisch in der Wahrheit, denn die Wahrheit hat selbst individuelle Menschennatur angenommen, sie gestaltet sich gleichsam palpabel, begleitet den Menschen selbst durch die unbedeutendsten Verhältnisse des Lebens, mit einem Worte, sie wird fortwährend erfahren. Wie das Christenthum zuerst die Idee der geistigen Persönlichkeit hervorgerufen hat, so muß auch gesagt werden, daß die Erweckung des religiösen Gemüthslebens ihm zuzuschreiben sey. Das Christenthum enthält die unendliche Vereinigung nicht blos des allgemein Menschlichen, sondern des empirisch, individuell Menschlichen mit dem Göttlichen. Daß Gott ein einzelner Mensch geworden ist — in dieser umfassenden Wahrheit ist enthalten was das religiöse Gemüth sucht, ja was es selbst, ideal betrachtet, ist, das Absolute, zu einem einzelnen empirischen Puncte concentrirt, die unendliche Wahrheit, Gott selbst als einzelne, thatsächliche Erscheinung. Obgleich nun das Gemüth ein nothwendiges Moment des christlichen Bewußtseyns ist, so behaupten wir doch, daß es erst geschichtliche Bedeutung gewinne in der Entwickelung der abendländischen Kirche, weil die Idee der Erlösung, die Aneignung Christi erst hier epochemachend wird. Im Gegensatze zur Scholastik, welche diesen tiefen Inhalt in eine atomistische Dialektik zersplittert, sucht die Mystik die Totalität des Inhalts, dessen ungetheilte Lebensfülle zu bewahren, und legt ihr Ergreifen Christi und ihr Ergriffenseyn von ihm an den Tag als ein inneres Erleben, ein geistiges, seelenhaftes Wiederholen jener Vereinigung Gottes und des Menschen, welche in der Geschichte Christi objectiv angeschaut wird. Wie Gott sich als Kind in einer Krippe des Morgenlandes gebären ließ, so wird er jetzt aufs neue geboren in der einsamen Klosterzelle des Abendlandes. Erst in der lateinischen Kirche wird die Aufgabe der Mystik als Nachfolge Christi bestimmt. Nicht nur das große anthropologische Interesse, das von Augustinus ausging, trug dazu bei diese Innerlichkeit hervorzurufen, sondern auch die geistige Naturanlage der Völker und die Entwickelung des romantischen Princips. In der abendländischen Mystik ist jeder Gedanke, selbst der abstracteste, gemüthlich, weil er immer den Widerschein der[S. 56] Individualität an sich hat. Das Interesse am Menschlichen wird selbst da gespürt, wo der Gedanke sich in die abgelegensten und einsamsten Gegenden des göttlichen Wesens verirrt hat, und sein kühnster Pantheismus wird nur in seiner wahren Bedeutung erkannt, wenn er erfaßt wird in seinem lebendigen Quellpuncte, dem reichen, von Liebe erfüllten Gemüthe, dessen Verlieren seiner selbst eben sein höchster Fund ist. Es mag der Gedanke dieser Mystik hinauf gen Himmel fahren, oder in die abgründige Tiefe der Gottheit hinabsteigen, er findet doch zuletzt, daß die göttliche Natur nicht allein sey, sondern daß sie immer die menschliche an sich habe; er mag hinausziehen in die einsame Wüste des göttlichen Wesens, er findet doch auch hier Spuren der Menschheit. Die Mystik der griechischen Kirche kennt nur den Ausgang der Seele aus sich selber, aber nicht ihre Rückkehr, ihren Eingang in die eigene Tiefe.
Setzen wir nun das christliche Gemüth in der hier ausgesprochenen Bedeutung als die allgemeine Grundlage sowohl der romanischen wie der germanischen Mystik, so beruht andererseits der Unterschied dieser beiden Formen wieder auf dem verschiedenen Entwickelungsgrade, der Intensität und Tiefe des Gemüths. Dieser Unterschied erhellt näher, wenn wir das Verhältniß zu der gleichzeitigen Scholastik betrachten. Die Scholastik ist eine Philosophie ohne Empirie, ein Begriffsformalismus, der mit der Wirklichkeit in keine lebendige Vermittelung tritt. Das religiöse Dogma steht vor der Scholastik als eine fremde, undurchdringliche Positivität, welche in das kunstreiche Netz der Verstandesmetaphysik eingesponnen wird; allein dieses in der Luft schwebende Netz ist nur die äußere Form, in welcher der köstliche Schatz aufbewahrt wird, den Keiner anrühren darf, ja den Keiner recht zu sehen bekommt. Die Scholastik beweiset Alles, begreift aber Nichts. Im Gegensatz zu dieser nur mittelbaren Erkenntniß sucht das religiöse Gemüth eine Erkenntniß nicht aus Büchern oder menschlicher Kunst, sondern aus der Sache selbst. Sie will sich nicht zur Sache durch irgend ein fremdes Medium verhalten, sondern sie will sie kennen aus Empirie. Soll aber das Gemüth wirklich die Sache selbst haben, so muß es sich auch zum Gedanken entfalten können, es muß aus seiner Empirie die[S. 57] Idee entwickeln können, welche die Scholastik durch eine unendliche Schlußreihe zu ergreifen sucht. Und hierin zeigt sich der Unterschied der romanischen und der germanischen Mystik. In der romanischen Mystik ist das Gemüth mit einer Schranke behaftet, welche es nicht zu überwinden vermag. Es ist an die Formen der Vorstellung und des Gefühls gebunden; der Gedanke kann nicht als solcher zum Durchbruch kommen. Es ist nur ein religiöses, aber kein speculatives Gemüth, und bringt deshalb auch nur eine halbe Mystik hervor; das Gemüth vermag nicht seiner Empirie das speculative Gepräge zu geben, es fehlt ihm an der nöthigen Tiefe, woraus der reine Gedanke wie ein lebendiger Springbrunnen emporquellen könnte. Darum tritt diese Mystik nicht nur in Opposition zur Scholastik, wie im Kampfe des heiligen Bernhard's mit Abälard, sondern da sie doch das Bedürfniß der denkenden Betrachtung in sich hat, aber nicht aus dem eignen, freien Innern den Gedanken zu erzeugen vermag, so muß sie sich andererseits mit der Scholastik vereinigen und von dieser ihre Mittel nehmen. So sehen wir es besonders bei den Victorinern und bei Bonaventura. Nur »der Mann der Sehnsuchten« ist zur göttlichen Contemplation geschickt; Lesen darf nicht seyn ohne Salbung, Speculation nicht ohne Andacht, Forschung nicht ohne Bewunderung, Wissenschaft nicht ohne Liebe, Intelligenz nicht ohne Demuth, Studium nicht ohne göttliche Gnade[20]. Die Scale dieser frommen Affecte läuft parallel mit einem feinen scholastischen Raisonnement, anstatt daß in der ächten Mystik das Gefühl selbst den Gedanken aus sich gebiert ohne die Reflexionen der Schule zur Hülfe zu nehmen. Auf diese Weise erklärt es sich auch, wie Scholastik und Mystik in demselben Individuum vereinigt seyn konnten. Die Mystik ist dann nicht durchgeführt, sie ist nur eine fromme Askese, welche die Scholastik erbaulich macht und ihr eine größere Salbung gibt, sie ist aber nicht Totalität in sich selber. Die Vereinigung von Scholastik und Mystik beabsichtigt nur ein aequale temperamentum beider. Die metaphysischen Speculationen der Scholastik sollen durch die frommen Gefühle der Mystik regulirt und von der erbaulichen[S. 58] Seite dargestellt werden. Andererseits soll das verständige Raisonnement das mystische Gefühl reguliren und alle pantheistischen Ausbrüche abwehren. Obgleich eine solche Vermittelung der Religion und der Philosophie allerdings nicht in die Einseitigkeiten der ächten Mystik hineingerathen kann, so steht sie doch in speculativer Beziehung weit hinter dieser zurück, weil es ihr an inwohnender Geistesfreiheit fehlt. Im 15ten Jahrhundert hat Gerson in seinem Werke über die mystische Theologie die Grundzüge einer solchen verständigen, das heißt, nicht speculativen Mystik entworfen. Dieses Werk ist charakteristisch für die romanische Mystik, und ist ein treuer Spiegel der Eigenthümlichkeit Gerson's, dieses berühmten juste milieu's des Mittelalters, welcher in allen Richtungen die verschiedenen Gegensätze des Mittelalters zu temperiren suchte und allenthalben ein verständiges Gleichgewicht zu Stande bringen wollte, ohne doch eine wirkliche Versöhnung weder im Leben noch in der Wissenschaft bewirken zu können. Wir können die zweite Epoche der Mystik als die verständig reflectirende bezeichnen, wohingegen die erste und dritte Epoche (die griechische und germanische) als speculative, d. h. als wirkliche Mystik zu bezeichnen ist. Die reflectirende Mystik bewegt sich im Gegensatze von Glauben und Wissen, wie dieses namentlich im Kampfe des heiligen Bernhard's gegen Abälard erhellt, indem er in seiner Vertheidigung des Kirchenglaubens gegen die Irrlehren Abälard's zugleich die Unzulänglichkeit alles speculativen Denkens aufs eifrigste behauptet. Dieser Gegensatz findet nicht statt in der speculativen Mystik. Ihr Wissen reicht ebensoweit wie ihr Glaube, und so lange sie »Etwas« glaubt, wird sie auch durch ein bestimmtes Wissen befriedigt. Wo dagegen ihr Wissen ausgeht, verliert sich auch ihr Glaube ins Unaussprechliche. Ihr dialektischer Widerspruch ist nur Mysterium und Offenbarung. Dieser findet sich wohl auch in der reflectirenden Mystik, aber ohne speculative Pointe, denn sie treibt es nur zu einem Pantheismus des Gefühls, nicht des Gedankens. Man kann darum diese halbe, nur erbauliche Mystik mit dem protestantischen Pietismus vergleichen. Denn der Pietismus ist eine christlich-religiöse Empirie, die sich nicht zur Idee zu entwickeln vermag, die sich zum Gedanken nur negativ verhält, weil[S. 59] die Wissenschaft ihr vom Unglauben unzertrennlich ist. Der Parallelismus darf übrigens nicht zu weit geführt werden. Denn eine Mystik wie die des heiligen Bernhard's und seiner Geistesverwandten hat theils durch die innere Größe der Individualitäten, theils durch das Zeitalter, durch die ganze geschichtliche Umgebung, ein idealisches Colorit, einen schwärmerisch-romantischen Anstrich, welcher dem protestantischen Pietismus fehlt, wie dagegen der letztere an seinem tiefern Gegensatz von Sünde und Gnade und an der tiefern Erfassung des Princips der Persönlichkeit auch die Voraussetzung für eine höhere Form der Mystik enthält, als die Bernhard's war. — Von den niederländischen Mystikern ist Thomas a Kempis ein bloßer Asket, Johann Wessel eine Reflexionseinheit von Scholastik und Mystik, während Ruysbroock zu den speculativen Mystikern gehört.
Die deutsche Mystik ist die Rückkehr des Occidents zur Speculation des Areopagiten. Das christliche Gemüth hat den Zwiespalt zwischen Gefühl und Gedanken überwunden, und die Versöhnung des Göttlichen und Menschlichen, welche in der vorhergehenden Epoche nur als fromme Sehnsucht ausgesprochen wird, will jetzt wirkliche, ernsthafte That werden; in der Andacht kommt der göttliche Gedanke zum Durchbruch als das eigene Wesen des Selbstbewußtseyns. Die Contemplation Eckart's steht der metaphysischen Reinheit am nächsten, während der beschauliche Tiefsinn Suso's sich in die bildervolle Sprache eines minnereichen Herzens kleidet. Nicht so logisch wie Eckart und nicht so bilderreich wie Suso ist Tauler, aber durch die innere Harmonie seines Gemüths und durch die Ruhe der Betrachtung bildet er eine verbindende Mitte zwischen jenen beiden. In der »deutschen Theologie« spürt man schon das Streben den Gedanken zu einer Art von systematischem Grundriß zu gestalten. Es bedarf die deutsche Mystik nicht der Hülfe der Scholastik, deren Kraft außerdem schon zu welken angefangen hat; die deutsche Mystik hat des Reichthums und der Fülle genug im eignen, inwohnenden Gedanken. Die Einheit der menschlichen Natur mit der göttlichen ist hier, wie sonst nirgends im Mittelalter, zum Bewußtseyn gekommen, und besonders in dieser Rücksicht sind jene Ideen als Anticipationen der neueren Speculation[S. 60] zu betrachten. Die deutsche Mystik hat die Scholastik hinter sich, aber zur freien philosophischen Wissenschaft vermag sie sich nicht zu gestalten, und in diesem Zwischenzustande wird sie eben Mystik, gährende Einheit von Religion und Philosophie, woraus der oben dargestellte Widerspruch sich entwickelt.
Wir haben das namenlose Mysterium, den Akosmismus und den Atheismus betrachtet, dieser aber wird erst seine Bedeutung erhalten, wenn wir das Bewußtseyn durch den Kreis der Offenbarung begleiten, wo es erst in seiner ganzen Eigenthümlichkeit auftritt. Sein innerer Widerspruch, dessen wissenschaftliche Nachforschung uns obliegt, wird erst hier völlig anschaulich werden.
[S. 61]
»Gottes Wesen mag nicht unser Wesen werden, sondern soll unser Leben seyn. Der Sohn ist geflossen aus der Person des Vaters und ist in ihm geblieben wesentlich; aber in unserer Schöpfung haben wir empfangen ein fremdes Wesen, das vom göttlichen Wesen geursprunget ist. Wir sollen mit Gott vereinigt werden an Schauung, nicht an Wesung.« Schon oben haben wir diesen Gedanken Eckart's angeführt; an einer anderen Stelle, wo er die Natur der Seele und ihre Einheit mit dem göttlichen Wesen begeistert erhebt und preiset, endigt er mit den Worten: »Nun darf ich der Seele nicht mehr zulegen; denn lege ich ihr mehr zu, dann ist kein Unterschied zwischen ihr und Gott.«
Durch diesen und ähnliche schon angeführte Aussprüche von Eckart wird die Betrachtung in den Kreis der Offenbarung hineinversetzt, wo der gründliche Unterschied Gottes und des Menschen hervorgehoben wird, und Diejenigen, welche Eckarten ausschließlich als Pantheisten betrachten, übersehen, daß es ihm ebenso wesentlich ist in dem offenbaren Gotte zu leben, wie es ihm wesentlich ist in dem verborgenen Gotte begraben zu werden. Die christliche Speculation kann in solchen Aussprüchen nur ihre eigenen tiefsten Wahrheiten erkennen. Wenn er sagt, das Wort Sum, ich bin, könne kein Geschöpf, sondern nur Gott von sich aussprechen, weil es der Creatur gezieme von sich selbst zu zeugen: non sum, wie Johannes der Täufer, als er gefragt wurde, ob er der Christus sey, demüthig antwortete: non sum; wenn er sagt: Was in Gott ist ein Wirken, das soll in mir seyn ein Leiden, was in Gott ist ein Sprechen, das soll in mir seyn ein Hören, was in Gott ist ein Bild, das soll in mir seyn ein[S. 62] Schauen (fol. 293): dann muß hierin nur ein reiner Ausdruck des christlichen Akosmismus erkannt werden, welcher dem Menschen die Autonomie, das Seyn in sich selber und aus sich selber absprechen muß, welches nur Einem, nemlich dem Schöpfer, zugesprochen werden kann. Die Seele soll ganz von Gott durchschienen seyn, aber sie soll seyn wie ein Vollmond, der sein Licht von der Sonne bekommt. Die Seele ist ein Wort Gottes, aber kein selbstlautendes, sondern ein mitlautendes Wort. Im Anfang war das ewige Wort, welches ist der Sohn Gottes, der selbst Gott ist, und zu diesem Hauptworte soll die Seele seyn ein Beiwort, und nehmen ihre Seligkeit, da Gott selig ist (fol. 288). Und daß wir allezeit bei diesem Wort müssen seyn ein Beiwort, dazu bittet er, daß der Vater und dasselbe Wort und der heilige Geist uns verhelfen mögen. In der Einigung mit Gott wird der Geist so in das Wesen der Gottheit gezogen, daß da nicht scheinet denn ein einiges Wesen, wiewohl doch zwei Wesen da sind (fol. 273).
Diese reinen Offenbarungsideen kehren oft zurück bei den Schülern Eckart's, besonders bei Suso und Tauler, und sie reden oft davon, wie nützlich es einem Menschen sey, der zu einer göttlichen Beschauung und einem gottseligen Leben gelangen will, daß er gründlichen Unterscheid wisse. Was bei Eckart angedeutet ist, findet bei diesen eine weitere Ausführung, und da das praktische und kirchliche Interesse bei ihnen stärker vorwiegt, als bei Eckart, ist ihr Offenbarungsbewußtseyn auch bestimmter. Sie haben eine deutlichere Ahnung von der Einheit des Mysteriums und der Offenbarung, ohne daß der Widerspruch doch gelöst würde, weil sie das mystische Princip nicht zu überwinden vermögen, sondern immer wieder in dieses überschlagen. Die Lehre vom gründlichen Unterschiede ist ausführlich entwickelt in Suso's Büchlein von der ewigen Weisheit, wo die Weisheit in einem Gespräche mit ihrem Schüler Suso ihn über den Weg der Wahrheit aufklärt.
Diese merkwürdige Schrift enthält dieselben allgemeinen mystischen Grundzüge, die wir oben dargestellt haben, nemlich die Lehre vom ewigen Nichts, und daß nur derjenige Mensch sich als ein seliges Wesen weiß, dem die Anderheit nicht hinderlich[S. 63] ist, weil er Alles siehet in Einem. Bevor wir zu der Lehre vom gründlichen Unterschied übergehen, wollen wir erst ein Beispiel ihres mystischen Charakters anführen, welches zugleich eine interessante Vereinigung des Mystischen und des Logischen enthält, die an Eckart erinnert. Der Schüler, der noch an den sinnlichen Bildern haftet, vermag sich nicht zur mystischen Wesensschauung zu erheben, wozu die Weisheit ihn auffordert; denn, sagt er, ich sehe doch Berg und Thal, und Luft und Wasser und mancherlei Creatur: was sagst du denn, daß nur Eins sey? Da antwortet die Weisheit: Es sey denn, daß der Mensch zwei Contraria, das ist zwei widerwärtige Dinge verstehe in Einem mit einander, so ist nicht gut leicht zu reden mit ihm von solchen Dingen; verstehet er dieses aber, so ist er schon zur Hälfte getreten auf den Weg des Lebens. Darum ermahnt sie den Schüler das ewige Nicht und die zeitliche Gewordenheit in Einem zu fassen. Ewige Weisheit, ruft der Schüler aus, zwei Contraria in Einem ist ja nach aller Weise ein Widerwerfen der Kunst Logica! Ich und du, antwortet die Weisheit, bekommen einander nicht auf einem Zweige oder auf einem Platze; du gehst einen Weg und ich einen anderen. Deine Fragen gehen aus menschlichen Sinnen und ich antworte aus den Sinnen, die da sind über alles menschliche Gemerk. Du mußt sinnlos werden, willst du hinzukommen; denn mit Unerkennen wird die Wahrheit erkannt. Die speculative Logik der ewigen Weisheit endigt in einem mystischen Resultate, das sich bald am Schüler zeigt. Denn es geschah in denselben Zeiten eine viel große Aenderung in ihm. Es kam unterweilen dazu, daß er etwa oft zehn Wochen, oder minder oder mehr, so kräftiglich entwirket ward, daß ihm mit offnen Sinnen, in der Leute Beiwohnung und ohne die Leute, seine Sinne also entgingen nach eigner wirkender Weise, daß ihm überall in allen Dingen nur Eins antwortete, und alle Dinge in Einem ohne alle Mannichfaltigkeit dieses und jenes (pag. 300). Wie aber hier die mystische Einheit gelehrt wird, in der alle Bestimmtheit und alle Gegenständlichkeit zu Grunde geht, so wird an anderen Stellen die Offenbarungseinheit in gutem und gründlichem Unterscheid gelehrt. Denn die Weisheit macht kund, daß, alsfern die Creaturen von Ewigkeit[S. 64] in Gott sind, sind sie dasselbe göttliche Leben, Wesen und einiges Ein; aber nach dem Ausschlag, da sie ihr eigen Wesen nehmen, da hat ein jegliches sein besonder Wesen ausgeschiedentlich mit seiner eignen Form, die ihm natürlich Wesen gibt. In diesem Ausflusse werden sie erst Creaturen und müssen ihres allmächtigen und ewigen Schöpfers eingeständig seyn; und die Form gibt jeglicher Creatur gesondert Wesen und geschieden sowohl von dem göttlichen Wesen als von allen anderen. Nimmt man nun die Creaturen, wie sie sich ewig in Gott gehalten haben, dann haben sie keinen gründlichen Unterschied, sondern sind dasselbige Eins, denn das Wesen der Creatur in Gott ist nicht Creatur. Aber die Creatürlichkeit einer jeglichen ist ihr doch edler und nützlicher, denn das Wesen, das sie in Gott hat; denn im ewigen Wesen, wo Alles Eins ist, ist der Mensch nicht unterschieden vom Steine; aber nach seinem gesonderten Wesen ist der Mensch die edelste Creatur (pag. 291-292).
Dieses Offenbarungsbewußtseyn der christlichen Mystiker legt sich besonders an den Tag in der ausdrücklichen Polemik gegen den Pantheismus, die in ihren Schriften öfter vorkommt und sich offenbar auf pantheistische Secten jener Zeit (die Brüder des freien Geistes) und deren praktische Verirrungen bezieht. Immer wird der Grundirrthum des Pantheismus darein gesetzt, daß er gründlichen Unterschied aufhebe und Gott und Creatur, Christus und Mensch confundire. Sie überwinden den Pantheismus in einzelnen siegreichen Treffen, aber da sie in ihrer eignen mystischen Natur das Princip des Pantheismus tragen, erwacht dieses wieder aufs neue, und ohne es selbst zu wissen, gerathen sie wieder in die Gewalt der Substanz. Welche scharfe und lichtreiche Gedanken aber sie über den Pantheismus gehabt, und wie sie im Geiste mit ihm gerungen und gestritten haben, um sich nicht das theure Kleinod der Offenbarung rauben zu lassen, davon wollen wir nur einige Beispiele anführen. Das merkwürdigste findet sich bei Suso.
Es wird nemlich berichtet, daß einesmals an einem lichten Sonnentage, als der Schüler der Weisheit in sich eingekehrt saß in stiller Betrachtung: da begegnete ihm in der Fülle seines Gemüthes ein vernünftiges Bilde, das war subtil an Worten,[S. 65] aber ungeübt an Werken und ausbrüchig in florirender Reichheit. Der Schüler hub an und sprach zu ihm also: Wannen bist du?
Ich kam nie dannen.
Sag an, was bist du?
Ich bin nicht.
Was willst du?
Ich will nicht.
Dies ist ein Wunder. Sag mir, wie heißest du?
Ich heiße das namlos Wilde.
Wohl magst du heißen das Wilde, denn deine Worte und Antworten sind gar wilde. Sage mir aber: Worauf bist du ausgegangen? worauf zielest du und wo landest du?
In lediger Freiheit.
Auf die nähere Frage des Schülers erklärt nun das Wilde, ganz übereinstimmend mit den praktischen Grundsätzen, die den Brüdern des freien Geistes zugelegt werden, worin die vollkommene Ledigkeit und Freiheit bestehe. Die reine Freiheit ist eine solche, in welcher der Mensch lebt nach allem seinem Muthwillen, sonder Anderheit, ohne allen Anblick in Vor und Nach. Eine ledige Freiheit verachtet alle Dinge und spricht allen Unterschied ab. Denn wenn der Mensch in seinem ewigen Nicht zunicht ist worden, weiß er von Unterschied nichts, sondern nimmt Alles im Grunde, wo es Eins ist. Der Schüler antwortet, Alles sey wohl Eins im Grunde, aber es sey nicht allein im Grunde, sondern sey auch in sich selber ein creatürliches Icht hier außen, und nach dem so muß man es nehmen und guten Unterschied haben. In der Wahrheit ist Nichts, das Geschiedenheit haben möge von dem einfältigen Wesen, weil es allen Wesen Wesen gibt, wohl aber Unterschiedenheit also, daß das göttliche Wesen nicht ist des Steines Wesen, noch des Steines Wesen das göttliche Wesen, noch keine Creatur der anderen. Also besteht auch die Unterschiedenheit in der Freiheit, denn die wahre Freiheit ist eine wohlgeordnete Freiheit, wo aber Ordnung ist, da ist Unterschied, und was ohne Unterschied und Ordnung ist, das ist böse. Der Mittelpunct in der Freiheitstheorie des Wilden ist, wie sich von selbst versteht, die pantheistische Einheit Gottes und des Menschen, und um diese gegen die Einwendungen des Schülers[S. 66] festhalten zu können, beruft es sich darauf, daß Christus von Natur der eingeborne Sohn Gottes sey. Was nun Christo gegeben ist, das ist auch dem Menschen gegeben, und wie der eingeborne Sohn nicht wiedergeboren wird, so bedarf der Mensch auch nicht der Wiedergeburt, sondern ist unmittelbar Eins mit Gott und wirkt dasselbe, was Christus wirkt. Auch in diesen Aussprüchen erkennt der Schüler die wilde, ungeordnete Vernunft, die wohl große Aehnlichkeit hat mit dem wahren Licht, aber doch falsch ist, weil sie nicht unterscheidet zwischen Natur und Gnade. Denn wir Menschen sind nicht der natürliche Sohn, und unsere Gebärung heißt eine Wiedergeburt, denn was Christus von Natur ist, kann der Mensch erst werden von Gnaden. Durch solche gründliche, lichtreiche Antworten wird das Wilde überwunden und muß entweichen. Dir und Deinesgleichen, ruft der Schüler ihm zu, gebricht es am allermeisten an gutem Unterschied vernünftiger Wahrheit, ohne welchen man nicht gelangen kann zu einem seligen Leben (pag. 310 f.).
An einer anderen Stelle sagt Suso, daß der Mensch, wenn er angefangen hat sich fröhlich aufzuschwingen über Zeit und Raum, auf einen Punct komme, der, geistlich gesprochen, einem tiefen Meere vergleichbar ist, darinnen Viele ertrinken. Denn so sich das vernünftige Auge aufzuthun beginnt, und der Mensch einen Einblick gethan hat in das gegenwärtige Nun der Ewigkeit, und die geschaffene Vernünftigkeit beginnt der ewigen ungewordenen Vernünftigkeit einen Theil zu verstehen in sich selbst und allen Dingen, so findet er, daß er zuvor war wie ein Armer, Dürftiger, der zumal blind und ohne Gott war. Nun aber dünkt es ihn, daß er voll Gottes sey, und daß Nichts sey, das Gott nicht sey, und daß Gott und alle Dinge ein einiges Ein seyen. Und er greift die Sache zu geschwindiglich an in einer unzeitigen Weise und meint, er hätte es schon ergriffen; er wird in seinem Gemüthe florirend, wie ein aufgährender Most, der noch nicht zu sich selber gekommen ist; und es entfallen ihm alle Dinge, es sey Hölle oder Himmelreich, Teufel oder Engel, in ihrer eigenen Natur genommen; auch Christi gelittene Menschheit verachtet er, wenn er nur Gott darin begriffen; und die Sachen sind ihm noch nicht zu Grund zu erkennen worden, nach[S. 67] ihrem Unterschied, nach ihrer Bleibniß und nach ihrer Vergänglichkeit. Solchen Menschen geschieht wie den Bienlein, die den Honig machen; so sie zeitig werden und des ersten ausstürmen aus den Körben, so fliegen sie in verirrter Weise hin und her, und wissen nicht wohin; etliche mißfliegen und werden verloren, aber etliche werden ordentlich wieder eingesetzt (pag. 139).
Auch die deutsche Theologie redet von einem falschen Lichte, welches die Aehnlichkeit mit dem göttlichen Lichte lügt, aber sich selbst und Andere betrügt, weil es meinet, es sey Gott, und ist nur Natur. Und da Gott ist über alle Dinge, frei, unbeweglich, keines Dinges bedürftig, und da Gott ist über Gesetz und Gewissen, so spricht das falsche Licht: Siehe, also will ich auch seyn! Je gleicher Gott, je besser, und darum will ich Gott gleich seyn und will auch Gott seyn. Und es nimmt sich nun dessen an, das Gott zugehöret, und zwar nicht dessen, das Gottes ist, als er Mensch ist oder ist in einem vergotteten Menschen, sondern es nimmt sich dessen an, das Gottes ist und ihm zugehöret, als er Gott ist ohne Creatur in Ewigkeit. Und das falsche Licht meinet, es sey billig und recht, daß ihm alle Creaturen dienen und unterthan seyen. Und da Gott in Ewigkeit ist ohne Leid, Leiden und Betrübniß, und lässet ihm mit nichten schwer oder leid seyn um Etwas, was da ist oder geschiehet: so will auch das falsche Licht kein Leid, Leiden und Betrübniß, und spricht, es sey über Christi leiblich Leben gekommen und sey unleidentlich und übernatürlich, als Christus war nach der Auferstehung, und viel andere wunderliche falsche Irrthümer, so hieraus folgen und entstehen (cap. 38).
Dieselben Irrthümer werden von Tauler bestritten. Er spricht von falschen gottschauenden Menschen, welche lehrten, daß die geistlichen Naturen müßten zunichte gehen und so ledig werden, wie sie waren, als sie nicht waren, das ist, als sie eins mit Gott, unerschaffen waren. Wäre aber dieses möglich, sagt er, dann wäre die Creatur weder heilig noch selig, nicht mehr denn ein Stein oder ein Stück Holz. Ohne unsere eigenen Werke, Liebe und Gott-Erkennen können wir nicht selig werden, Gott aber wäre selig, und ist selig, wie er ewig war, und dies diente uns zur Besserung nichts. Hierum ist die Ledigkeit[S. 68] allezeit ein Betrug, und die falschen Geister, die hierinnen lügen und leben, sind also subtil, daß man sie nicht überwinden kann; ja sie sind den verdammten Geistern nicht ungleich, denn diese haben weder Lust noch Liebe, noch Erkennen, weder Andacht noch Danken und Loben, denn sie sind ewiglich verdammt (Pr. 1. B. 243).
Wäre es nun genug das Grundgebrechen eines Systems im Allgemeinen erkannt zu haben, um es damit auch wirklich überwunden zu haben, dann hätte auch die christliche Mystik sich völlig gereinigt vom Pantheismus, oder mit andern Worten, sie wäre nicht Mystik. Aber der Kampf gegen den Pantheismus ist hier mehr ein Kampf ad extra, denn ad intra. Der Pantheismus wird bekämpft, insofern er außerhalb des mystischen Subjects auftritt und seine abschreckende Consequenzen unmittelbar gegenständlich werden, aber im eignen Geiste des Mystikers ist die geheime Wurzel nicht vernichtet. Es ist eine Erscheinung, die sich auf allen Gebieten des geistigen Erkennens wiederholt, daß ein einseitiges Princip mit den schärfsten und glücklichsten Waffen, ja auf Leben und Tod bekämpft werden kann, so lange es sich als ein Gegenstand außer uns präsentirt, dessen ganze Schattenseite deutlich zu Tage liegt. Aber in unserer inneren Gedankenwelt geben wir uns dennoch nicht selten seinen geheimen Inspirationen hin, uns sicher wähnend, weil wir ja den Feind außer uns bekämpft haben; und dieser unbewußte Widerspruch, der sich selbst in das reinste wissenschaftliche Bewußtseyn leicht hineinschleicht, ist für die Mystik nicht ein Zufälliges wie für die Wissenschaft, sondern eine nothwendige Folge ihres Wesens. Aus diesem Gesichtspuncte muß auch der Streit beurtheilt werden, welcher nach dem Tode Ruysbroock's über die Reinheit seiner Lehre geführt wurde. Der Pariser Kanzler Gerson bezeichnet Ruysbroock's Lehre als ketzerisch und führt aus der Schrift vom geistlichen Hochzeitsschmuck eine Anzahl offenbar pantheistischer Stellen an. Ruysbroock's Apologet, Johann von Schönhofen, setzt diesen eine Reihe anderer Stellen entgegen, die mit dem Pantheismus in offenbarem Widerspruch sind. An der Mystik können nemlich immer zwei entgegengesetzte Seiten hervorgekehrt werden. Ruysbroock selbst polemisirt an vielen Stellen[S. 69] stark gegen den Pantheismus. Er spricht von Ketzern, welche sagen: »Als ich stund in meinem ewigen Grunde, da hatte ich keinen Gott, sondern was ich war, das wollte ich, und was ich wollte, das war ich. Ich hoffe nicht, liebe nicht, vertraue nicht; ich kann weder beten noch anbeten, denn ich gebe Gott keinen Vorzug vor mir. Es ist kein Unterschied der Personen in Gott, nicht Vater, Sohn, noch heiliger Geist. Es ist nur ein Gott und mit ihm bin ich eins, dasselbe Eine, das er selbst ist; mit ihm habe ich Alles geschaffen; ohne mich ist nichts«[21]. Da mehrere dieser Sätze, die hier ketzerischen Secten zugelegt werden, sich fast wörtlich bei Eckart finden, so könnte es scheinen, als wären Eckart und Ruysbroock grundverschieden, als habe Eckart doch im Grunde der Secte der freien Brüder angehört, Ruysbroock aber habe auf ächt kirchlichem Grunde gestanden. Allein wir haben oben Stellen aus Eckart angeführt, welche das ganz Entgegengesetzte jener Ketzereien enthalten, und gesehen, daß Eckart selbst seine Lehre vom Pantheismus scheidet. Andererseits ist es leicht aus Ruysbroock Stellen anzuführen, welche aussagen, daß der menschliche Geist sich so in die abgründige Klarheit göttlichen Wesens verliere, daß er nicht mehr könne gefunden werden, weil in dieser Klarheit weder sey Anfang noch Ende, weder Zeit noch Ort, weder Weg noch Steg, und daß die Seele nach ihrem ewigen Wesen nicht verschieden sey von dieser göttlichen Klarheit selbst. Und eben wegen solcher Aussprüche ist Ruysbroock schon frühe verdächtigt worden, als habe er jener freigeistigen Secte angehört.
Wir gehen jetzt weiter in der Betrachtung des Offenbarungsbewußtseyns der Mystiker und ihrer geistreichen Anticipationen der neueren theologischen Speculation. Betrachten wir näher die Auffassung des christlichen Dogma's, so finden wir eine höhere Stufe des theologischen Erkennens durch die Mystik eingeleitet. Dieser Fortschritt und Wendepunct im Entwickelungsprocesse des Dogma's läßt sich unseren obigen Andeutungen zufolge so bezeichnen, daß die freie, immanente Auffassung des Dogma's sich hier geltend macht im Gegensatze zum scholastischen[S. 70] Supranaturalismus, wo das Dogma noch als eine fremde, undurchdringliche Positivität dem Geiste gegenübersteht. Der Gedanke von der Immanenz Gottes, der in seiner Trennung vom Offenbarungsbewußtseyn zum Pantheismus führen mußte, mußte in den Regionen der Offenbarung zu einer Anschauung führen, in welcher wenigstens die Keime gegeben sind zu jener tieferen, speculativen Auffassung von der Persönlichkeit Gottes, als derjenigen, welche die Persönlichkeit des Menschen als ihr eignes Moment in sich enthält.
Betrachten wir so das erste Fundamentaldogma der Offenbarung, das Dogma von der Schöpfung, und fragen wir nach dem Grunde und dem Warum der Schöpfung, dann erhalten wir vom kirchlichen Bewußtseyn die Antwort, daß keine blinde Nothwendigkeit, sondern nur Gottes freie Liebe und Güte die Welt hervorgebracht habe, und daß der Mensch als die vernünftige Creatur eigentlicher Gegenstand dieser Liebe und Endzweck der Schöpfung sey (causa finalis creationis). Dieser Gedanke vom Menschen als dem Mittelpuncte des Universums und unendlichem Zwecke Gottes wird auch der Mittelpunct der mystischen Creationslehre, wie dies schon aus dem Principe der unendlichen Subjectivität natürlich hervorgeht. Der Personalismus, der mit dem Verhältnisse der unendlichen Liebe gegeben ist, wird in kräftigen Zügen ausgesprochen. Die Liebe ist das Lebenselement wie des Schöpfers, so auch der Creatur. Der Mensch gewinnt nur sein Leben, indem er es einsetzt aus Liebe, und der Proceß der Liebe wird zugleich aufgefaßt als ein Vernichtungs- und Verbrennungsproceß des stoffartigen, des finstern und egoistischen Theils der menschlichen Natur. Wenn aber die Mystik, übereinstimmend mit der kirchlichen Theologie, lehrt, daß die Welt durch die Güte und Liebe Gottes hervorgebracht und erhalten werde, so stellt sie sich doch in der Weise, in der sie es thut, in einen Gegensatz zur kirchlichen Theologie, indem sie jene Güte und Liebe nicht als den Ausdruck einer an Willkühr streifenden Freiheit, sondern als die Nothwendigkeit göttlichen Wesens denkt. Sie denkt sich das Verhältniß Gottes zur Welt nicht nur unter der Kategorie der Causalität, sondern der Substantialität. Oder deutlicher: für die Mystik existirt die Schöpfung[S. 71] und das hiedurch gesetzte Verhältniß Gottes und der Creatur nicht nur um des Menschen, sondern ebensosehr um Gottes Willen (deus creat sibi mundum), die Weltschöpfung ist unzertrennlich vom göttlichen Lebensprocesse selbst, und ebensowenig wie der Mensch Gott entbehren kann, ebensowenig kann Gott den Menschen entbehren. So lange nun die Idee der Persönlichkeit und der Liebe hier ernstlich festgehalten wird, gehört dieser Punct eben zu denjenigen, wodurch die Mystik in die speculative Idee des Christenthums einführt und die äußerliche Betrachtung einer traditionellen Theologie aufhebt. Diejenigen, welche die Mystik des Pantheismus anschuldigen, mögen diesen anderswo suchen, aber nicht hier. Denn ist die Güte nicht eine äußerliche, zufällige Bestimmung Gottes, sondern sein eigenstes Seyn, und ist es ferner das Wesen der Güte und Liebe das communicativum sui zu seyn, das eigne Selbst mitzutheilen an das Andere, so kann Gott nicht seyn ohne die Welt, und es ist dann nicht allein ein pantheistischer, sondern auch ein christlicher Satz, wenn gesagt wird: ohne Welt ist Gott nicht Gott. Aus diesem Gesichtspuncte müssen mehrere von den oben angeführten Eckartschen Aussprüchen beurtheilt werden. Begeistert von dieser substantiellen, wirklichen und nothwendigen Liebe, spricht Angelus Silesius das kühne Wort:
Wird auf diese Weise die Liebe nicht nur in einem einseitig moralischen, sondern in metaphysischem Sinne genommen, als die innere nothwendige Lebensbewegung Gottes, der als geistige Liebe an sich selbst die Wurzel der Anderheit hat, dann kann dieser Gedanke der ewigen Liebe auf einen allgemeineren Ausdruck zurückgeführt werden, welcher die innere Lebensbewegung Gottes begrifflicher bezeichnet, nemlich auf den Gedanken der Offenbarung Gottes, und in diesem Gedanken findet die mystische Theologie den eigentlichen Grund der Schöpfung. Die Welt ist nur da, damit Gott offenbar werde. Am speculativsten ist dieses ausgeführt in der deutschen Theologie. Wo Wahrheit wirket und will, da ist ihr Wollen, Begierde und Werk um keiner anderen Ursache, denn daß Wahrheit erkannt und offenbar[S. 72] werde (cap. 24). Aber das Eine und Beste hat müssen einen Gegenwurf haben, daraus dasselbe, so viel möglich, erkannt wurde. Solches war und ist aller Creaturen Wesen, daß Gott in ihnen offenbar und erkennbar sey. (Deutsch. Theol. Etliche Hauptreden und Sprüche.) Der ewige Wille ist ursprünglich und wesentlich in Gott ohne alle Werke und Werklichkeit. Allein der Wille wäre vergebens, so er keine Wirkung hätte. Dies aber mag ohne Creatur nicht geschehen, und dieweil nun Gott ohne Creatur wirklich und beweglich nicht zu wollen vermag, darum will er's thun in und mit den Creaturen (cap. 49). Hiedurch löst sich dem Verfasser die Frage, warum Gott den freien Willen erschaffen habe, damit nemlich der unerschaffene Wille in ihm offenbar werde. Das Eine kann sich nur zu erkennen geben im Mannichfaltigen, das Unendliche im Endlichen. Dieser Offenbarungsbegriff kann pantheistisch seyn, und es ist ganz in der Ordnung, daß wir Stellen finden, welche auszusprechen scheinen, daß Gott erst als menschliches Ich Bewußtseyn gewinne. Wie Fichte Gott das Selbstbewußtseyn absprechen zu müssen glaubte, weil das Selbstbewußtseyn unzertrennlich ist von der Reflexion und der Beschränkung, welche er nicht mit dem unbedingten Wesen der Gottheit zu vereinigen wußte, und wie es ein nothwendiges Ergebniß seiner Lehre war, daß, wenn von einem göttlichen Selbstbewußtseyn die Rede seyn solle, dieses nur als das ideale Wissen der Menschheit, als sittliches und religiöses Ich existiren könne, weil hier erst das unbedingte Wesen der Gottheit in die Schranken der Reflexion und der Endlichkeit eingetreten sey: so liegt derselbe Gedanke allen hieher gehörigen pantheistischen Aussprüchen der Mystik zu Grunde. So beschäftigt die deutsche Theologie sich mit der Frage, ob man Gott Affecte zulegen möge, wie Trauer, Leid, Mißfallen, Betrübniß und dergleichen. Nun soll man merken: Gott als er Gott ist, so mag weder Leid oder Betrübniß oder Mißfallen in ihn kommen, und doch wird Gott betrübet um des Menschen Sünde. Und dieweil dies nicht geschehen mag in Gott ohne Creatur, so muß es geschehen, da Gott Mensch ist, das ist in einem vergotteten Menschen. Siehe, da ist die Sünde Gott also leid und verdreust ihn also sehr, daß Gott allda selbst[S. 73] wollte gemartert werden und leiblich sterben, auf daß er eines Menschen Sünde damit vertilgen möchte. Daher kam, entstunde und war Christi heimliches Leiden, davon Niemand sagt oder weiß denn allein Christus, und darum heißt es und ist heimlich. Es ist auch eine Eigenschaft Gottes, die er haben will und ihm wohlgefället in einem Menschen, und ist wohl Gottes Eigenschaft, denn es gehöret dem Menschen nicht zu, und er vermag es nicht (cap. 35). Wir gehen hier nicht ein auf eine specielle Erläuterung dieser Stelle; die relative Gültigkeit dieses Ausspruchs auf dem Gebiete des Christenthums und namentlich auf dem Gebiete der Christologie wird übrigens kein christliches Denken verkennen können.
An anderen Stellen leuchtet die christliche Offenbarungsidee bestimmter hervor. Gott als Gottheit gehöret nicht zu weder Wille, noch Wissen noch Offenbaren, weder dies noch das, das man nennen, reden oder denken mag, aber Gott als Gott gehöret zu, daß er sich selbst eröffne, bekenne und liebe, und sich selbst ihm selber offenbare, und dies noch Alles in Gott, und noch Alles als ein Wesen und nicht als ein Wirken, dieweil er ohne Creatur ist, und in dieser Offenbarung wird der persönliche Unterschied (oder der Unterschied der Personen). Aber da Gott als Gott Mensch ist oder da Gott lebet in einem göttlichen und vergotteten Menschen, so gehöret Gott Etwas zu, das sein eigen ist und ihm allein zugehöret und nicht den Creaturen, und ist in ihm selbst ursprünglich und wesentlich, aber nicht förmlich und wirklich. Aber Gott will dasselbige geübet haben, denn es ist darum da, daß es geübet und gewirket werden soll, und was sollte es anders? Sollte es müßig seyn, was wäre es dann nütze? Denn was nirgend zu nütze ist, das ist umsonst und vergeblich, und das will Gott oder die Natur nicht. Weil nun Gott dasselbe geübet und gewirket haben will und aber das mag ohne Creatur nicht geschehen, so muß und soll es also seyn; ja sollte weder dies noch das seyn, oder wäre kein Werk oder Wirkung und dergleichen, was wäre oder sollte auch Gott selber? (cap. 29.)
Dieses Apperçu enthält auf einmal die für alle wahre Theologie so wichtige Distinction zwischen Gottes Selbstoffenbarung[S. 74] und seiner Offenbarung an die Welt (manifestatio ad intra und ad extra), aber zugleich die Nothwendigkeit und Unzertrennlichkeit der letzteren von der ersteren. Gottes Weltoffenbarung ist Moment seiner Selbstoffenbarung. Die äußere Offenbarung ist die Evolution der inneren; die innere ist die Involution der äußeren, und nur mittelst der freien Entäußerung an die Welt gewinnt Gott das tiefste In-sich-selber-seyn, sein Seyn in wirklicher Liebe und im Wissen derselben. Wer, von einem einseitigen Theismus ausgehend, diesen Satz nicht anerkennt und die ewige Copula der Weltoffenbarung und der Selbstoffenbarung zerreißt, möge selbst zusehen, wie er den Glauben an eine unwesentliche, unnöthige und unwahre Offenbarung rechtfertigen könne. Gott aber vollzieht die nothwendige Verwirklichung seiner ewigen Herrlichkeit mittelst der Welt, damit sein eignes Bild ihm zurückstrahle aus dem Anderen seiner selbst. Soll aber Gott sich in der Welt gegenständlich werden, dann muß in der Welt als dem Negativen oder als Nicht-Gott ein Punct gefunden werden, welcher, der creatürlichen Negativität ohngeachtet, identisch seyn kann mit Gott, damit Gott, der sich selbst suchet, sich auch finde, anschaue, wisse, liebe und besitze im Anderen. Dieser unendliche Offenbarungsfocus ist nach der einstimmigen Lehre der Mystiker die Seele. Diejenigen, welche das Wesen der Seele gründlich bedenken wollen, werden, wie Eckart sagt, an einigen Puncten nicht wissen, wo sie Unterschied setzen sollen zwischen ihr und Gott. Sie ist der Punct, wo das Geschaffene und das Unerschaffene Eins wird, wo die endliche Welt, das getheilte Stückwerk in die ungetheilte Vollkommenheit in Gott zurückkehrt. Das ganze Universum kann Gott nicht fassen; nur in der Seele kann Gott Gott seyn. Gott hat keine Creatur, die also weiten Begriff habe, da er seine Macht und den Grund seines Wesens also vollkommen einschreiben möge oder eingießen, als in der Seele (Tauler Pr. I, 96). Der Adel der Seele aber liegt in der idealen Natur des Selbstbewußtseyns und der Freiheit, im Denken, welches der Seele Substanz ist. Durch das Erkennen wird die Seele göttlicher Natur theilhaft. Denn Gottes Erkennen, in welchem auch der Mensch erkennt, ist Gottes Wesen und Substanz. Wenn denn Gottes Erkennen mein Erkennen ist, dann ist auch[S. 75] seine Substanz meine Substanz, und wenn seine Substanz meine Substanz ist, dann bin ich der Sohn Gottes (Eckart fol. 315). Der Mensch soll nur seine Herrlichkeit wissen und wollen um sie auch zu besitzen, und dieses Wissen und Wollen ist die Herrlichkeit selbst oder doch ihr eigentlicher Lebenspunct. Gott ist dem Menschen viel näher, sagt Tauler, als der Mensch sich selber ist. Aber wenn ich ein König wäre und wüßte es nicht, dann wäre ich kein König. So liegt alle unsere Seligkeit daran, daß wir wissen und kennen das höchste Gut im Himmel und auf Erden, welches ist Gott selbst. Gott ist auch gegenwärtig in Steinen, Bäumen und anderen Creaturen, aber sie wissen's nicht. Wüßten sie es, dann wären sie ebenso selig wie die Engel und die Menschen. In der Erkenntniß hat Gott ein seliges Spiel mit der Seele und bereitet ihr die edelste Speise. Denn je mehr sich Gott ihr zeiget und offenbaret, je mehr hungert sie nach der Gottheit, und je mehr sie nach der Gottheit hungert, je mehr gelüstet Gott den leeren Grund zu erfüllen. Und es ist hier ein unendlicher Cirkel, in welchem die Erkenntniß in dem Erfüllen hungerig und in dem Hunger erfüllt wird (Medulla animae, cap. 12).
Dieser unendliche Proceß der Selbstobjectivirung, des Suchens und Findens, des Gebens und Empfangens ist nun das Leben sowohl Gottes wie der vernünftigen Creatur. Gott macht sein eigen Wesen creatürlich, aber der Ausgang der Creaturen aus Gott ist nur um des Eingangs Willen, und wie die Offenbarung einerseits Schöpfung ist, insofern Gott das von ihm selbst Verschiedene setzt, so ist sie andererseits Versöhnung, insofern der Unterschied in Einheit aufgelöst wird, und die Seele in der Erkenntniß und Liebe die Endlichkeit in die ideale Vollkommenheit zurückführt. Schöpfung und Versöhnung können also auch nach der Lehre der Mystik als das Spiel der göttlichen Liebe mit sich selbst aufgefaßt werden, ein Satz, der nicht nothwendig pantheistisch ist. Denn, wie die Mystik sagt, »Gott liebt sich nicht als Gott, sondern er liebt sich als das höchste Gut,« das heißt, Gott liebt sich nicht in abstracter, einsamer Ichheit, sondern in seinem Reiche, oder mit andern Worten, er will nur sich selbst und sein eignes Daseyn, insofern er auch das Daseyn der Welt oder näher[S. 76] der Seele will. Seine Selbstoffenbarung enthält also die Offenbarung an das Andere und dessen relative Subsistenz.
In diametralem Widerspruche mit ihrer Lehre von Gott als dem namenlosen und unterschiedslosen Einen setzt also die Mystik einen inneren Gegensatz im göttlichen Wesen und denkt die göttliche Liebe als die Vermittelung dieses Gegensatzes. Mit innerer Nothwendigkeit kommt sie hiedurch zur Trinitätslehre. Denn es ist der Gedanke von dem metaphysischen Gegensatze in Gottes Wesen und von der ewigen Versöhnung dieses Gegensatzes, welcher es nothwendig macht die göttliche Persönlichkeit als Trinität zu denken, wie denn auch die kirchliche Trinitätslehre nur vernünftig gedacht werden kann, wenn sie als Construction der verschiedenen Momente des göttlichen Selbstbewußtseyns, des theogonischen Processes, in welchem Gott sich ewig hervorbringt und findet, aufgefaßt wird. Die Frage nun, inwiefern der christliche Gottesbegriff in der Dreieinigkeitslehre der Mystiker zu seinem Rechte gekommen sey, beruht auf der näheren Bestimmung des Verhältnisses des Sohnes Gottes zur Welt, ein Punct, der für den christlichen Charakter einer jeden Trinitätslehre entscheidend ist.
Bleibt man nemlich stehen bei der oben angedeuteten Betrachtung und bestimmt man das Andere, den θεὸς δεύτερος, in welchem Gott sich gegenständlich wird, unmittelbar als die Welt, identificirt man so die Welt oder bestimmter den menschlichen Geist mit dem Sohne Gottes, dann streitet dieses gegen alle kirchliche Lehre, die zu allen Zeiten scharf geschieden hat zwischen dem Sohne, dem unerschaffenen Wesensbilde des Vaters, und der aus Nichts erschaffenen Welt. Aber wie jene Ansicht unkirchlich ist, so befriedigt sie auch nicht die Forderungen des Denkens, indem die im Begriffe der Persönlichkeit enthaltene Selbstobjectivirung Gottes nicht zu Stande kommt. Der objectivirte Gott kann nemlich nicht die Natur seyn, da diese ihrem Begriffe nach nicht-göttlich ist, weil subjectlos. Wenn nun Gott in der Natur vergebens sein anderes Selbst, sein Alter-Ego suchen würde, so scheint hingegen die Welt der endlichen Geister, das Reich der selbstbewußten Monaden als die wahre Gegenständlichkeit Gottes bestimmt werden zu können, weil Gott hier als[S. 77] gewußter und gewollter aus unzähligen Puncten in sich selbst zurückstrahlen kann. Allein, wenn die endliche Geisterwelt unmittelbar als Sohn bestimmt wird, wird die Selbstobjectivirung nicht wirklich vollzogen. Jeder endliche Geist ist nemlich nur eine relative Offenbarung Gottes, welche durch alle anderen vervollständigt werden muß um den ganzen Gott zu offenbaren. Werden nun die relativen Geister, welche gleichsam einzelne Fulgurationen des göttlichen Wesens sind, zur Totalität zusammengefaßt, so fehlt dieser Totalität doch das eigentliche Centrum, nemlich das absolute Selbst. Im Acte der Selbstobjectivirung ist es ja nicht nur die göttliche Substanz, welche Gegenstand des göttlichen Anschauens werden soll, sondern es ist ebensosehr das unendlich Monadische, der ewige Wille, der seine Selbstbejahung sucht im Anderen. Wenn nun aber auch die ganze Mannichfaltigkeit der fragmentarischen Offenbarungspuncte zur Einheit zusammengefaßt wird, so wird in dieser Weltoffenbarung doch nur ein Stückwerk, aber kein ganzer Gott angeschaut. Die Einheit ist dann nur die substantielle Einheit des Geschlechts; Gott findet sich nur als den im Systeme ausgestückelten Weltgeist, nicht als den in sich reflectirten ewigen Logos, in dessen absolut weltfreiem Wissen und Wollen alle endliche Geister ihren subjectiven Einheitspunct finden, weil er das Medium ist, durch welches sie alle Gott sehen. Nur wenn Gott, der die Offenbarung seiner sucht, sich im Auge des ewigen Sohnes (dei filii, nicht nur filii dei) spiegeln kann, hat er seine wirkliche Selbstoffenbarung gefunden, wie er denn auch im menschlichen Geiste sich nur finden kann, wenn er sich in diesem nicht nur findet als das substantielle Leben, sondern als subjectiven, persönlichen Mittelpunct, als die Seele der Seele. In der Selbstobjectivirung ist es also hauptsächlich das Subject, welches sich verdoppeln muß, und als Object nicht aufhören darf Subject zu seyn. Ist darum das Daseyn der Welt allerdings nothwendig, damit Gott offenbar sey, so ist dieses doch keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare, secundäre Nothwendigkeit. Oder mit anderen Worten: die Welt kann nicht gedacht werden als das erste Negative in der Selbstoffenbarung Gottes. Die erste Anderheit im göttlichen Wesen ist der Sohn, welcher selbst Gott ist. Die[S. 78] Welt aber ist das Andere des Sohnes (Alterum dei filii) und setzt den Sohn voraus als ihr ewiges Prius. Nur durch seinen Sohn tritt Gott in Verhältniß zur Welt, wie er auch nur die menschliche Seele liebt in der Liebe, in welcher er den Sohn liebt.
Aber indem das Daseyn der Welt gesetzt wird als vermittelt durch den Sohn, muß andererseits die Offenbarung des Sohnes ebensosehr als durch die Welt vermittelt gesetzt werden, und jene Betrachtung, welche lehrt, ohne Welt sey Gott nicht Gott, erhält hier ihre nothwendige Gültigkeit. Die Schöpfung und die Menschwerdung des Sohnes können nicht außerhalb des trinitarischen Processes fallen, so gewiß als Gottes manifestatio ad extra und ad intra nur Momente desselben Begriffes sind. Der Satz: ohne Welt ist Gott nicht Gott, erhält christliche Bedeutung, wenn er vom Standpuncte der Trinität ausgesprochen wird und den Sinn hat, daß ohne Welt der Sohn Gottes seinem Begriffe nicht entsprechen würde. Soll nemlich die innere Selbstunterscheidung Gottes eine reale seyn, soll es Ernst seyn mit der Anderheit in Gott, so muß der Sohn in seiner Wesenseinheit mit dem Vater zugleich wesentlich verschieden seyn vom Vater, das heißt, er muß auf einmal göttliche und nicht-göttliche, d. h. kosmische Natur haben. Er muß nicht nur der Eingeborne des Vaters, sondern auch der Erstgeborne der ganzen Schöpfung (Kol. 1, 15), nicht blos Gott, sondern auch Mensch seyn. Es würde sonst die Anderheit nicht zu ihrem vollen Rechte kommen, das Verhältniß der Objectivität zwischen Vater und Sohn wäre kein im höchsten Sinne reales. Als θεὸς δεύτερος kann der Sohn sich nur offenbaren mittelst der Anderheit göttlicher Natur; es muß eine creatürliche Welt gesetzt werden als das Andere des Sohnes, die ihm aber eben deswegen zugehört und ihn zum Principe hat. Was also aus einem Gesichtspuncte Schöpfung ist, Hervorbringung einer Welt, die wesentlich verschieden ist vom Sohne Gottes, ist, aus einem anderen Gesichtspuncte angesehen, die ewige Menschwerdung des Sohnes. In der menschlichen Natur, welche capax dei ist, kann der Sohn offenbar werden als die persönliche Weltseele, als das innerste Selbst des Universums, ihr Versöhner und Mittler, und da er in dieser seiner Welt-Natur nicht aufhört göttliche[S. 79] Natur zu haben, welche ihm als dem ewigen Wesensbilde des Vaters zugehöret, so ist er das wahre, persönliche Nicht-Ich, welches der Vater sucht. Erst dann kann die Liebe des Vaters zum Sohne als eine reale Liebe gedacht werden, wenn er in ihm nicht nur seine eigne göttliche Natur liebt, sondern zugleich eine andere Natur, wenn er seinen Eingebornen liebt als den Erstgebornen der Schöpfung und in ihm die ganze Welt, das ganze in ihm verfaßte System erschaffener Geister. Es ist ein bedeutungsvoller Zug in Dante's Paradies, wo die Beschauung der Dreieinigkeit dem seligen Blicke aufgeht, daß mitten im leuchtenden Kreise der Dreieinigkeit ein kleineres Bild sich findet, welches als das Bild des Menschen erkannt wird. Der dreieinige Gott kann nicht den Menschen entbehren. Gott kann nicht den Gedanken seines eignen Ichs vollziehen ohne damit auch den Gedanken des Menschen zu vollziehen, als des negativen, endlichen Puncts, der in seiner Gegenständlichkeit seyn muß, damit diese eine wirkliche Anderheit sey.
So hat die christliche Speculation in der Bestimmung des Verhältnisses des Sohnes Gottes zur Welt zwei Einseitigkeiten zu überwinden. Die eine ist die pantheistische Vermischung der Welt und des Sohnes, der speculative Monophysitismus, die andere die abstracte Trennung, der speculative Nestorianismus, welcher die Welt ausschließt von der ewigen Natur des Sohnes und keine ewige, sondern nur eine historische Menschwerdung kennt, nicht bedenkend, daß die zwei Naturen dem Sohne von Ewigkeit zugehören müssen und daß die Idee des Menschengeschlechts als des Reiches des Sohnes unzertrennlich ist von ihm, dem Haupte (Kol. 1. Ephes. 1). Wie verhält sich nun die Mystik zu diesen Bestimmungen? Es liegt in ihrer Natur, daß sie nicht selten in die pantheistische Vermischung des Sohnes und der Welt hineingeräth, aber die Anderheit kommt doch auch zu ihrem Rechte. Wenn Eckart sagt, daß der Sohn ausgeflossen sey aus der Natur des Vaters und sey Eins mit ihm geblieben im Wesen, wir aber seyen ausgeflossen von den Personen (also von der in sich seyenden Trinität) und haben empfangen ein fremd Wesen, dann ist hierin die christliche Wahrheit ausgesprochen. Ganz in Uebereinstimmung mit der Entwickelung der[S. 80] Scholastiker wird der Unterschied der Personen in der Trinität dargestellt. Der Sohn entspringt aus der Wurzel des Vaters, und dieses ist nicht ein Werk seines Willens oder Vorsatzes, sondern die Nothwendigkeit seiner Natur; denn indem Gott den Abgrund seines Wesens durchschaut, muß er sich aussprechen in Selbsterkenntniß, und diese Selbsterkenntniß ist die ewige Zeugung des Sohnes. Gott erkennt sich selbst im Sohne, aber der Erkannte und der Erkennende sind Eins. Indem der Vater ausgeht in den Sohn, geht er wieder in sich ein durch den heiligen Geist. Es ist ein ewiger Ausgang und ein ewiger Eingang. Der Vater entgießt sich nach minnereicher Mildigkeit des Willens in den Sohn und wiederum der Sohn ergießt sich nach Lieblichkeit des Willens in den Vater und das heißet eine wiederbiegige Liebe, das da ist der heilige Geist. (Eckart fol. 248. Tauler Pr. 1, 91. Suso 159.) Suso geht in der Entwickelung der Dreieinigkeitslehre aus von dem Ausspruche eines alten Meisters, daß Gott, nach seiner Gottheit genommen, sey als ein weiter Ring, dessen Mittelpunct sey allenthalben und sein Umschwank nirgends; und er fügt eine bildreiche Betrachtung hinzu. Wenn Jemand mit einem Stein mitten in ein stillstehendes Meer würfe mit einem solchen Vermögen, daß das ganze bewegt würde, dann würde ein ungeheurer Ring im Wasser und aus diesem Ringe würde ein zweiter Ring; der erste Ring bedeutet den Vater, der zweite den Sohn; beide bringen einen dritten Ring hervor, der bedeutet den Geist beider. So bezeichnen die drei Kreise Vater, Sohn und heiligen Geist. In diesem tiefen Abgrund ist die göttliche Natur in dem Vater sprechend und gebärend das Wort heraus nach Persönlichkeit, innebleibend nach Wesenheit, das an sich nahm die natürliche Menschheit. Denn aus dem großen Ringe, der da bedeutet die Gottheit, fließen aus, nach bildreicher Gleichniß, kleine Ringlein, das sind die Seelen. Und wie im Ringe der Gottheit ist ein zirkeliges Wiederbiegen des Endes auf den Beginn, so hat auch die Seele oder vielmehr das Bild Gottes im vernünftigen Gemüthe allezeit ein Starren, einen Widerblick und ein Wiederbiegen auf ihren Ursprung (169. 158). Durch solche bildliche, gleichnißgebende Reden will Suso nur unserer Schwachheit zur Hülfe kommen um durch diese Bilder andere schlechtere Bilder aus der[S. 81] Seele auszutreiben; denn in der Wahrheit ist dieses Alles bildlos und wird nur mit bildlosen Sinnen erfaßt. — In der begrifflichen Entwickelung der persönlichen Unterschiede in der Trinität enthält die Scholastik einen größeren Reichthum subtiler Distinctionen, aber das Eigenthümliche der Mystik in diesem Dogma ist darein zu setzen, daß sie die Schöpfung und die Menschwerdung Gottes als nothwendige Momente des trinitarischen Processes erfaßt hat, daß die Idee des Sohnes ihr unzertrennlich ist von der Idee der Welt. Gottes Sohn und die menschliche Seele stehen immer gleichsam mit einem Schlage vor der Beschauung. Es ist das Wesen des Vaters, daß er den Sohn gebäre, und es ist das Wesen des Sohnes, daß er geboren werde und daß ich in ihm geboren werde, und so ist es auch das Wesen des Geistes, daß ich in ihm verbrenne und in Liebe verschmelze (Eckart fol. 245). Das Kosmische, das Creatürliche ist also nothwendig zur Manifestation des Sohnes und des Geistes. In seinem ewigen Worte spricht der Vater alle Creaturen und in diesem Worte spricht er meine Seele und deine Seele. Der Sohn wird in der Seele geboren auf dieselbe Weise wie in Ewigkeit und nicht anders, und Gottes eigne Natur hanget daran, daß der Sohn in der Seele geboren werde; darum nöthigt und treibet er uns, daß wir ihm den Sohn gebären (fol. 260, 290, 304). Es ist nicht genug, daß der Sohn Gottes aus Maria geboren wurde, sondern täglich wird er geboren und soll geboren werden in jeder gläubigen Seele[22]. Es ist also die Bestimmung des Menschen das »Andere« zu seyn für die Offenbarung des Sohnes. Darum stellt die Mystik es auch als die höchste praktische Aufgabe, die tiefste Verpflichtung für den Menschen, daß die Menschwerdung des Sohnes in ihm vollzogen werde, daß er Gott Raum gebe in der Seele, daß er die himmlische Geburt nicht hindere. Da der Sohn nicht ohne die menschliche Natur ist, so kann Eckart ferner die kühne Behauptung aufstellen, daß der heilige Geist ebensowohl vom Menschen ausgehe, wie von Gott.[S. 82] Denn da die vollständige Idee des Sohnes nicht verschieden ist von der Idee des ewigen Gott-Menschen, so muß der Ausgang des Geistes vom Sohne ebensosehr ein Ausgang von der menschlichen Natur seyn, wie von der göttlichen.
Es ist eine natürliche Folge des subjectiven Charakters der Mystik, daß eine ausführliche Entwickelung des Creations- und Trinitätsdogma als solchen hier keinesweges die Hauptsache ist. Ziel und Endzweck der Mystik ist ja nur das Leben in Gott, die subjective Einigung mit dem höchsten Gut. Hier ist kein Interesse für eine theoretische Construction des Universums; die Trinitätslehre wird nicht angewendet als Schlüssel zur Natur und Geschichte, wie bei den späteren Theosophen. Nur die Idee von der ewigen Menschwerdung des Sohnes hat ein bleibendes Interesse für das subjective Bewußtseyn der Mystiker. Dieser Gedanke von der ewigen Einheit göttlicher und menschlicher Natur wird der Betrachtung Mittelpunct für die Seele, deren einziges Trachten es ist diese Einheit praktisch zu verwirklichen und zu erleben. Von diesem Gedanken ist der Geist des Mystikers, ja seine ganze Individualität wie imprägnirt, und jeder andere dogmatische Gedanke verhält sich zu diesem wie ein Nebengedanke, der Bedeutung und Farbe nur erhält in Beziehung auf diesen. Gibt sich der Mystiker auch momentan einer objectiven Betrachtung hin, so liegt doch immer die Beziehung auf seine eigene Vergottung im Hintergrunde, und die Betrachtung springt plötzlich ab, um wieder auf dieses Hauptthema zurückzukommen.
Das Eigenthümlichste in dogmatischer Beziehung müssen wir deshalb in der Christologie suchen. Da jede mystische Betrachtung über das Wesen der Seele die Einheit menschlicher und göttlicher Natur zum Resultate hat, so sind die Schwierigkeiten verschwunden, mit welchen eine streng supranaturalistische Christologie behaftet ist. Die Idee Christi wird nun dem Menschen die allernatürlichste, denn nach seiner Idee ist jeder Mensch Christus. Aber indem dieser Gedanke ausgesprochen wird, tritt ein Wendepunct und ein Gegensatz ein zur kirchlichen Christologie. Die kirchliche Dogmatik, so wie sie theils in den Symbolen, theils in den Entwickelungen der Scholastiker hervortritt,[S. 83] setzt die Einheit göttlicher und menschlicher Natur nur an einem isolirten Puncte in der Geschichte, in einem einzelnen Individuum; nun wird sie ausgesprochen als eine ewige Einheit, die an allen Puncten gegenwärtig ist. Das Eintreten Christi in die Geschichte gilt dem kirchlichen Bewußtseyn als ein absolutes Wunder, das Bewußtseyn der Gemeinde ist durchdrungen vom Gefühle ihres unendlichen Abstandes und Unterschiedes vom Gottmenschen; nun wird in Christo Nichts angeschaut, was nicht in der Idee der menschlichen Natur selbst gegeben ist, und anstatt seine unendliche Majestät und seinen Unterschied von Allen vorzustellen, wird jetzt der Gedanke vorherrschend, daß Christus der Erstgeborne sey unter vielen Brüdern. Dieses ist das Epochemachende der mystischen Christologie, daß sie die Wesenseinheit des Menschen mit Christo zum Mittelpuncte der Betrachtung gemacht hat.
Nach unserer leiblichen Geburt, sagt Tauler, sind wir Menschen wohl unterschieden von einander, aber in der ewigen Geburt ist nur ein Sohn Gottes. Denn in Gott ist nur ein Ursprung, ein Anfang, und darum sind nicht zwei Geburten, sondern nur eine Geburt, nicht zwei Söhne, sondern nur ein Sohn. Darum, sollst du ein Sohn seyn mit Christo, so mußt du ein ewiges Ausfließen seyn mit dem ewigen Worte (Pr. 1, 56). Die Identität der ewigen Geburt der Menschen mit der ewigen Geburt Christi wird nun näher gesetzt in der Allgemeinheit menschlicher Natur, alsfern diese in ihrer Reinheit genommen wird mit Ablegung alles Zufalls. Denn, aller individueller Verschiedenheit ohnerachtet, sind alle Menschen Eins in der einen menschlichen Natur, die ihrem Begriffe nach mit der göttlichen unauflöslich vereinigt ist, und, im Wesen angesehen, hat Christus keine andere menschliche Natur, als der niedrigste und elendeste Mensch. Nach der Natur sind alle Menschen mir gleich nahe, der mindeste wie der höchste, der thörichtste wie der weiseste, der Kaiser wie der Pabst; aber nach der Person sind sie von mir unterschieden. So ist auch die menschliche Natur unseres Herrn Christi mir so nahe wie ihm, und Alles was Christus hat nach seiner menschlichen Natur, das gehöret mir in derselben Natur. Aber wehe mir, wenn ich ihm in der Natur[S. 84] gleich bin, in der Person aber mir selbst näher bin mit eigener Liebe und Eigensucht. Darum hat Mensch und menschliche Natur großen Unterschied. Als der ewige Sohn in der Fülle der Zeit menschliche Natur annahm, da nahm er sie nicht an sich nach diesem oder jenem Menschen, sondern er nahm an sich die freie, ungetheilte menschliche Natur. Willst du nun ein Sohn seyn, so mußt du von dir abscheiden Alles, was Unterschied in dir macht, und abthun Alles, was da ist ein Zufall der Natur. Wie wenn man einen Menschen nennet und ansiehet als Petrus oder Paulus, dann betrachtet man den Zufall menschlicher Natur. Du aber hüte dich, daß du dich nicht nehmest, als du dieser Mensch oder der bist, sondern nehme dich nach der Freiheit ungetheilter menschlicher Natur. Du sollst dich so wenig bekümmern um deine Person, wie du dich bekümmerst um den Sultan, der da lebet jenseits des Meeres. Wenn du dich dann nehmend bist in der Natur, die Gott geworden ist durch Annehmung des ewigen Worts, dann bist du auch ein Sohn des ewigen Vaters mit Christo. Wäre meine Seele nur so bereitet wie die Seele unseres Herrn Christi, dann wirkte der Vater in mir wie in seinem eingebornen Sohne und nicht anders. Denn diese Natur, die auch meine Natur ist, nahm der Sohn Gottes an sich und in der Natur zog er mich gänzlich in sich; wenn ich nun mit meiner Person zurückbleiben will, was kann er dafür? (Tauler Pr. 1, 56. 2, 21. Eckart fol. 251, 268.)
Durch diese Vertiefung der Seele in sich selbst macht sie sich frei vom Supranaturalismus der Kirchenlehre, Christus in uns wird der herrschende Gedanke und das religiöse a priori (ab interiori) macht sich geltend gegen das kirchliche a posteriori (ab exteriori). Dieses ist nicht nur das Verhältniß der Mystik zur Scholastik, sondern zum ganzen herrschenden Katholicismus. Wie löst sich nemlich dem Katholicismus die Hauptfrage der Kirche von der Gegenwart Christi in der Gemeine? Offenbar will der Katholicismus Christum nicht nur auf geistige, sondern auch auf sinnliche Weise festhalten; er will die Kirche zu einem universellen Abbilde machen von Christi sinnlicher, leiblicher Gegenwart auf Erden. Die universelle Form aber, in[S. 85] welcher die Idee in sinnlicher Weise vorhanden ist, ist die Kunst, und der Katholicismus wird in seinem Cultus die Kunstreligion des Christenthums. In Bildern und Tönen wird Christus zur geistig-sinnlichen Gegenwart gebracht; sein Leib und Blut werden im Abendmahl als unmittelbare sinnliche Realitäten den Gläubigen dargeboten; in der Messe wird sein Opfer für die Sünde der Welt immer aufs neue vollzogen. Aber das gläubige Gemüth ist nur Zuschauer und Zuhörer, nicht Mitwirker in dem Processe, wodurch Christus in die Gegenwart hineintritt; Christus wird nur zur Schau gestellt, er bleibt ein Aeußeres und eine undurchdringliche Schranke stellt sich zwischen ihn und den Gläubigen. Im Gegensatze zu diesem exoterischen Cultus bilden die Mystiker einen stillen, esoterischen Geisterchor, der sich abwendet von der blendenden Bilderwelt und das unbildliche Wesen Christi in der menschlichen Natur selbst sucht. Wenn die Kreuzfahrer, getrieben von der exoterischen Tendenz des Katholicismus, auszogen um das heilige Land, als die theuerste Reliquie des Herrn, wiederzugewinnen, wenn die frommen Pilger eine Beruhigung darin fanden, das Land zu betreten, wo der Herr wandelte in den Tagen des Fleisches, weil sie meinten an diesen Orten seine Gegenwart auf eine reellere Weise erfahren zu können, als anderswo, so weiß die Seele nun in der unendlichen Gewißheit ihrer Erfahrung, daß sie selbst der einzige Ort sey, wo Christus gesucht werden solle, und daß er hier sey oder nirgends. Das itinerarium mentis der Mystiker ist das Gegenbild der Wallfahrten zum heiligen Lande; die mystische Wallfahrt ist nicht ein Ausgang, sondern ein fortgesetzter Eingang durch Vernichtung der Zeit und des sinnlichen Orts. Und wenn die Mystiker in der Nachfolge Christi in ihrer eignen Individualität die verschiedenen Momente der Geschichte Christi zu reproduciren suchten, so sind sie hierin das geistige Gegenbild zu den christlichen Märtyrern. Denn die Märtyrer treten hervor auf dem Schauplatze der Wirklichkeit und in einem äußeren Kampfe mit der Welt reproduciren sie die Leidensgeschichte auf sinnliche Weise durch das leibliche Leiden und den wirklichen Tod. Die Mystiker aber gehen nur darauf aus Christum zu reproduciren auf unsinnliche Weise; die Geschichte wird Idee und namentlich[S. 86] wiederholt sich die Leidensgeschichte geistig als eine unsichtbare Reinigung, als das Absterben der Seele von der Welt der Sünde, von der Natürlichkeit und der Bildlichkeit.
So hat sich ein Gegensatz ausgebildet von einer esoterischen und exoterischen Betrachtung Christi, und die theologische Antinomie von Empirie und Idee, von dem historischen und dem idealen Christus, die sich so scharf ausspricht in unseren Tagen, regte sich schon in jener Zeit. Indem wir nun zur näheren Entwickelung dieses Punctes übergehen, müssen wir noch einmal einschärfen, daß unsere Mystiker sich in kein bewußt polemisches Verhältniß zum Dogma der Kirche stellen, daß sie vielmehr stets die Kirchenlehre voraussetzen und nur eine tiefere, praktische Aneignung dieser bewirken wollen[23]. Aber in dieser subjectiv-praktischen Aneignung kommt das religiöse und speculative a priori zum Durchbruch, und die Tradition muß der Idee weichen.
Der erste Schritt in der Entwickelung des idealen Christus ist in der heiligen Ueberlieferung selbst, der Unterscheidung einer esoterischen und exoterischen Betrachtung des Heilandes zu finden. Zum Evangelium Johannis mit seiner pneumatischen, mehr ewigen als historischen Auffassung des Heilandes, wo der Gedanke vom Leben in Gott und der Gemeinschaft mit Christo — in uns und wir in ihm — im contemplativen Geiste immer aufs neue geboren wird, fühlen sich die Mystiker besonders hingezogen. Daß in diesem Evangelium der mystischen Contemplation ein bedeutender Anknüpfungspunct gegeben ist, kann nicht verkannt werden. Auch hier ist die Einheit der Seele mit Gott der Mittelpunct, auch hier ist es nur ein kleiner Inbegriff großer Ideen, der unmittelbar geschaut und ohne weitere Entwickelung[S. 87] geistig wiederholt wird, ohne daß doch das Bewußtseyn selbst an dieser Wiederholung ermüdete, weil es von der verborgenen Fülle des Inhalts ergriffen ist. Der Eindruck, den es auf die Mystiker gemacht hat, zeigt sich in dem johanneischen Ton, der so oft ihre Rede von den göttlichen Dingen durchklingt. Das Evangelium Johannis hat alle mystische Geister der Christenheit gestimmt. In dieser contemplativen Stimmung, welche nicht den Heiland sucht im Getümmel der Welt, sondern ihn im Lichte der Ewigkeit schauen will, wie er sich denen offenbaret, die ihn lieben, schreitet die Mystik nun weiter. In der evangelischen Ueberlieferung finden sich Momente, wo der Unterschied des Esoterischen und Exoterischen im Factischen selbst zum Vorschein kommt. So ist die Gestalt Christi eine andere vor der Auferstehung und nach der Auferstehung. Nach der Auferstehung ist seine Gestalt verklärt, aber in dieser offenbart er sich nicht dem Haufen, sondern nur den Jüngern, wie er auch nur vor ihren Augen gen Himmel gefahren ist. Ein anderer Zug ist die Transfiguration, die Verklärung am Berge vor den Jüngern; nur denjenigen, die Alles verlassen haben um ihm zu folgen, zeigt er sich in seiner ewigen Glorie, dem Haufen aber, der in den Sorgen dieser Welt befangen ist, verhüllt er sein Wesen. Darum sollen wir auch die Welt verlassen und den Berg der Betrachtung, den geistigen Thabor ersteigen, wenn wir ihn nicht nur sehen wollen im sinnlichen Gewande der Erscheinung, sondern so wie er ist.
Christus selbst unterscheidet diejenigen, die draußen sind und nur die Lehre in Gleichnissen zu fassen vermögen, und die, denen es gegeben ist die Mysterien des Himmelreichs ohne Gleichnisse zu fassen. Ein vollkommner Mensch erkennt die Wahrheit ohne alle natürliche Bilder, und in einem innerlichen Befinden weiß er, was Gott und Creatur, was Zeit und Ewigkeit, was Sünde und Tugend sey (Tauler Nachfolge 1. Th. 60. 80. 81). Der alte Gegensatz von πίστις und γνῶσις und der moderne von Vorstellung und Begriff kommt auch auf eigenthümliche Weise zum Vorschein in der Mystik als Gegensatz von Bild und Wesen. Hieran knüpft sich die allegorische Behandlung der Schrift. Worte und Begebenheiten werden nicht in ihrer unmittelbaren,[S. 88] historischen Bedeutung aufgefaßt, sondern nur als Bilder genommen. Willst du die Kerne haben, so mußt du die Schaalen brechen, willst du das bloße Wesen finden, so müssen alle Gleichnisse zergehen. (Eckart fol. 249). Hier kommt das religiöse a priori zum Vorschein. Die allegorische Auslegung will jegliche Schranke zwischen dem Inhalte der Schrift und dem forschenden Geiste aufheben, sie will Alles als ein ewig Gegenwärtiges erkennen. Aber die einseitige Subjectivität zeigt sich darin, daß sie das positiv Gegebene nicht wirklich auslegt, sondern nur ihren eigenen Inhalt hineinlegt. Sie wird eine doketische Behandlung des Textes, wodurch dessen empirischer Inhalt und wirklicher Sinn zu einem Scheine wird. Der Inhalt der allegorischen Auslegung ist nur dasjenige, was unabhängig von dem geschichtlich Gegebenen allgemeines Eigenthum des Geistes ist, und das Resultat der Auslegung ist hiedurch prädeterminirt. So sehen die Mystiker in Allem nur das Abbild des mystischen Processes. Wenn Tauler zum Beispiel über das Evangelium von Jesus im Tempel predigt, so entwickelt er, wie wir unsere geistige Geburt, Christus in uns, suchen sollen. Die Eltern suchten ihn vergebens unter den Bekannten und Freunden, aber sie fanden ihn nur im Hause des Vaters. So müssen wir auch alle Menschen verlassen und in unseren Ursprung einkehren. Wir müssen Alles verlassen, was unser Eignes ist, unsere eignen Gedanken, unseren eignen Verstand und Willen. Das sind die vielen Bekannten, die uns stören (Pr. 1, 153). Eckart predigt vom samaritanischen Weibe. Christus spricht zu ihr, daß sie fünf Männer gehabt habe, und der Mann, den sie jetzt habe, sey nicht ihr Mann. Das Weib bedeutet die Seele! Was bedeuten die fünf Männer? Das sind die fünf Sinne! Mit diesen hat das Weib gesündigt, darum sind sie gestorben. »Der Mann, den du nun hast, der ist nicht dein Mann!« Das ist der freie Wille; der gehört nicht dem Weibe, denn er ist gebunden in Knechtschaft der Sünde. »Bringe mir deinen Mann!« Das ist: gib mir deinen Willen! (fol. 310). Christus erweckt den Sohn der Wittwe zu Nain. Die Wittwe ist die Seele, der todte Sohn ist die Vernunft. Jüngling, stehe auf, spricht Christus. Die geistige Erweckung und Auferstehung wird das Thema[S. 89] (fol. 267). Am Tage Marie Magdalenens predigt er über die ihr geschehene Offenbarung des auferstandenen Herrn. Rühre mich nicht an, sagt Christus, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Warum sprach er: Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, da er doch nie den Vater verlassen hatte? Er wollte sagen: Ich bin in dir noch nicht wahrlich erstanden (fol. 281). In dem Texte von der Bekehrung Pauli folgt er der Uebersetzung der Vulgata von Act. 9, 8: »Aber Paulus stand auf von der Erde und mit offenen Augen sahe er Nichts.« Welches Licht hatte ihn auf dem Wege nach Damascus umschienen? Es war Gott selbst, der die Seele Pauli umschien. Gott wohnt in einem unzugänglichen Lichte. Soll deshalb ein Mensch ihn erkennen, so muß Gott selbst das Licht der Seele seyn. Welches war nun das »Nichts«, das Paulus sah? Paulus sah Gott als das göttliche Nichts und die Geschöpfe als ein creatürlich Nichts und in allen Creaturen sah er Nichts, denn Gott.
Da der Mystiker sich auf diese Weise in der Schrift spiegelt und sein eignes Bild ihm auf jeder Seite entgegentritt, so muß die Frage nothwendig entstehen, wie denn die Persönlichkeit Christi aufgefaßt werde. Man muß nicht erwarten hier eine Läugnung des historischen Christus zu finden; im Gegentheil wollen unsere Mystiker nur die getreuen Söhne der Kirche seyn. Fragen wir aber, was in Christo sie eigentlich begeistert, so ist es offenbar nur dasjenige in Christo, was gleichsam eine Wiederspiegelung ist des gottmenschlichen Ideals, welches sie selbst im Innern tragen. In Christo, sagt Tauler, sind zweierlei Werke. Das eine Werk gehöret zu seiner Gottheit, als auf dem Meere gehen und Zeichen thun, vierzig Tage fasten, und was solcher Werke sind; diese Werke sollen wir uns nicht annehmen zu wirken, denn sie sind Gottes und gehören uns nicht zu. Die anderen Werke, die an Christo waren, die gehören seiner Menschheit zu, als arm seyn, elend und verschmähet seyn, Hunger und Durst haben, Pein leiden, und alle Tugenden, die an Christo waren, als demüthig, geduldig, sanftmüthig seyn — in diesen sollen wir Eins werden mit Christo (Nachfolge 1ster Th. 125).[S. 90] Das Letztere ist es, was den Mystiker begeistert, weil er darin dasjenige anschaut, was die Realität seines eigenen Bewußtseyns ausmacht. Sein Standpunct ist praktisch, ethisch, und man kann mit Recht diesen Christus als einen moralischen Christus bezeichnen. Allerdings ist dieses nicht zu nehmen im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts und Kant's, aber die mystische Christologie hat das doch mit der Kantischen gemein, daß der praktische Gesichtspunct das Vorherrschende ist, daß er nur wahres Interesse hat an dem »rein Menschlichen« in Christus, nur das Ideal der Freiheit in ihm anschaut. Andererseits ist hier der große Unterschied, daß diese Moral nicht gottverlassen, sondern gotterfüllt ist, daß das rein Menschliche eo ipso das Gottmenschliche ist. Im Begriffe des zweiten Adam's, der vollendeten menschlichen Natur, ist die göttliche Natur gegeben. Alles was in Adam unterging und starb, das stund in Christo wieder auf und ward lebendig, und Alles was in Adam aufstund, das ging in Christo unter und starb. Was ist und war aber das? Ich sage, es ist wahrer Gehorsam und Ungehorsam. Was ist wahrer Gehorsam? Das ist, daß der Mensch ist ohne alle Selbheit und Ichheit, daß er sich und das Seine so wenig suchet und meinet in allen Dingen, als ob er nicht wäre, und allein Gott in allen Dingen siehet, ergreifet, liebet, als ob sonst nichts wäre. Also war die wahre menschliche Natur in Christo. Sie sah nicht auf sich selbst und die Dinge, sondern wollte nur seyn ein Haus und eine Wohnung Gottes, und daß sie dieses war, das eignete sie sich nicht zu. In Christi Gehorsam war weder Furcht noch Pein der Höllen, auch nicht Hoffnung des Lohns und des Himmelreichs, sondern er lebte in lauterer Unterthänigkeit des ewigen Guts aus einer freien Liebe. Seine Worte und Werke redete und wirkte er nicht um eines Nutzens willen, sondern wie wenn einer die Sonne fragte, warum scheinest du? und sie antwortete: Ich kann nicht anders, es ist meine Natur und Eigenschaft: also war es auch in Christo. Und er war voll von einer gründlichen, wesentlichen Demuth, die da weiß, daß Wesen, Leben, Erkennen, Wissen und Vermögen alles allein des wahren Gutes ist. Vor Christo war Jedermann[S. 91] gekehret auf sich selbst, und Jedermann begehrete zu haben und Niemand wollte arm seyn, sondern sie suchten alle Reichthum. Aber da Christus kam, da brachte er mit sich die wahre Armuth, die wir verloren hatten durch Adam's Fall, beide äußerlich und innerlich. Wo da nun ist Selbheit und Ichheit, eigner Wille und Eigenliebe, da ist der alte Mensch, Ungehorsam und Adam; aber wo der alte Mensch stirbt, da ist der neue Mensch, Gehorsam und Christus. Wo Gott und Mensch so vereinigt sind, daß die Wahrheit selbst bekennet, daß nur Eins ist, wahrer vollkommener Gott und wahrer vollkommener Mensch, und doch der Mensch Gott so gar ergeben, daß Gott da selbst ist der Mensch, und wirket, thut und lässet ohn alles Ich, Mein, Mir, siehe da ist wahrhaftig Christus und sonst nirgends (deutsche Theol. 13. 10. 33. Tauler's Nachfolge, 1ster Th. 92. Deutsche Theol. 23).
In diesen Zügen, die zu den allgemeinsten und am häufigsten vorkommenden gehören, ist offenbar nur eine Schilderung desjenigen Gottmenschen enthalten, den die Mystiker zu realisiren suchen. Die historische Wirklichkeit Christi wird vorausgesetzt, aber der äußere Christus und der innere werden nicht gründlich unterschieden, und es bleibt stets unbestimmt und schwankend, ob das hier dargestellte Christusbild wirklich außer uns sey oder ob es sich nur auf dem inneren Grunde der Seele bilde, ob wir hier mit einer Person zu thun haben, oder nur mit einer Idee.
Zur Leidensgeschichte und dem Tode des Herrn kehrt die Betrachtung immer aufs neue zurück. Wie die Rose sich am herrlichsten offenbart in ihrem Duft, so das Wesen Christi in seinem Leiden und Sterben. Wenn ein Mensch frei seyn will von allen irdischen Gebresten, wenn Eitelkeit der Welt und Zufall der Natur ihre Gewalt über ihn verlieren sollen, dann muß er sich versenken in das Leiden des Herrn. Was hemmend hineintritt zwischen Gott und Mensch, geht hier zu Grunde; es ist kein Mittel so groß, so es getragen wird in das Leiden unseres Herrn, es muß vergehen und zunichte werden. Denn es ist ein brennend Feuer, in dem alle Ungleichheit verschwindet. Das Feuer aber, welches Christus zur Erde gebracht hat, ist das Feuer[S. 92] der Liebe. In diesem opfern die wahren Liebhaber alle leibliche Dinge mittelst Gott, ja sie opfern ihr eignes Leben in Gott; ihr Gemüth wird erhoben über alle erschaffene Dinge und dringt ein in das unerschaffene Gut, welches ist Gott selbst, und verliert sich in der verborgenen Finsterniß des unbekannten Gottes (Tauler's Nachfolge, 2ter Thl. 9. 11. 1ster Thl. 134).
In dem freien Leiden und Sterben wird also die höchste Einheit des Menschen mit Gott angeschaut; denn da dieser Tod das Aufgeben jeder endlichen Realität enthält, die Kreuzigung der Ichheit und die Vernichtung der natürlichen und bildlichen Welt, so wird die Ungleichheit der Seele mit dem unerschaffenen Wesen gründlich aufgehoben. Die Versöhnung wird jetzt nicht wie in der Scholastik als ein äußerer Vorgang aufgefaßt, sondern als ein universeller innerer Vorgang, der sich überall wiederholen muß, wo das Endliche mit dem Unendlichen Eins werden soll. Der Ansicht von der Versöhnung gegenüber, welcher zufolge Christus nur den Tod für Andere gelitten hat und diesem nur eine Bedeutung ad extra zukommt, erhebt sich nun vom speculativ-ethischen Standpuncte die Ansicht, daß das Leiden und Sterben immanente Bestimmung in Christo und zu seiner eignen Vollendung nothwendig sey. Ein Schriftwort, das die Mystiker tief im Herzen verwahrt haben und das sie oft in diesem Zusammenhange wiederholen, ist Joh. 12, 24: Wahrlich ich sage euch, es sey denn, daß das Waizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibet's alleine. Wo es aber erstirbet, so bringet's viele Früchte. »Das Waizenkorn ist die edle Seele unseres Herrn Christi; der fruchtbare Acker ist seine menschliche Natur« (in ihrer Allgemeinheit angesehen. Der einzelne Mensch mußte sich gleichsam begraben lassen in den allgemeinen Menschen, die Individualität mußte das Leben verlieren um es zu gewinnen). Dieser Tod war in Christo beide leiblich und geistig. Leiblich, insofern seine heilige Menschheit in diesem Leben litt alle Leiden des Leibes, Hunger, Durst, Winterregen, Hagel, Schnee und allerhand Pein gemeiner Natur und dazu den bittern Tod, welches er allzumal dem himmlischen Vater opferte zu seiner Ehre; geistig, insofern seine heilige Menschheit in allen ihren Leiden sich[S. 93] nie abwandte vom Vater einen Augenblick und ohne Unterlaß das höchste Gut anschaute. Keine Betrübniß oder Pein konnte in diese Beschauung hineinfallen, und als der Leichnam litte und starb am Kreuze, lebte sein Geist in der höchsten Gegenwärtigkeit des ewigen Guts. Dieses ist die Frucht, die da wächset in dem fruchtbaren Acker seiner menschlichen Natur, und in diesen edlen Acker sollst du deine Seele werfen wie ein Waizenkorn, daß sie ersterbe und Frucht bringe (Eckart fol. 290).
Ein anderes Wort, dessen die Mystiker nicht selten gedenken, ist das Wort Christi: Was heißest du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott! — Wenn darum ein Mensch gut genannt wird, dann ist es allein, weil dieser Mensch mehr Gott ist denn Creatur (Eckart fol. 309). Hieran knüpft sich dann der Gedanke, daß die Glorificirung des Creatürlichen nur geschehe mittelst eines steten Absterbens. Die Anwendung auf Christum liegt nahe. Obgleich er ohne Sünde ist, ist er doch nicht gut (im metaphysischen Sinne), bevor er seine Bestimmung verwirklicht, bevor er die Welt der Endlichkeit und des Stückwerks verlassen hat. Er wird nur gut dadurch, daß er erst wie das Waizenkorn in die Erde falle und sterbe.
Wie die Weihnachtspredigt fast immer den Inhalt hat, daß Gottes Sohn nicht nur von Maria geboren sey, sondern täglich in jeder gläubigen Seele geboren werde, daß Maria erst Christum geistig gebären mußte, bevor sie ihn leiblich gebären konnte, und daß sie viel seliger sey durch die geistige, denn durch die leibliche Geburt: so ist die Osterpredigt eine fruchtbare Rede vom Waizenkorn und ein Nachhall vom Worte des Herrn: Es ist euch nützlich, daß ich hingehe (damit ich nemlich in euch auferstehe). Selbst das liebliche Bild unseres lieben Herrn Jesu Christi und seine getreue, väterliche, fruchtbare Gegenwart war seinen Jüngern schädlich und hinderlich an ihrer Seligkeit; denn sie liebten ihn als einen Menschen, der noch sterblich war. Es sey denn, daß die Seele über alle erschaffene Dinge erhoben und aufgetragen werde, so mag der heilige Geist nicht in sie kommen; und alle göttliche Werke, die Gott wirkt, die wirkt er nicht in Zeit und Raum, sondern im Geiste (Tauler's Pred. 3, 94. Eckart[S. 94] fol. 262). Der Gegensatz von Christi Bild und Christi Wesen stellt sich hier von selbst ein, und die fromme Seele legt sich die Frage vor, ob es doch nicht besser sey das Leben und Leiden ihres Heilandes ohne Bild zu bedenken, als es zu bedenken im Bilde.
Was ist besser, sagt Tauler, daß ich ausgehe alles meines eignen Wirkens, Wollens, Denkens, und mich ledig halte aller Bilde — oder daß ich denke an unsers Herrn Leiden, an sein Leben und an sein Bild, daß Gott mich geschaffen, mir meine Sünde getragen und mir das ewige Leben geschenkt hat? Alles dieses ist gut und sollte billig die Liebe reizen und dich in große Dankbarkeit bringen. Aber wo diese Bilde eindringen und Stätte haben, da möchten auch andere Bilde mit eindringen. Darum müssen wir uns ledig aller Bilde halten, daß uns das Wesen der Wahrheit blöslich erscheine und leuchte. Nicht daß man des Herrn Pein und sein Bild verschmähe, oder darüber hinfliehe, sondern aus großer Liebe und Dankbarkeit soll, wer es kann, dieses ohne Bild bedenken. Dieses ist, als wenn mir Jemand fünf Schilling schuldig wäre, gäbe der mir fünf Mark, er hätte sich nicht versündigt. Viele gute Menschen werden an ihrer Vollkommenheit gehindert, weil sie mit gar zu großer Lust an Christi Menschheit haften. Denn so wir auch die göttliche Wahrheit in Christo anschauen, so sind wir dennoch nicht vollkommen selig, denn dieweil wir an der Schauung sind, so sind wir nicht Eins mit dem, was wir schauen, und dieweil Etwas ist in unserm Gemerk oder Verstand, so sind wir nicht Eins in dem Einen. Man kann Gott nicht sehen als mit Blindheit nicht bekennen als mit Unbekenntniß (Tauler's Pr. 1, 202. 2, 78).
Die mystische Identität, die über die Anschauung und den bildlichen Christus hinausgeht, geräth hiedurch aufs neue in Conflict mit dem Offenbarungsbegriff. Die wahre Identität des Subjects und Objects im Glauben, in der Erkenntniß und Liebe, fordert allerdings, daß das Geglaubte, Geliebte, Erkannte der Seele innerlich gegenwärtig und einwohnend sey, aber als dieses innere Daseyn hört es doch nicht auf zugleich dem Bewußtseyn[S. 95] ein selbständiger Gegenstand zu seyn, der als solcher ihr wahrhaft äußerlich ist und bleibt. Wenn nun die Vorstellung und das Bild mit Recht auf den Gedanken und das Wesen zurückgeführt werden, damit der äußere Inhalt ein innerer werde, so kann damit vernünftigerweise nicht an die Vernichtung der Anschauung, sondern nur an ihre Verklärung gedacht werden. Mit der Vernichtung der Anschauung ist auch die Wirklichkeit des Gegenstandes vernichtet, Object und Subject vermischen sich chaotisch in der unbestimmten Allgemeinheit des Wesens, sie werden ein tautologisches Einerlei anstatt einer höhern, geistigen Einheit. Denn wie der Gedanke die innere Gegenwart der Sache, die Wesenseinheit des Gegenstandes und des Selbstbewußtseyns enthält, so enthält die Vorstellung die Unabhängigkeit der Sache vom Selbstbewußtseyn, ihre selbständige, gegenständliche Wirklichkeit. Das Innere und das Aeußere, das Immanente und das Transcendente, Gedanke und Vorstellung, Wesen und Bild, Begriff und Anschauung setzen sich in der wirklichen Identität gegenseitig voraus und werden durch einander bestätigt. In der wahren Betrachtung Christi muß darum sein Wesen im Bilde, sein Bild im Wesen geschaut werden. Und wie behauptet werden muß, daß dieses Bild in uns Wesen werden, ja ursprünglich Wesen seyn müsse, so ist es nicht minder wahr, daß dieses allgemeine gottmenschliche Wesen in uns »Gestalt« gewinnen solle. Gestalt aber gewinnt es nur dadurch, daß es gebildet werde nach dem Bilde Christi. Es ist der bildliche (historische) Christus, durch dessen Vermittelung erst der innere, wesentliche Christus aus dem Mysterium der menschlichen Seele heraustreten und, die esoterische Tiefe der Möglichkeit, das dunkle Reich der Ahnungen verlassend, im wirklichen Bewußtseyn auferstehen kann. Das mystische Bewußtseyn, welches von der Offenbarung Christi abstrahirt, will verschmelzen mit dem in der Tiefe der Seele verborgenen Christus, der als solcher weder Gegenstand der Liebe noch des Erkennens seyn kann. Dasselbe, was wir im vorigen Abschnitte im Verhältnisse des Mysteriums und der Offenbarung, des verborgenen und des offenbaren Gottes nachgewiesen haben, wiederholt sich hier auf dem Gebiete der Christologie. Wenn[S. 96] das Bild Christi dem Blicke schwindet und das Bewußtseyn nur das gestaltlose Wesen ergreift, dann merkt es wohl, daß es Abend werde in ihm und außer ihm, und es sehnt sich vom Schattenreiche zurück zum hellen Tage der Offenbarung, zum gestalteten, fleischgewordenen Worte. Und hat es nun wieder den Gegenstand seiner Liebe gefunden, steht es vor der Incarnation, vor dem sichtbaren Gotte, dann bedenkt es, daß Gott doch nur wohne in einem reinen Lichte, und es jagt wieder nach der bildlosen Identität. Es macht die via negationis durch, und vollzieht seinen christologischen Akosmismus.
Eine wichtige Bestimmung, die oft vorkommt, wo die historische Wirklichkeit Christi und seine eingeborne Persönlichkeit festgehalten und gesichert werden soll, ist diese, daß Christus von Natur ist, was alle Andere erst durch die Gnade werden sollen. Aber diese wichtige dogmatische Idee, die in den Schriften der Mystiker sehr häufig vorkommt als ein Correctiv, kommt nicht zur wirklichen Entwickelung, weil sie nicht mit dem Gedanken, durch welchen sie erst in das rechte Licht gestellt wurde, in Verbindung gebracht wird, dem Gedanken nemlich von Christo als dem Haupte der Gemeinde, dem persönlichen Einheitspuncte, in welchem sowohl das Geschlecht wie das Individuum ihre Vollendung erreichen. Allein der der ganzen Gemeinde offenbare Christus, der Allen Alles ist und nur durch Alle in Verhältniß steht zu Jedem, nur durch das Leben der Gemeinde als seines geistigen Leibes und Organismus sich dem Einzelnen mittheilt, tritt überall in der Mystik in den Hintergrund[24]. Der Mystiker, der selbst, wenigstens partiell, vom Leben der Gemeinde getrennt ist, denkt sich seinen Christus nach seinem eignen Gleichnisse und Bilde als den einsamen, subjectiven Gottmenschen, dessen Herrlichkeit nicht verträgt sich dem Blicke der Menge zu zeigen, sondern nur in einen geheimen Rapport tritt mit der einzelnen Seele. Da es so der Persönlichkeit Christi an der rechten historischen Haltung fehlt, so kann sie nicht festgehalten werden und erhält[S. 97] vom Anfange an eine nur esoterische Physiognomie. Das Mystische zeigt sich wieder darin, daß die Offenbarung Christi außerhalb seiner Gemeinde und seiner ihr stets gegenwärtigen Geschichte gesucht wird. Außerhalb der Gemeinde aber ist Christus der verborgene, nur an sich seyende Gottmensch. Offenbarung ist Erscheinung des Geistes für den Geist; als Offenbarung der Wahrheit ist sie nicht zunächst für das einzelne, sondern für das allgemeine Bewußtseyn. Christus als die persönliche Wahrheit kann nur der Gemeinde offenbar seyn; nur das Gemeindebewußtseyn ist das rechte Organ für die Auffassung Christi. Darum ist nur der Christus der Gemeinde der einzige wahre Christus, und nur wie er seiner Gemeinde erschienen ist, so ist er. Denn wie jegliches Licht nur dem entsprechenden Auge Licht ist, so ist »das Licht der Welt« nur für das universelle Auge, für den geistigen Sinn der Gemeinde. Zu behaupten, daß der Christus der Gemeinde nicht der wahre sey, ist dasselbe wie zu behaupten, daß Christus überhaupt nicht geoffenbart sey. Denn eine Offenbarung für einen esoterischen Kreis von Individuen, welche nicht die Kraft hätte allgemein und exoterisch zu werden, wäre eo ipso nicht die wahre Offenbarung, sondern nur eine abstracte, subjective Seite derselben. Hier trifft die Mystik oft zusammen mit den gnostischen Systemen, welche auch den wahren Christus außerhalb der Gemeinde suchen und ihn dadurch nur aus dem Offenbarungskreise herausrücken, ihn mehr verbergen, denn in das rechte Licht stellen. Der persönliche Christus wird in solchen Systemen unkenntlich gemacht und in eine unbestimmte, nebelhafte, gleichsam vermummte Gestalt verwandelt, wodurch der Betrachter nur mystificirt wird. Alle Gnosis aber ist nur wahr in dem Maaße, als sie sich aus dem Gemeindebewußtseyn entwickelt hat und wieder in dieses übergehen kann, wieder zurückgeben kann, was sie aus dessen Fülle empfangen hat.
Da der mystische Christus außerhalb der Gemeinde ist, so vermag auch das Bewußtseyn ohne Vermittelung der Gemeinde und der kirchlichen Gnadenmittel zu ihm in Verhältniß zu treten. Im Vorhergehenden hat das Princip sich darin gezeigt, daß die Idee des Vaters in das farblose Pleroma überschlug, daß die[S. 98] Persönlichkeit und Incarnation des Sohnes sich in das »Wesen« Christi auflöste. Im Dogma vom Geiste zeigt das mystische Princip sich darin, daß die Nachfolge Christi unabhängig vom Gemeindeleben vorgenommen wird, daß das reiche, ausgebreitete Leben des Geistes in der Gemeinde zu einem innerlichen Weben in der einzelnen Seele einschwindet, wo er seine unmittelbaren Wirkungen ausübt. Die mystische Aneignung des göttlichen und seligen Lebens, der praktische Weg der Seele zur Vollkommenheit wird jetzt die Aufgabe unserer Darstellung. Erst hiemit kann das ganze Bild sich abschließen.
[S. 99]
Princip und Grundlage der mystischen Ethik ist schon im Bisherigen gegeben. Die Aufgabe ist bestimmt als die Nachfolge Christi, welches nicht auf äußerliche Weise zu nehmen ist, sondern so, daß dieselbe praktische Aufgabe, die im Leben Christi gelöst wurde, auch im Leben des wahren Mystikers gelöst werde. Niemand ist gut, denn der einige Gott; das höchste Gut ist von Gott selbst nicht verschieden; da Gott aber nicht ohne den Menschen seyn will, weil er im Menschen sich selbst anschauen will und die menschliche Natur zum Mittel gesetzt hat für die Offenbarung des ewigen Sohnes, so ist es die Bestimmung der menschlichen Natur den Sohn zu offenbaren, die Einheit göttlicher und menschlicher Natur zu verwirklichen. Unablässig treibt der Vater den Menschen ihm den Sohn zu gebären; die Nothwendigkeit der eigenen göttlichen Natur zieht ihn zur menschlichen Natur. Wie aber die Offenbarung der göttlichen Natur nicht ohne den freien Willen des Menschen vollzogen werden kann, so findet andererseits dieser seinen Ruhepunct nur in Gott. Das höchste Gut als unendlicher Zweck des menschlichen Willens ist also seine Einheit mit dem göttlichen Wesen; die sowohl menschliche wie göttliche Nothwendigkeit des Willens diesen Zweck zu verwirklichen ist die Pflicht; und dieses Thun selbst, die Verwirklichung des Ideals, ist die Tugend.
Das moralische Ideal hat hier eine ganz andere Bedeutung als in der Ansicht des abstracten Moralismus. Diese nimmt das Ideal als ein in aller Ewigkeit unerreichbares Ziel, welches bei jeder Annäherung sich immer weiter entfernt; sein Inhalt ist nur ein leerer Begriff des göttlichen Willens, der sich in einem[S. 100] Systeme abstracter Pflichtgebote ausspricht. Hier fordert im Gegentheil sowohl die göttliche wie die menschliche Natur die Wirklichkeit des Ideals, und dessen Inhalt ist nicht blos der göttliche Wille, sondern das göttliche Wesen in dessen Einheit mit dem menschlichen. Daß die Forderung, der Mensch solle den göttlichen Willen thun, recht verstanden, nicht verschieden sey von der Forderung, der Mensch solle Gott realisiren, sein Wesen zur actuellen Wirklichkeit bringen — diese Erkenntniß ist die Seele aller religiösen und speculativen Ethik. Die Mystiker treffen hier mit den gründlichsten Moralphilosophen zusammen, sowohl mit Spinoza wie mit Fichte. In der Ethik des Spinoza ist die göttliche Substanz der einzige Gegenstand des sittlichen Strebens; seine intellectuelle Liebe ist die Einheit des denkenden Willens mit dem göttlichen Wesen und ein Theil der unendlichen Liebe, mit welcher Gott sich selbst liebt. So wird auch in der moralischen Weltanschauung Fichte's Gott als die eigentliche Aufgabe des menschlichen Handelns bestimmt. Die Verwirklichung Gottes, der sittlichen Weltsubstanz, ist die allumfassende Pflicht des Menschen.
Wo nun die Mystik in Pantheismus überschlägt, geräth sie in dieselbe praktische Einseitigkeit, die an den genannten Systemen gewöhnlich gerügt wird, und kann bald mit dem Spinozismus, bald mit dem Fichtianismus zusammengestellt werden. Gott ist dann nur actu wirklich, insofern sein Wesen in der Seele zum Durchbruch kommt. Wo aber die Mystik in der christlichen Anschauung des lebendigen Gottes ruht, spricht sie das wahre Princip der christlichen Ethik aus. Gott ist dann nicht nur das sittliche Ideal. Als solches ist er nur, insofern seine Offenbarung unablässig von der Freiheit hervorgebracht wird. Aber ebensosehr ist er in seiner ewigen Selbstoffenbarung der in und für sich Seyende. Mittelst des Menschen will er den Reichthum seines Wesens entfalten und setzt sich darum als das Ideal der menschlichen Natur. Eckart drückt dieses so aus, daß Gott seinen Sohn von jedem Menschen fordere, daß jeglicher Mensch also Gott eine Offenbarungsform des Sohnes schuldig sey. Der Pflichtbegriff bleibt ohne Realität, wenn das Gebot nicht als Ausdruck des wesentlich göttlichen[S. 101] Willens aufgefaßt wird, wenn nicht jede Pflichtbestimmung in ihrem tiefsten Grunde als eine göttliche Wesensbestimmung, die sich unter der Form einer absoluten Forderung an die menschliche Natur ausspricht, ausgedrückt wird. Die fehlende Pflichterfüllung hindert also nicht nur den Menschen daran seine eigene Bestimmung zu erreichen, sondern übt zugleich eine hemmende Einwirkung auf das göttliche Wesen selbst. Der Eigenwille will eine Schranke für die Offenbarung Gottes, indem die Wahrheit, nach dem Ausspruche des Apostels, in Ungerechtigkeit aufgehalten wird (Röm. 1, 18). Der für die christliche Ethik so wichtige Begriff der Pflicht gegen Gott läßt sich nur vollziehen, wenn Gott in ein reales Wechselverhältniß zum Menschen tritt. Indem er sich aber zum praktischen Ideal des Menschen macht, begibt er sich in ein Verhältniß der Abhängigkeit vom subjectiven Willen des Menschen. »So viele Menschen es gibt,« sagt ein geistreicher Dänischer Schriftsteller (J. L. Heiberg), »die ihr Herz und ihren Geist für das Ewige verschließen, von so vielen Individuen wird das Daseyn Gottes verdrängt, während Jeder, der dem Reiche der Idee lebt, dadurch sein Inneres für das göttliche Daseyn öffnet und das Seinige zu dessen Erweiterung beiträgt.« Dieser Gedanke ist constitutiv in der mystischen Ethik. Nach der tiefen Anschauung der Mystik ist Gott selbst was er gebietet. Er gebietet Liebe, er ist Liebe. Er gebietet Güte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit u. s. w. Dies Alles aber ist er selbst, es ist seine Substanz. Er selbst ist der Inhalt eines jeglichen Pflichtgebots und mit allen concreten Pflichten, die er dem Menschen auferlegt, meint er nur seine eigene Menschwerdung. Da die Mystik lehrt, daß Gottes eigene Seligkeit hieran hange, so leuchtet ein, daß sie, insofern sie sich innerhalb der Sphäre der Offenbarung hält, wenigstens im Principe der Forderung genügt, die an jede gründliche Ethik gestellt werden muß, daß nemlich das Gute um seiner selbst willen geübt werde, nicht blos darum, daß das Individuum glückselig oder selig sey. Denn wie einerseits die in Liebe angezündete Seele das Ideal ihrer Begeisterung und damit ihre eigene Seligkeit in Gott findet, so ist andererseits das Ideal Gegenstand ihrer tiefsten und reinsten Verpflichtung, und das Gute wird im[S. 102] eigentlichen Sinne des Worts gethan um Gottes willen. Denn Gott hat gleichsam seine eigene Seligkeit in die Hand des Menschen gelegt, und was schadet es dir, o Mensch! daß du Gott gönnest, daß er Gott in dir sey! Daß die Grenze, welche hier die reinste, resignirende Liebe von schwärmerischem, geistigem Hochmuth scheidet, einem feinen, fast unsichtbaren Haare vergleichbar sey, leuchtet ein; wie auch zugegeben werden muß, daß die Mystiker und namentlich Eckart diese Grenze oft überschritten haben, obgleich sie auch in einzelnen heiligen Momenten das Mysterium der Liebe im Geiste der Wahrheit gefeiert haben. Andererseits aber darf nie vergessen werden, daß in diesen Regionen alle Grenzen fein sind, und schwerer zu beobachten als die Vorschriften der Alltagsmoral. Sowohl die Aehnlichkeit wie die Unähnlichkeit mit Spinoza, der von seinem Gott keine Gegenliebe fordert, sondern ihn allein um seiner selbst willen lieben will, wird dem denkenden Leser klar seyn.
Wenn nun allerdings die Mystik in ihren reinsten Momenten das Princip der wahren Ethik ausgesprochen hat, so wird dieses doch nur als bloßes Princip festgehalten, anstatt sich zur Offenbarung in einem sittlichen Gemeinleben aufzuschließen. Das Erhabene und Reinigende in dieser Ethik liegt wie bei Spinoza in dem sittlichen Akosmismus, welcher das kleinliche Detail der Pflichten vernichtet und die Breite der empirischen Zwecke in der einen absoluten Pflicht zu Grunde gehen läßt. Aber das erhabene Ideal bleibt unwirklich, so lange es vornehm sich der Vermittelung der Endlichkeit entzieht. Freilich wird hiedurch seine Unendlichkeit begrenzt, aber eben dadurch gewinnt es diejenige Form, in welcher es vom kirchlichen Bewußtseyn anerkannt werden kann. Es ist die Pflicht des Menschen in seinem Leben die Einheit göttlicher und menschlicher Natur zu verwirklichen; aber — was sowohl die Wissenschaft wie die Kirche urgiren muß — unmittelbar ist dieses nicht möglich, sondern nur mittelst Christus als des Mittlers zwischen Gott und Menschen. Die abstract-unendliche Forderung, daß das Individuum das Ideal eines Gottmenschen realisire, reducirt sich nun zu der concreteren Forderung, daß das Individuum an Christum glaube und Christum anziehe. Der speculative Gedanke[S. 103] wird hier erst wahr, wenn er sich mit der Vorstellung der Gemeinde zusammenschließt. Dieses wird auch von der Mystik anerkannt, indem sie ihre Aufgabe als Nachfolge Christi faßt; allein da der historische Christus der mystischen Betrachtung wiederum entschwindet, so verliert die Forderung sich wieder in die abstracte Unendlichkeit, in welcher das Individuum sich selbst zu Christus machen will. Und selbst die Nachfolge Christi ist dem christlichen Bewußtseyn ein abstractes Ideal, wenn es sich nicht durch das Leben der Gemeinde, durch die Mannichfaltigkeit der bestimmten, endlichen Zwecke vermittelt. Das Ideal muß vom Himmel der Allgemeinheit herabsteigen, um als eigenthümliches χάρισµα der bestimmten Persönlichkeit in dem einen Gemeindegeiste Gestalt zu gewinnen. Das mystische Princip aber fordert, daß das Wesen des Ideals außerhalb seiner Erscheinung ergriffen werde.
Dasselbe muß von der Tugend gesagt werden. Hier tritt die Antinomie der einen und der vielen Tugenden hervor; die eine Tugend soll außerhalb der vielen ergriffen werden. Wir sollen ablegen die Bilder der Tugend, damit wir das Wesen erlangen; wir sollen sie nicht besitzen in Mannichfaltigkeit, sondern in Einigkeit. (Tauler, Nachf. 1 Th. 7.) Allein die eine Tugend ist nur das Mysterium der Tugend; ihre Offenbarung sind die vielen Tugenden und die wirklichen Handlungen. »Der tugendhafte Mensch soll seyn ohne alles Warum, er soll nichts thun um eines Nutzens willen.« Allein der Nutzen ist das nothwendige Moment der Endlichkeit in allem wirklichen Handeln, das Mittel im unendlichen Zweck. Die Tugend in ihrer reinen baaren Unendlichkeit ist eine prächtige Schaumünze, aber im wirklichen Leben kann man sie nicht ausgeben, bevor sie in gangbare Münze umgesetzt wird. Die mystischen Moralpredigten können in dieser Beziehung mit den hohen Reden des Stoicismus und Kantianismus von der Ausübung der Pflicht um der Pflicht willen verglichen werden.
Der Zustand, in welchem der Mensch in der einen Tugend lebt, kann, wie von selbst erhellt, nur erreicht werden durch Abgeschiedenheit theils von der Natur als Schranke der Freiheit überhaupt, theils vom wirklichen und thätigen Leben, wo die[S. 104] vielen Tugenden heimisch sind und das Wesen der Tugend im Bilde hervortritt. Die moralische Abstraction, durch welche die Unendlichkeit der Freiheit erreicht wird, wird mittelst der drei Staffeln des geistlichen Lebens, nemlich der Staffel der Natur, der Gnade und des Wesens näher beschrieben. Die letzte, der Ausdruck der Vollkommenheit und der Vollendung, wird auch, namentlich von Eckart, als die Staffel der Gerechtigkeit bezeichnet. Innerhalb dieser Stufen befindet sich noch eine Mannichfaltigkeit von Unterschieden des geistlichen Lebens, welche aber in keinem bestimmten Gedanken festgehalten werden können und nur als Nuancen und Schattirungen des Gefühls anzusehen sind.
Die äußere Natur ist dem Zufall und der Eitelkeit untergeben und ihre Betrachtung ist der wahren Vollkommenheit hinderlich. Der mystische Geist verhält sich fast durchgängig negativ zur Natur. Tauler rühmt das Beispiel eines Klosterbruders, der, als er im Maimonat durch den Klostergarten ging, seine Kappe über die Augen zog, um nicht in seiner Beschaulichkeit von den zufälligen Formen der Blumen gestört zu werden. Insofern der Geist sich von der Naturschönheit nicht gänzlich abzukehren vermag und zu dieser in ein positives Verhältniß tritt, muß der Natur eine christliche Seite abgewonnen werden und sie muß unmittelbar in der Gnade verklärt werden. Ihre Schönheit wird dann nur mit dem religiösen Organ aufgefaßt, denn die Religion ist das einzige Organ, welches der Mystiker für die Welt besitzt. Das Erwachen des Frühlings in Wald und Feld vermag auf den Mystiker einen Eindruck nur zu machen, wenn die christlichen Glockentöne über die Gegend hinklingen und der Blumenduft mit einem religiösen Aroma durchwürzt wird. Ein solches Naturgefühl spricht sich oft bei dem poetischen Suso, dem Landsmann der Minnesänger, aus. Er begrüßt den neugebornen Mai, setzt sich aber zum Maienzweig den Kreuzesbaum, weil auf ihm die Frucht der ewigen Seligkeit gewachsen ist. Und für alle rothe Rosen bietet er nun seinem Heilande eine herzliche Minne; für alle kleine Violen ein demüthiges Neigen; für alle zarte Lilien ein lauterliches Umfahen; für alle schön gefärbte und glänzende Blumen, die je Haide oder Anger, Wald oder Aue hervorgebracht, ein geistliches Küssen;[S. 105] aber für aller wohlgemuthen Vöglein Gesang bietet er seinem Heilande ein grundloses Loben[25]. Dieser unmittelbare Wiederschein der Gnade in der Natur ist die einzige Bedingung, unter welcher es hier zu einer Naturanschauung kommt. Diese ist übrigens häufiger bei den romanischen als bei den germanischen Mystikern. Die Hymne des heiligen Franciscus von Assisi an die Sonne und seine Predigt an die Vögel sind Beispiele einer solchen mystischen Naturpoesie, die aus dem tiefen Gefühle des die ganze Creatur durchströmenden göttlichen Lebens entsprungen ist, die Verklärung der Natur aber auf unmittelbare, naive Weise anticipirt.
Doch ist es vor Allem der natürliche Mensch selbst, der in der Gnade wiedergeboren werden soll. Die Gnadenwirkung zeigt sich darin, daß der Mensch seine Sünde und die Gebreste der Natur erkenne, daß die Sehnsucht nach der Rückkehr zu Gott im Herzen erweckt werde. Die erste Stufe der Gnade ist die wirkende Tugend. Der Mensch strebt die Gebote Gottes und die Vorschriften der Kirche zu halten, befleißigt sich reiner und heiliger Sitten und übt gute Werke. Allein die wirkende Tugend ist mit Zufall behaftet, die Zeitlichkeit klebt ihr an; sie will immer »Etwas« wirken und ist also von den äußeren Objecten bedingt. Zufällig ist was nun ist und nicht ist, und so wirket der Mensch auf diesem Standpuncte Tugend nur, als es ihm vorgehet oder kommet. (Tauler, Nachfolge 1 Th. 8.) Die wesentliche Tugend aber ist nicht von den Objecten abhängig und deshalb ewig und unzerstörlich, dieweil der Mensch hier nicht Vermögens hat zu wirken einige Tugend mit den Materien, denn allein mit einem einfältigen Willen. (Ebendas.)
Damit nun der Mensch zur wesentlichen Tugend gelange, führt die Gnade ihn vom thätigen ins schauende Leben. Das Wesen der Tugend ist doch nur im schauenden Leben, insofern das Schauen aus einer vollkommenen geistigen Armuth hervorgehet. Der Mensch muß nicht nur an Tugenden und Werken arm seyn, sondern auch an Erkenntniß und Liebe, ja er muß arm seyn an Gnade. Die Gnade ist nur Durchgangspunct für das Wesen.[S. 106] Denn Gnade ist behaftet mit Creatürlichkeit und was in der Gnade erkannt und gewirkt wird, das ist noch Alles in creatürlichen Formen. So aber die Seele erhaben ist über alle Leiblichkeit, über Zeit und Mannichfaltigkeit, so wird Gnade gewandelt in Gott, daß denn Gott die Seele nicht mehr ziehet creatürlicher Weise, sondern er führet sie mit ihm selbst in göttlicher Weise. (Ebend. 6.) Auf der Stufe des Wesens hat der Mensch nicht Tugend, sondern er ist sie.
Hieher gehört auch die Unterscheidung der wirkenden und leidenden Vernunft. Die wirkende Vernunft ist Ausdruck der Gnade, sie bereitet dem Wesen und der leidenden Vernunft Statt. Sie heißt eine wirkende Vernunft, denn sie wirket alle Dinge ab. (Ebend. 2 Th. 104.) Sie vernichtet alle Formen, wirkt, daß das Geschaffene in seinem Nichts erkannt werde, und daß Gott der einzige Werkmeister sey. Sie wirkt, daß sie selbst in der leidenden Vernunft zu Grunde gehe. Die leidende Vernunft aber leidet was Gott allein wirket, alle Ungleichheit und Anderheit ist hier verschwunden, sie ist eine Mutter Gottes geworden, die da liegt im Kindbett und gebiert den ewigen Sohn in der Gottheit. (Ebend. 105.) Dieses ist nun die Staffel des Wesens und die mystische Identität mit dem Guten.
Uebrigens oscillirt das eigene Leben des Mystikers zwischen wirksamer und wesentlicher Tugend, zwischen einem Leben für die Gemeinde und einem Leben für das abstracte Ideal. Insofern das Selbstbewußtseyn dem letzteren zugewandt ist, kehrt es sich mit Verachtung ab von der Mannichfaltigkeit des Gemeindelebens und der Zufälligkeit der Außenwelt. Indem nun aber die wesentliche Tugend nicht nur in Gott verborgen, sondern an empirische Persönlichkeit geknüpft ist, die ihrer Endlichkeit ohngeachtet das reine Wesen ohne Endlichkeit zur Darstellung bringen will, so wiederholt sich innerhalb des Christenthums dieselbe Erscheinung, die in der alten Welt als das Ideal »des Weisen« hervortritt: der Weise ist eine gedachte Persönlichkeit, die den Inbegriff aller moralischen Vollkommenheiten besitzt, und der praktische Philosoph, der dieses Ideal in seiner endlichen, empirischen Persönlichkeit darstellen soll, sucht sich selbst in ein sittliches Abstractum zu verwandeln. Namentlich[S. 107] ist es der stoische Weise, der hier auf dem christlichen Schauplatze erscheint, nachdem er die philosophische Toga mit der Mönchskutte vertauscht hat. Wie überall, so tritt auch diese Abstraction am stärksten hervor bei Eckart. Die »exemplarische Form eines vollkommenen Menschen« wird aber auf folgende Weise beschrieben[26].
Es war nemlich ein gelehrter Mann, der wohl acht Jahr lang begehrte, daß ihm Gott einen Menschen zeigte, der ihn den Weg der Wahrheit unterrichtete. Und als er in einer großen Begierde war, da kam eine Stimme von Gott zu ihm und sprach: Gehe vor die Kirchen, da wirst du einen Menschen finden, der wird dir den Weg zur Seligkeit weisen.
Und er ging hin und fand einen armen Menschen, dem seine Füße zerrissen und voll Staubs und Unsauberkeit waren und alle seine Kleider waren kaum drei Heller werth. Er grüßet ihn und spricht: Gott gebe dir einen guten Morgen! Da antwortet er: Ich hatte noch nie einen bösen Morgen. — Daß dir Gott Glück gebe! — Ich hatte niemals Unglück! — Daß du selig seyst, wie antwortest du mir also? — Ich war noch nie unselig! — Bedeute mir doch dieses, denn ich kann es nicht verstehen! — Er sprach: Gerne! du wünschest mir einen guten Morgen. Ich hatte niemals einen bösen Morgen, denn so mich hungert, so lobe ich Gott; frieret mich, hagelt es, schneiet es, regnet's, ist's gut oder bös Wetter, so lobe ich Gott; bin ich elend und verschmähet, so lobe ich Gott; und darum hatte ich noch nie einen bösen Morgen. Du wünschest mir, daß Gott mir Glück gebe. Ich hatte aber niemals Unglück, denn ich weiß mit Gott zu leben und weiß, was er thut, das ist das Beste; und was mir Gott gibt oder über mich verhänget, es sey Lieb oder Leid, das nehme ich fröhlich von Gott als das Allerbeste, und darum hatte ich niemals Unglück. Du wünschest mir, daß Gott mich selig mache. Ich war nie unselig, denn ich begehre[S. 108] allein in Gottes Willen zu seyn, und ich habe meinen Willen in Gottes Willen ergeben also ganz, daß, was Gott will, ich auch will. — Wenn dich aber Gott in die Hölle werfen wollte, sagte der gelehrte Mann, was wolltest du darzu thun? — Mich werfen in die Hölle? das hält ihn seine Güte. Doch so er mich in die Hölle würfe, so hätte ich zween Arme, damit ich ihn umfinge. Der eine Arm ist wahrhafte Demuth; denselben lege ich unter ihn und damit bin ich mit seiner heiligen Menschheit vereiniget. Und mit dem rechten Arm der Liebe, so mit seiner heiligen Gottheit vereiniget ist, umfinge ich ihn, daß er mit mir in die Hölle müßte. Und also wollte ich lieber in der Hölle seyn und Gott haben, als in dem Himmel und Gott nicht haben. Da verstund dieser Meister, daß wahre Gelassenheit mit gründlicher Demuth der nächste Weg zu Gott wäre.
Weiter fragte dieser Meister: Von wannen bist du kommen? — Von Gott! — Wo hast du Gott gefunden? — Da ich alle Creaturen verließ! — Wo hast du Gott gelassen? — Im reinen Herzen und in gutwilligen Menschen! — Der Meister fragte: Was bist du für ein Mann? — Ich bin ein König! — Wo ist dein Königreich? — Das ist meine Seele, denn ich kann meine inwendige und auswendige Sinne also regieren, daß alle meine Begierden und Kräfte der Seele unterthänig seyn. Und dieses Reich ist größer denn ein Königreich auf Erden. — Was hat dich zu dieser Vollkommenheit gebracht? — Mein Stillschweigen, meine hohe Gedanken und meine Vereinigung mit Gott! Denn ich konnte in keinen Dingen ruhen, die geringer waren als Gott. Nun hab' ich Gott gefunden und habe ewigliche Ruhe und Friede in Gott.
Vergleicht man hiemit die stoischen Beschreibungen des Weisen als desjenigen, der allein ein König sey, frei in Ketten, unabhängig von Furcht und Hoffnung u. s. w., so wird man dasselbe Princip wiederfinden, nur mit den Veränderungen, die nothwendig dadurch entstehen, daß es in einer anderen Welt auftritt; und in der äußerlichen Armuth und den lumpigen Kleidern wird man ohne Schwierigkeit den Cynismus wiedererkennen.
Aber diese Ataraxie, diese Ruhe der Freiheit in ihrer eigenen Unendlichkeit läßt sich auf dem Standpuncte des Christenthums nicht durchführen, weil das Fleisch nie aufhört wider den Geist[S. 109] zu gelüsten und die Tugend in ihrer Einsamkeit von den unchristlichen Naturmächten überfallen wird. Eine ununterbrochene Askese ist nothwendig um das Fleisch zu tödten und die Freiheit schlägt über in die schlechteste Abhängigkeit. Die gedachte Persönlichkeit collidirt unaufhörlich mit der idealen und kann nur ihr ideales Königthum dadurch behaupten, daß sie den wirklichen Menschen der härtesten Gesetzlichkeit unterwirft und die Züchtigung und Kasteiung des Fleisches sich zum fortwährenden Geschäfte macht. So erfahren wir aus dem Leben Suso's, daß er ein Unterkleid mit spitzigen Nägeln trug, deren Spitzen gegen den Leib gekehrt waren, daß er ein andermal ein hölzernes Kreuz trug, das mit eisernen Nägeln in seinem Rücken befestigt war, daß er um das Fleisch zu tödten seinen Leib von Ungeziefer plagen ließ u. s. w. Das Subject kann in der speculativen Wesensschauung nicht zur Ruhe kommen, weil es unaufhörlich vom Ungeziefer der Selbstreflexion gestört wird.
Zu diesem Conflicte des Geistigen und Natürlichen im mystischen Bewußtseyn gehören auch die Träume und Visionen der Mystiker, ihre ekstatischen Zustände. Görres weiß diese Zustände nicht genug zu erheben und betrachtet sie ohngefähr mit denselben Augen wie die Mystiker selbst, wenn sie hinterher darüber reflectirten, nemlich als augenscheinliche Beweise der göttlichen Gnade, welche die Seele über das Vernunftleben erhoben und mit der jenseitigen Wirklichkeit in Rapport gesetzt habe. Wir haben schon erwähnt, daß er in seinem größeren Werke über die Mystik aus allen Jahrhunderten ein großes Material von solchen Ekstasen, Gesichten und Offenbarungen gesammelt hat; in diese höhere Empirie setzt er vornehmlich das Wesen und die Herrlichkeit der Mystik. Das Interessantere aber ist zu erkennen, daß mit diesen Visionen ein neuer Widerspruch im mystischen Bewußtseyn zum Vorschein kommt. Der freie Geist, der sich über alle Bilder erhoben und von der Natur abgeschieden hat, versinkt unwillkührlich in eine Traumwelt und die reine Intelligenz geräth in die Versinnlichung eines somnambulen Zustandes. Dasselbe Bewußtseyn, das durch die Kraft der Intelligenz die Welt der Erfahrung, namentlich die historischen Thatsachen der Religion in ein blos Inneres verwandelt, sieht nun dasjenige, was[S. 110] in der Wirklichkeit nur ein Inneres ist, als eine reale empirische Aeußerlichkeit. Sie vernichtet das wirkliche Object und bekommt ein illusorisches an seiner Stelle. Nicht selten haben diese Visionen eine schöne poetische Färbung, aber der Inhalt ist gewöhnlich sehr unbedeutend und dreht sich nur um die empirische Individualität als ihren Mittelpunct. Ein naiver Contrast zur mystischen Verflüchtigung der individuellen Unsterblichkeit ist es, daß Eckart nach seinem Tode sich dem Suso offenbart und ihn davon unterrichtet, daß er jetzt gänzlich in Gott absorbirt sey[27]. Als Suso eine nähere Beschreibung dieses Zustandes wünscht, erhält er die Antwort, daß er unaussprechlich sey. Nachdem Suso in vielen Tagen seinen Leib mit Fasten und Wassertrinken kasteiet hat, offenbart sich ihm Maria und erlaubt ihm einige Tropfen Wein zu genießen. Ein andermal bringt sie ihm einen Korb mit lieblichen Früchten. Daß das Natürliche so oft den wesentlichen Inhalt der Vision abgibt, erklärt sich leicht aus dem ununterbrochenen Kampfe des Geistes mit dem Fleische. Die Sinnlichkeit wird in der wirklichen Welt getödtet, steht aber wieder auf in der idealen, und in magischen Spiegelungen verleiht sie ihren Objecten den täuschenden Schein der wirklichen Gegenwart. Diese inneren Conflicte sind unzertrennlich von der Abstraction der wesentlichen Tugend. Die Mystiker aber leben nicht nur ein Leben außerhalb der Gemeinde, in sich selbst und für sich selbst, sondern leben auch ein Leben für die Gemeinde, denken nicht nur an ihre eigene, sondern auch an die Seligkeit Anderer. Wenn sie aus der einsamen Zelle ins Leben heraustreten, so lauten ihre vom tiefsten Ernst erfüllten Sittenpredigten erweckend und reinigend für ein Bewußtseyn, das in eine geistlose Aeußerlichkeit versunken ist. Bisweilen steigen sie herab zu den Verhältnissen des wirklichen Lebens, gewöhnlich aber ist es die reine Tugend und das Ideal des höchsten Guts, welches sie vom Berge der Betrachtung der unten stehenden Gemeinde vorhalten. Das selige Leben, welches sie beschreiben, ist das klösterliche Ideal, die Abgeschiedenheit von der Eitelkeit der Creatur.[S. 111] Eben diese Abstraction aber ist reinigend für das kraß katholische Bewußtseyn der Gemeinde. Es stellt sich uns hier die Frage, inwiefern die Mystiker unter die Vorläufer der Reformation zu stellen sind. Solche Gedanken, daß die Tugend, wenn sie nach dem Wirken genommen werde, creatürlich sey und gebrechlich, göttlich aber nach der Meinung, daß Gott den reinen Willen annehme anstatt des Werkes, mußten nothwendig dazu beitragen die protestantische Lehre vom Glauben vorzubereiten. Der Idealismus des Willens, der sich so kräftig in ihren Predigten ausspricht, mußte auf das Bewußtseyn des Volks, welches in halbmythologischen Vorstellungen gefangen war, die Begriffe des Guten und Bösen auf äußerliche, factische Weise auffaßte und sich Belohnung und Strafe als sinnliche Objecte ausmalte, einen befreienden und reinigenden Einfluß ausüben. Eckart besonders verkündigt auf erhabene Weise den Idealismus des Willens, die innere Unabhängigkeit des freien Geistes. »Wenn Einer hundert Mark Gold durch Gott gäbe, es wäre ein großes Werk, aber ich sprich, hab ich nur einen ächten wahrhaften Willen die hundert Mark zu geben, so habe ich Gott bezahlt und er soll mir antworten, als hätte ich ihm die hundert Mark bezahlt. Ich sprich mehr: hätte ich einen Willen Gott eine ganze Welt zu geben, so soll er mir antworten, als hätte ich ihm eine ganze Welt bezahlt. Und würde der Papst mit meiner Hand erschlagen, und wäre es mit meinem Willen nicht geschehen, ich würde nicht desto minder zum Altar gehen und Messe lesen.« (fol. 251). Solche Reden mußten dazu beitragen ein Bewußtseyn zu emancipiren, welches von der Vorstellung des opus operatum, des Ablasses, des kirchlichen Schatzes von guten Werken beschränkt war und vor einem sinnlichen Fegfeuer und einer sinnlichen Hölle erzitterte. »Was brennt in der Hölle? Es ist nur der eigene Wille, der in der Hölle brennt.«
Wie die geistige Freiheit sich hier als ein christlicher Antinomismus ausspricht, der durch mehrere Züge an die lutherische Beschreibung von »der Freiheit eines Christenmenschen« erinnert, so ist sie auch verwandt mit der Gemüthlichkeit und seelenvollen Innigkeit, die sich in der protestantischen, besonders in der lutherischen[S. 112] Kirche in so reichem Maaße entfaltete. Die Religion ist das persönliche Innewerden Gottes, ein jeder Gedanke ist erbaulich, denn das Denken ist mit dem Seyn der Persönlichkeit verschmolzen. Ein herrliches Zeugniß von diesem reichen Gemüthe ist uns aufbewahrt in der Lebensbeschreibung Tauler's, die sich in den meisten Ausgaben seiner Schriften befindet. Dieses Gedicht oder, wie Tieck es nennt, diese theologische Novelle enthält die innere Geschichte Tauler's und erzählt, wie der hochgelehrte Doctor Tauler, der wegen seiner großen Predigtkunst weitberühmt war, in Straßburg von einem armen Laien bekehrt wurde; wie dieser Mann durch seine einfältige, aber vom Geiste Gottes eingegebene Rede ihn überwies, daß er, obgleich er sich dünkte ein christlicher Prediger zu seyn, doch nur ein Pharisäus sey, da er den Buchstaben wohl möchte erkennen, aber die Süßigkeit des heiligen Geistes noch nicht geschmeckt hätte, dieweil er sich verließ auf seine sinnreiche Meisterschaft und nicht die Ehre Gottes, sondern nur sich selbst suchte und meinte; und wie nun der hochgelehrte Doctor durch viele schwere Anfechtungen innerlich und große Verschmähung und Verspottung äußerlich zu einer gründlichen Demuth gelangte, und von nun an in christlicher Einfalt predigte, dieweil er nicht mehr war im Buchstaben, sondern in sich hatte die Schrift. Daß der Laie in dieser Erzählung den Geistlichen zurechtweiset, ist ein Zeichen, daß der äußere Unterschied der clerici und laici nicht mehr gilt. Es regt sich hier das Princip der Subjectivität und das Gemüth macht seine Rechte geltend, indem es der christlichen Verkündigung keinen Werth zulegen will, wenn nicht die Persönlichkeit selbst von der Wahrheit ergriffen ist. Die Verkündigung des Worts von einer von der Sache tief bewegten und gleichsam imprägnirten Persönlichkeit gehört zu den schönsten Vorzügen der Mystik. Bedenkt man, daß diese Predigten in der neu erwachenden Muttersprache gehalten wurden, in deren ebenso tiefsinniger wie schlichter Ausdrucksweise das Volksbewußtseyn sich heimisch fühlen und geistig erstarken konnte, so wird es begreiflich, daß sie große Wirkung hervorbringen mußten und in vielen Beziehungen der Reformation den Weg bereiteten. Die unmittelbare religiöse Lebenswärme der Mystiker zeigt sich zugleich darin, daß sie das lebendige[S. 113] Wort hoch über das geschriebene stellen. »Ein Ding soll man wissen,« heißt es in der Vorrede zu Suso's Büchlein von der ewigen Weisheit, »als ungleich ist, der ein süßes Saitenspiel selber hört süßiglich erklingen gen dem, das man allein davon hört sprechen, also ungleich sind die Worte, die in der lauteren Gnade empfangen werden und aus einem lebendigen Herzen durch einen lebenden Mund ausfließen, gen denselben Worten, so sie auf das todte Pergament kommen, und sonderlich in deutscher Zunge; denn so erkalten sie und verbleichen wie die abgebrochenen Rosen. Darum soll ein fleißiger Mensch den Ausflüssen dieser süßen Lehre nacheilen, daß er sie lerne ansehen nach dem Ursprung, da sie in ihrer Lieblichkeit und wonniglicher Schönheit waren; und das wäre der Einfluß der gegenwärtigen Gnade, in dem sich todte Herzen erquicken möchten. Wer sie also anblicket, der mag kaum dieses überlesen, sein Herz muß inniglich bewegt werden, entweder zu inbrünstiger Minne oder zu neuem Lichte, oder Jammer nach Gott und Mißfallen der Sünde, oder aber zu etlicher geistlicher Begehrung, in der die Seele dann erneuert wird in Gnaden.«
Ist nun diese Freiheit und Innigkeit allerdings verwandt mit dem Geiste, welcher später die Reinigung und Wiedergeburt der Christenheit bewirkte, ist die Mystik allerdings als ein kräftiges Ferment für die Entwickelung des reformatorischen Princips anzusehen, so darf sie andererseits mit diesem keineswegs identificirt werden, weil ihr dogmatischer Kern ein qualitativ anderer ist als der der Reformation.
Wir können dieses an dem Begriffe der unio mystica, der ein wichtiges Moment in der protestantischen Heilsordnung bildet und besonders von lutherischen Theologen mit großer Vorliebe entwickelt ist, kürzlich erläutern. Die verschiedene Fassung dieses Begriffes stellt den inneren Gegensatz in ein helles Licht. Nicht darin liegt der Unterschied, daß die lutherische Theologie eine wesentliche, reelle und substantielle Identität Gottes und des Menschen läugnete. Die lutherische Theologie entwickelt ausführlich, daß es eine doppelte unio mystica gebe, eine allgemeine, deren alle Menschen, sowohl Gläubige wie Ungläubige,[S. 114] theilhaft sind, indem sie, wie die Vögel in der Luft, wie die Fische im Meer, so Alle in Gott leben und weben; eine specielle, deren nur die Gläubigen theilhaft sind. In dieser wird die Substanz der Gläubigen vereinigt mit der Substanz der Dreieinigkeit und der menschlichen Natur Christi[28]. Luther setzt die Identität des Menschen mit Christo so real, daß er sagt: Du sollst so mit Christo geeinigt werden, daß aus dir und ihm gleichsam eine Person werde, so daß du mit Zuversicht sagest: Ich bin Christus, das ist: Christi Gerechtigkeit, Sieg und Leben ist mein, und Christus wieder sage: Ich bin dieser Sünder, das ist: seine Sünden, Tod u. s. w. sind meine. Die Concordienformel verdammt ausdrücklich den Satz, daß nicht Gott selbst, sondern nur die Gaben Gottes in den Gläubigen seyen. (Damnant errorem — quod non deus ipse, sed dona dei duntaxat in credentibus habitent. Hase libr. symb. 698.) Also nicht darin besteht der Unterschied, daß die lutherische Dogmatik nur eine moralische und religiöse, keine wesentliche, substantielle Identität lehrete. Die lutherische unio mystica aber ist begründet in dem Centralgedanken der Reformation, nemlich in dem rechtfertigenden Glauben, von dessen Bedeutung die Mystik keine wahre Erkenntniß hat. Durch den rechtfertigenden Glauben wird der historische Christus angeeignet mittelst des Worts und der Sacramente, mittelst der Gemeinde, deren Haupt er ist. Daß aber dieser Glaube kein blos historischer, keine nur moralische oder religiöse Ueberzeugung sey, sondern daß sie das Wesen ihres Gegenstandes wahrhaft in sich habe, oder daß dieser Glaube der reale Identitätspunct sey, in welchem Gott und der sündhafte Mensch wahrhaft zusammenkommen, dieses wird ausgedrückt durch die unio mystica. Das Wesen Christi, wovon bei den Mystikern so oft die Rede ist, ist also in der lutherischen unio mystica enthalten, diese aber ist unzertrennlich vom Glauben an die objective, historische Versöhnung Christi, und existirt nur als Bestimmung in dieser. Indem die lutherische Theologie die unio mystica in dies unauflösliche[S. 115] Verhältniß zur fides iustificans setzt, hat sie im Princip jede einseitige pantheistische Einheit Gottes und des Menschen ausgeschlossen, denn die mystische Einheit mit Christus setzt seine historische Wirklichkeit als die objective Gerechtigkeit des sündhaften Menschen voraus. Der mystischen Heilsordnung aber fehlt der wahrhafte Anfang des rechtfertigenden Glaubens. Es ist bei den Mystikern nur von der Tugend, der geistlichen Armuth, dem christförmigen Leben und von der Vergottung die Rede; es wird unmittelbar zur unio mystica geschritten, während diese in der lutherischen Kirche nur ins Daseyn treten kann »mediante fide, verbo evangelii et sacramentorum usu accensa.« Eine nähere Betrachtung dieses Gegensatzes zeigt, daß die Mystik, obgleich sie in gewisser Beziehung sich innerlich vom Katholicismus getrennt hat, doch in ihrer tiefsten Wurzel mit ihm zusammenhängt. Ein spiritualisirter Katholicismus ist noch nicht ächter Protestantismus. Es braucht hier nur angedeutet zu werden, daß der Unterschied des Katholicismus vom Protestantismus besonders in die verschiedene Bedeutung zu setzen ist, die den Begriffen der Rechtfertigung und der Heiligung beigelegt wird. Wird nemlich gefragt nach der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, oder wie der endliche, sündhafte Mensch Gegenstand des Anerkennens und der Liebe Gottes werden könne, so ist es die Antwort der evangelischen Kirche, daß er dieses nicht durch sich selbst, auch nicht durch das reinste Streben, das immer nur ein Relatives, ein Stückwerk ist, behaftet mit Mängeln und Beschränkungen, sondern allein durch den Glauben vermöge. Denn im Glauben wird Christus angeeignet und Gott sieht dann nicht den Menschen in seiner nackten, sündhaften Endlichkeit, auch nicht in seiner — immer nur relativen — Tugend und Heiligkeit, sondern allein in Christo, dem restituirten Adam, in dem die urbildliche Gerechtigkeit der menschlichen Natur, wie diese im göttlichen Gedanken ist, objectiv verwirklicht ist. Der Gläubige weiß sich dann nicht gerecht, insofern er seine empirische Wirklichkeit anschaut, sondern insofern er sein in Christo vollzogenes Ideal ergreift. Daß aber der Mensch durch den Glauben nicht nur verbal, sondern wesentlich[S. 116] in die Gerechtigkeit Christi aufgenommen wird, dieses ist enthalten in der unio mystica. Dasselbe ist enthalten in der Vorstellung von der Gemeinde als dem mystischen Leibe Christi, womit ausgesprochen ist, daß die Substanz Christi oder seine gottmenschliche Natur wesenhaft inwohnend sey in der Gemeinschaft der Gläubigen. Aus dieser seyenden Versöhnung entwickelt sich die Heiligung als die werdende, als die successive, empirische Verwirklichung der Versöhnung im christlichen Leben. Im durchgreifenden Gegensatze zum Protestantismus ist der Katholicismus durchsäuert von der subjectiven, pelagianischen Ansicht, die mit Hintanstellung der Gerechtigkeit Christi die Versöhnung successiv durch die moralische Anstrengung des Menschen, durch zunehmendes Fortschreiten in Tugend und Heiligkeit bewerkstelligen läßt. In diesem Cardinalpuncte hat die Mystik nur den Katholicismus sublimiren, nicht aber überwinden können. Allerdings vernichtet sie die äußerliche Werkheiligkeit des Katholicismus und entwickelt eine geistige Ethik. Aber das Ethische, die Heiligung ist Alles in Einem, und die unio mystica erscheint nur als Resultat des menschlichen Ringens nach dem höchsten Gut. Das Unbefriedigende einer stückweisen, approximativen Versöhnung, die ebensosehr keine Versöhnung ist, wird von der Mystik selbst anerkannt, indem sie, um dem Dualismus der Approximation ein Ende zu machen, die Individualität zum Versöhnungsopfer bringt und vom Pelagianismus in den Pantheismus und Nihilismus übergeht. Diese Mängel entspringen daraus, daß das Subject selbst die Versöhnung hervorbringen will, anstatt sich die seyende, in der Geschichte vollzogene Versöhnung im Glauben anzueignen. Der rechtfertigende Glaube ruht am Felsen der Objectivität, die Mystik aber hat nur einen subjectiven Versöhnungsbegriff. Es ist bekannt, daß Luther in seiner Jugend mit großer Begeisterung die Schriften Tauler's und die deutsche Theologie studirte. Sicher hat dieses Studium einen reinigenden Einfluß auf sein Bewußtseyn gehabt, und dazu beigetragen den Durchbruch der neuen Weltanschauung in ihm zu vermitteln. Aber wie Luther bei den Mystikern keinesweges seinen Offenbarungsbegriff gefunden hat, dessen Kern sich in den Worten aussprechen läßt, »es[S. 117] sey kurzum beschlossen, daß außer Christo Gott unbekannt und ungefasset seyn wolle, weshalb man nicht forschen solle die unbegreifliche Majestät des verborgenen Gottes, sondern bleiben bei dem offenbaren Gotte, wie er sich gefasset habe im Wort:« ebenso wenig hat er bei den Mystikern seinen Versöhnungsbegriff, seine tiefe Lehre von der Zurechnung des Verdienstes Christi gefunden. Und ebenso wenig hat er bei ihnen seine Auffassung der Erbsünde gefunden; denn theils oscillirt die mystische Anschauung der Sünde zwischen der augustinischen Auffassung und der neoplatonischen, welche letztere die Sünde nur als Beraubung und Einschränkung begreift, theils ist die Reflexion auf das Individuum so überwiegend, daß es zu keinem gründlichen Nachdenken über die Sünde des Geschlechts kommt. Luther's universelle Anschauung der Sünde, die unauflösliche Einheit, in welche das Schuldbewußtseyn des Individuums mit dem Schuldbewußtseyn der Gattung ihm zusammenging, widerstreitet gänzlich dem atomistischen Hervortreten des Individuums in der Mönchsmoral. Wo das Individuum die Sünde des Geschlechts als die eigne annimmt, findet es auch nur sein Heil und seine Gerechtigkeit in der Mitte des Geschlechts. Seine Heiligung treibt es dann nicht als eine einsame Privatbeschäftigung, sondern als bestimmte Thätigkeit in der Gemeinde.
Eben durch ihre moralische Atomistik hängt die Mystik so genau zusammen mit dem Princip des Mittelalters und des Katholicismus. Gewöhnlich bezeichnet man das Mittelalter und den Katholicismus als das System der einseitigen Objectivität, als dasjenige System, das einen Absolutismus des Allgemeinen etablire. Allein diese Bestimmung ist einseitig, denn es liegt ebensosehr im Princip des Katholicismus das Einzelne in abstracter Selbstständigkeit hervortreten zu lassen. Der unaufgelöste Dualismus des Objectiven und des Subjectiven, des Allgemeinen und des Einzelnen, des Realismus und des Nominalismus ist der Begriff des Mittelalters. Die Anschauung der Kirche ist realistisch, denn nur das Katholische, das Allgemeine ist wirklich, die Selbstständigkeit der Individuen ist eine[S. 118] Nullität, sie sind so zu sagen nur Exemplare, denen die alleinseligmachende Kirche das Gepräge seiner Einheit und Allgemeinheit aufdrückt. Es ist die Kirche, in welcher Alle leben, weben und sind; es ist die Kirche, die in den Individuen weiß und will; sie ist es, die Alles wirkt in Allen als in den Gefäßen ihrer Herrlichkeit. Parallel mit dieser Anschauung aber — und ohne daß der Widerspruch bemerkt würde — geht die nominalistische, pelagianische Ansicht von der Selbstständigkeit, von dem freien Willen und der persönlichen Tüchtigkeit des Individuums. Im Ethischen zeigt dieses sich so, daß außerhalb des Reiches der allgemeinen Sittlichkeit ein Reich von subjectiven Idealen sich aufschließt, deren Erreichung eine specielle, für sich bestehende Aufgabe ist, die ohne Vermittelung mit dem Allgemeinen nebenbei ausgeführt wird. Das eine Individuum sucht das andere zu überbieten, nicht in substantieller Pflichterfüllung, sondern darin, daß es sich selbst eine exclusive, persönliche Vortrefflichkeit, Ehre und Seligkeit erwerbe, damit es sich über das Allgemeine erheben könne. Da das Subject sich diese ausschließliche Vortrefflichkeit nicht innerhalb des Gemeindelebens erwerben kann, so zieht es auf Abenteuer aus nach guten Werken. Das Ritterwesen und das Mönchswesen sind die hervorragendsten Phänomene dieser moralischen Atomistik, dieser Losreißung des Moments der Discretion von dem der Continuität. Und so gehört auch die Mystik in diese Kategorie, indem sie die absolute Abhängigkeit von der Kirche und dennoch ohne alle Vermittelung die atomistische Freiheit und Autarkie des Individuums ponirt. In dieser Antinomie trägt sie den character indelebilis des Katholicismus. Das Princip der Reformation aber ist die Versöhnung des Allgemeinen und des Einzelnen, der Gemeinde und des Individuums.
Nach der Reformation zeigt sich in der evangelischen Kirche eine mit der Mystik verwandte Richtung. Es war natürlich, daß sie in der lutherischen Kirche hervortrat, weil diese von allen christlichen Confessionen am tiefsten von der wirklichen Gegenwart des Göttlichen im Menschlichen durchdrungen ist. Das[S. 119] religiöse Leben war in Gefahr in Sectenwesen zu Grunde zu gehen; die Theologie war geistlos geworden und in eine unfruchtbare Scholastik ausgeartet. Da trat jene Richtung hervor als ein kräftiges geistiges Ferment. Jacob Böhme, ihr vornehmster Repräsentant, lebte zu einer Zeit, als die schlechte, sectenhafte Polemik auf Kanzeln und Kathedern polterte und sich der Lesewelt in dicken Bänden und einer zahllosen Masse von Flugschriften mittheilte. Die religiöse Controverse fand in jenen Zeiten dieselbe allgemeine Theilnahme, wie die politische in unseren Tagen. Die Politik selbst stand im Dienste der Dogmatik und die theologischen Streitigkeiten, die mit dem Worte und der Feder geführt wurden, sollten nun auch mit dem Schwerte durchgekämpft werden im dreißigjährigen Kriege. Inmitten dieser Verwirrung erkennt der einfältige Laie, daß ein wahrer Christ Nichts mit Secten zu schaffen habe. Er kann gern mitten unter Secten wohnen, auch in ihrem Gottesdienst erscheinen und hängt doch keiner Secte an. In dem theologischen Babel ist eitel Schulgezänk, Gezänk um selbstgemachte Meinungen und um den todten Buchstaben; die Schulgelehrten sehen die Religion nur an als eine Historie, die einmal gewesen ist, aber der Geist Gottes ist nicht im historischen Buchstabenkram. Ein wahrer Christ hat nur eine einzige Wissenschaft, die ist Christus in ihm, und das wahre Wissen ist die Offenbarung des Geistes Gottes durch die ewige Weisheit, die himmlische Idea. Als Böhme zum erstenmale den Namen der Idee hörte, rief er entzückt aus: Ich sehe eine himmlische Jungfrau! Diese hat sich vermählt mit seiner Seele und in seinem Geiste bricht eine jugendliche Morgenröthe hervor, eine himmlische Aurora, in welcher alle Mysterien offenbar werden. Er zeugt von sich selbst: Nicht Ich weiß und verstehe diese hohen Geheimnisse; der Geist Gottes weiß in mir und forschet die Tiefen der Gottheit! — So sehen wir wieder die Contemplation als dasjenige, was in einer stürmisch bewegten Zeit dem Geiste Friede und Versöhnung schenkt. Während Alles außer ihm von einem verlornen Paradiese zeugt, ist das Paradies mit allen Wundern aufgegangen in ihm.
[S. 120]
Es gehört nicht hieher die Lehre Böhme's und ihr Verhältniß zur lutherischen Kirche ausführlich darzustellen. Hier beschränken wir uns darauf ihr Verhältniß zur Mystik des Mittelalters näher anzugeben. Die Uebereinstimmung wird oft auf eine solche Weise hervorgehoben, daß darüber der Unterschied ignorirt wird. Die Contemplation Böhme's konnte nur auf dem Boden des Protestantismus entstehen und ist vom Princip der Reformation geschwängert. Es ist öfter bemerkt worden, daß die Reformation erst den Sinn des Menschen für das Universum aufschloß, während der mittelalterliche Geist in der einseitigen Richtung gen Himmel magnetisch gefesselt war. Himmel und Erde, die in der Anschauung des Mittelalters dualistische Gegensätze sind, wurden durch die Reformation versöhnt. Die allseitige Richtung der Reformation wiederholt sich auch in Böhme, denn das ganze Universum, Natur und Geschichte, ist Inhalt seiner Contemplation. Die einseitige, asketische Selbstbeschäftigung der Seele, die alles Andere in der Welt über ihre eigene Reinigung vergißt, ist verschwunden. Eine objective Anschauung der Idee in allen ihren kosmischen Gestalten macht bei Böhme das Hauptinteresse aus; in der großen Welthistorie ist das einzelne Subject nur ein Fünklein. Böhme's naturphilosophischer Vorgänger, der weltberühmte Medicus Theophrastus Paracelsus, ist, obgleich seiner Confession nach Katholik, doch von demselben neuen Geiste der Reformation getrieben, indem er die Natur beim Lichte der Religion durchforschen will. Er hat gefunden, daß der Mensch Mikrokosmus sey, das ist eine Quintessenz und ein Auszug aus dem ganzen Weltall. Deswegen vermag der Mensch die Geheimnisse der Natur zu erforschen, denn aller Verstand, der in der ganzen Natur, in den vier Elementen, in Sternen, in Pflanzen und Thieren verbreitet ist, liegt eingewickelt im Menschen, und darum kann Nichts ihm verborgen bleiben, wenn Gott ihn erwecken will. Paracelsus gründet eine speculative Medicin und setzt als die vier Grundpfeiler Physik, Astronomie, Alchymie und Theologie; das ganze Gebäude aber ist gegründet auf Christo, dem Eckstein. Diese Naturphilosophie wird aufgenommen in die Geistesphilosophie Böhme's. Hier ist[S. 121] kein asketisches Losreißen vom Weltbewußtseyn, sondern eine Versöhnung des ganzen Weltbewußtseyns mit dem Gottesbewußtseyn, ein Schauen aller Dinge in Gott; keine Entrückung von der Welt, sondern ein seliges Eingerücktseyn in die Tiefe des Weltcentrums. Böhme weiß, daß Gott Geist, daß die Dreieinigkeit seine Geburt und ewiger Lebenslauf sey. Doch läßt er sich hieran nicht genügen, sondern er will alles Erschaffene im Bilde und Gleichnisse der Dreieinigkeit erkennen. Er schaut ihren Abglanz in allen Creaturen, selbst in Gras und Steinen, aber vor Allem im Gemüthe des Menschen. Er versinkt in Nachsinnen über die Menschwerdung Gottes und das Geheimniß der Versöhnung. Wie die Mystiker erkennt er, daß es die Ichheit sey, die den Menschen von Gott trennt; aber er faßt die Ichheit von ihrer universellen, kosmischen Seite, und spricht seine Schauung aus als eine Darstellung des Abfalls Lucifer's und seines Kampfes wider Gott. Die Entwickelung dieses Kampfes, der werdende Sieg des Lichtes über die Finsterniß, ist die Weltgeschichte. Dieser universelle und objective Charakter der Böhme'schen Contemplation wird durch die Benennung der Theosophie bezeichnet, eine Benennung, welche die differentia specifica von der Mystik des Mittelalters gut ausdrückt. Wir haben früher erwähnt, daß das Princip der Mystik sich in neuerer Zeit in Fichte's subjectiv-praktischem Idealismus wiederholte, besonders in seiner, vom Christenthume begeisteten, Anweisung zum seligen Leben. Die Theosophie hat ihre moderne Wiederholung in Schelling gefunden, namentlich in seiner berühmten Abhandlung über die Freiheit des menschlichen Willens. Auch Baader's tiefsinnige Gedanken »aus dem großen Zusammenhange des Lebens« sind theosophischer Natur.
Die Trennung des Mysteriums und der Offenbarung ist in der Theosophie Böhme's aufgehoben. Die neoplatonische Ansicht der Endlichkeit ist ganz verschwunden; das Negative tritt auf in seiner vollen Kraft, die Endlichkeit wird in ihre christlichen Rechte eingesetzt. Böhme bleibt sich selbst gleich in der Anschauung, daß Gott nicht im Urgrunde bleiben könne, sondern daß sein Wesen Wille sey, sein Wille aber nur der Wille zur[S. 122] Offenbarung, damit er faßlich und begreiflich werde. Hieraus entwickelt er die Dreieinigkeit, die Schöpfung und die Menschwerdung Gottes. Die Heiligkeit und Liebe würden nicht offenbar seyn, wäre nicht ein Negatives, der Heiligkeit Entgegengesetztes, der Liebe und Gnade Bedürftiges. Dieses negative Princip ist das endliche Ich, das als die Pein und die Qual des Lebens und zugleich als die Quelle der Seligkeit aufgefaßt wird. Vorbereitende Andeutungen für die Erkenntniß des Negativen finden sich allerdings schon bei den Mystikern, besonders in der deutschen Theologie; aber Böhme hält durchgängig den Gedanken fest, daß alle Dinge im Ja und im Nein stehen, und daß die Vermittelung der Streitenden das Wirkliche, das Leben und der Geist selber sey. Dem theosophischen Schauen fehlt also nicht der Gedanke der Vermittelung überhaupt, wohl aber dessen begriffliche Entwickelung und Durchführung.
Der Vorzug der Theosophie vor der Mystik entspringt daraus, daß die mystische Einheit der Religion und Philosophie subjectiv-praktisch, die theosophische objectiv-theoretisch ist. Die Idee hat sich losgearbeitet vom unmittelbaren Zusammenhange mit dem atomistischen Ich und hat wirkliche Gegenständlichkeit gewonnen, wodurch die Anschauung zu ihrem Rechte kommt. Die Anschauung will Alles in Gestalt fassen, sie läßt sich nicht am Mysterium genügen, sondern fordert Offenbarung. Allein die theosophische Anschauung ist doch nur unmittelbare Einheit der Religion und Philosophie. Wenn auch Alles sich als Offenbarung gestaltet, so kommt es doch zu keiner philosophischen Entwickelung der Idee, sondern die Darstellung gestaltet sich nur als eine philosophische Apokalypse, und da der philosophische Gedanke sich nie von der religiösen Anschauung sondert, wodurch alle verständige und kritische Reflexion unmöglich wird, so bleibt es bei dieser Vermischung fortwährend unbestimmt, ob die Gestalten der Anschauung innere oder äußere seyen. Das verständige historische Bewußtseyn von den Thatsachen der christlichen Religion verschwindet, die äußere Bibel wird mit der inneren confundirt, und man weiß nicht, ob die biblischen Namen (wie z. B. Adam und Christus) nur allgemeine Ideen symbolisiren,[S. 123] oder ob sie historische Personen bezeichnen. So hängt die Theosophie mit der Mystik zusammen, aber wegen ihres überwiegend theoretischen Charakters thut man gewiß recht nach dem Vorgange Baur's sie in die Reihe der eigentlich gnostischen Systeme zu stellen. Die Betrachtung der Mystik und der Theosophie lehrt uns die große Bedeutung der kritischen Reflexion in der Religionswissenschaft anzuerkennen, als eine, wenn auch nur negative, Bedingung der wahren Vermittelung von Religion und Philosophie. Ein jeder Versuch, der in neuerer Zeit gemacht wurde um diese mit Umgehung der Kritik und der Reflexion zu versöhnen, enthielt immer ein partielles Zurücksinken auf den Standpunct der Mystik und der Theosophie, wie dies besonders von Schelling und seiner Schule gesagt werden muß.
[S. 124]
Um die Vorstellung vom Vortrage Eckart's zu vervollständigen, wird hier eine seiner Predigten abgedruckt. Sie findet sich in der Baseler Ausgabe 1521, fol. 301.[29]
Vff sant Johans enthauptung, ein vast subtil vnd hoch verstendige predig, anzeigende grossen underscheid vnder schöpffen und machen, got vnd gotheit, deß innern menschen und des eussern. Item wie gott sich selber liebhat, vnd schmacket, vnd hierinn auch alle creaturen. Anfengklich gesetzt vff die wort Christi Matthei X. Nolite timere eos qui corpus occidunt, animam autem occidere non possunt. Nit förchtent die euch tödten wöllent etc. Waß blutt vnd fleisch dem menschen guts oder böses bringen mög, wenn es wol oder übel will.
Nit förchtent die euch tödten wöllent an dem leyb, die sel mögen sy nit tödten. Wann geist tödt nit geist. Geist gibt dem geist leben. Die euch tödten wöllent, das ist blut vnd fleisch.
Das da ist fleisch vnd blut, das stirbet mit einander. Das edelst das an dem menschen ist, das ist blut wenn es wol wil. Aber es ist auch das ergest an dem menschen so es übel wil. Gesiget aber das blut dem fleisch an, so ist der mensch demütig, gedultig vnd keusch, vnd hat alle tugent an im. Gesiget aber das fleisch dem blut an, so wirt der mensch hoffartig vnd zornig vnd unkeusch, vnd hat alle vntugent an im. Hie ist gelobt mein herr sant Johanß, der vmb der warheit willen enthaubt ward (als wir heut begeend). Ich kan jn nit mer loben, gott hat jn mer gelobt. || Nun bitt ich euch das ir eben vernemet, wann ich wil sprechen, das ich nye gesprach. Do got geschuff hymel vnd erden[S. 125] vnd alle creaturen, do würckte gott nit, er hat nit zu würcken, in im was auch kein werck. Do sprach gott: Wir sollen machen einen gleichen, das ist einen menschen der vns gleych sey. Schöpffen, das ist ein leicht ding, das thut man, wenn man wil vnd wie man wil. Aber das ich mach, das mach ich selb, vnd mit mir selber, vnd in mir selber, vnd truck mein bild zumal daryn. Wir machen (spricht got) einen gleychen, nit du vatter, noch du sun, noch du heiliger geist. Wir in dem ratt der heiligen Tryualtigkeit, wir machent einen gleichen. || Do gott den menschen gemachet, do würckt er in der sel sein gleich werck vnd sein würck werck vnd sein yemmer werendes werck. Das werck was so groß das es anders nicht was, denn die seel, vnd die seel was anders nit dann das werck gottes. Gottes natur vnd sein wesen vnd sein gotheit die hangent daran, das er muß würcken in der seel, (Gott segen, gott segen) da gott würcket in der seel, da liebet er sein werck. Wo ist nun die seel, da gott sein werck inn würcket? Das werck ist so groß das es anders nit ist dann die liebe, vnd die liebe ist anders nit dann gott. Gott der liebet sich selber vnd sein natur vnd sein wesen vnd sein gottheit. In der liebe, da sich gott inn liebet, da inn liebhat er auch alle creaturen. Mit der liebe, da sich gott inn liebet, da liebhat er auch alle creaturen, nit als creaturen sonder creaturen als gott. In der liebe da sich gott inn liebhat, da liebhat er alle ding (Gott segen, gott segen). Nun bit ich euch, das ihr vernement Ich wil sprechen, das ich nye me gesprach. Gott schmackt im selber, vnd in dem schmack, da sich gott inn schmacket, da inn schmacket er alle creaturen. Mit dem schmack da sich gott inn schmacket, da schmacket er alle creaturen nit als creaturen, creaturen als got. In dem schmack da sich got inn schmacket da schmacket er alle ding.
Nun merckent: Alle creaturen haben iren lauff vff ir höchste volkommenheit. Nun bitt ich euch das ir vernement (Bey der ewigen warheit vnd bei yemmerwerender warheit vnd bey meiner sel) ich wil sprechen das ich nye me gesprach. Gott vnd gotheit hat vnderscheid als verr, als himel vnd erde. Ich sprich me Der inner mensch vnd der eusser mensch die habent als verr vnterscheid als hymel vnd erd. Got der hat vil tausent mal meilen darob. Gott der wirt vnd entwirt. Nun komm ich wider vff mein red. Gott schmacket im selber an allen dingen. Die sonn wirfft auß iren liechten scheyn vff alle creaturen, vnd da die sonn iren scheyn vffwürfft, das zeucht sy in sich, vnd verleurt doch nit ir scheinlikeit. Alle creaturen[S. 126] verzeihent sich irs lebens vff ir wesen. Alle creaturen die tragent sich in mein vernunfft, das sy in mir vernünfftig seyent. Ich allein bereytt alle creaturen wider in Gott. || (Wartent was ir alle thunt.) Nun komm ich wider vff mein innern menschen vnd vff mein eussern menschen. Ich sich offt die gylgen vff dem velde vnd iren liechten scheyn an ir farb vnd an alle ir bletter, aber ir schwelge der sihe im nit. Warumb? Da ist der schwelg in mir, aber das ich sprich das ist in mir, vnd ich sprich es auß mir. Alle creaturen die schmacken meinen eussern menschen als creaturen, wein als wein, brot als brot, wein vnd fleisch etc. Aber mein inner mensch schmacket nit als creaturen, mer als gaben gottes. Aber mein innerster mensch, der schmacket nit als gaben gottes, dann als ye vnd yemmer. || Ich nimm ein beckin mit wasser vnd leg daryn ein spiegel, vnd setz es vnder das rad der sonnen, so würfft die sonn auß iren liechten scheyn auß dem rad vnd aus dem boden der sonnen, vnd vergeet doch nit. Das widerspilen deß spiegels in der sonnen, das ist in der sonnen sonn, vnd sy ist doch das sy ist. Also ist es vmb gott. Gott ist in der sel mit seiner natur vnd mit seinem wesen vnd mit seiner gottheit, vnd er ist doch nit die sel. Das widerspilen der seel das ist in gott gott, vnd sy ist doch das sy ist. Gott der wirt da alle creaturen Gottes sprechen, da wirdt Gott. || Do ich stund in dem grund der gottheit vnd in dem boden der gottheit vnd in dem refier der gottheit vnd in dem quell der gottheit, do fragte mich niemant was ich wolt oder was ich thet, do was da niemant der mich fragte. Do ich floß, do sprachent alle creaturen got. Fragte man mich Bruder Eckart, wannen giengen ir ausserm hauß, da was ich da inn. Also sprechent alle creaturen von gott. Vnd warumb sprechent sy nit von der gottheit? Alles das in der gottheit ist, das ist ein, vnd dauon ist nit zu sprechen. Gott der würcket der gotheit nit. Sy hat auch nit zu würckende, in ir ist auch kein werck. Gott vnd gottheit hat vnderscheid an würcken vnd an nit würcken, sy geluget nye vff kein werck. Wenn ich komm wider in got, bild ich da nit, so ist mein durchbrechen vil edler denn mein außfluß. Ich allein, ich bring alle creaturen auß ir vernunfft in mein vernunfft, das sy in mir ein seind. Wenn ich komm in den grund der gottheit vnd in den boden der gottheit vnd in das refier der gotheit, vnd in den quall der gottheit, so fraget mich niemant, wannen ich komm, oder wo ich sey gewesen, da vermisset mein niemant, das entwürt.
[S. 127]
Wer dise predig hat verstanden, dem gönn ichs wol. Wer hie niemant gewesen ich müßt sy disem stock geprediget haben. Es seind etlich arm leüt, die kerent wider heim vnd sprechen: Ich wil sitzen vff ein statt vnd wil essen mein brot vnd dienen gott. Ich sprich bey der ewigen warheit, das die leüt verirret müssent bleiben, noch nyemmer eruolgen noh erkriegen, das die andern eruolgen die gott nachuolgent in armut vnd in elendigkeit. Das wir diß erlangen, deß helff vns got, Amen.
Im Verlag von Friedrich Perthes ist neu erschienen:
Helfferich, die Geschichte der christlichen Mystik in ihrer Entwickelung und in ihren Denkmalen. 2 Thle. 5 Thlr.
Johannes Tauler von Straßburg. Beitrag zur Geschichte der Mystik und des religiösen Lebens im 14. Jahrhundert, von Carl Schmidt, Professor in Straßburg. 1-1/2 Thlr.
Unter den bedeutenden Namen, sagt in seiner Vorrede der Verfasser, welche aus dem Mittelalter auf uns herübergekommen sind, ist der Name Johannes Tauler's einer der bekanntesten und geachtetsten. Seit fünf Jahrhunderten haben die Schriften dieses Lehrers Tausenden von Menschen Trost und Erbauung verschafft; sein Leben aber war bisher wenig bekannt, und dieß Wenige selbst war zum Theil unsicher und zweifelhaft. Der Verfasser, der sich schon längst mit der mystischen Theologie des Mittelalters beschäftigt, gibt nun hier eine, großentheils aus ungedruckten und bisher unbenutzten Quellen geschöpfte Darstellung von Tauler's Leben und Lehre. Als Anhang folgt eine Abhandlung über den noch so wenig bekannten und doch so merkwürdigen Verein der Gottesfreunde, die der Verfasser in kirchliche und häretische unterscheidet. Auch die Beilagen werden manchem Leser willkommen seyn; es sind Documente zur Geschichte des religiösen Volksgeistes im vierzehnten Jahrhundert. Durch die Art, wie der Verfasser seinen Stoff behandelt hat, wird sein Buch nicht bloß für den Geschichtsforscher und den Theologen, sondern auch für den Laien Interesse haben.
Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, geschildert von C. Ullmann.
1. Theil: Johann von Goch und Johann von Wesel nebst reformatorischen Männern ihrer Umgebung.
2. Theil: Johann Wessel.
Dieses Werk, veranlaßt durch das Bedürfniß einer neuen Auflage der Monographie des Verfassers über Johann Wessel, den Vorgänger Luther's, ist jetzt zu einer umfassenden Darstellung der verwandten reformatorischen Männer im 14. und 15. Jahrhundert geworden. Es beschäftigt sich vorzugsweise mit den minder bekannten, aber zum Theil in ihrem Denken und Wirken höchst gewichtigen Vorläufern der Reformation und zwar ausschließlich in Deutschland und den Niederlanden, verliert aber dabei auch das Ganze dieser großen Vorbereitungszeit nie aus dem Auge und sucht aus den geistigen Elementen derselben die Reformation sowohl zu erklären als zu rechtfertigen. »Der Stoff des ganzen Werkes — mit diesen Worten spricht sich der Verfasser selbst in der Vorrede aus — vertheilt sich so, daß im ersten Bande vorzugsweise vom Bedürfniß der Reformation mit Beziehung auf die herrschenden Verderbnisse gehandelt wird, im zweiten von den positiven Vorbereitungen und Ansätzen zur Reformation. Und zwar besteht jeder Band wieder aus zwei Büchern, deren jedes einen oder mehrere repräsentative Männer zum Mittelpunkte hat; im ersten Buche zeigt uns Johann von Goch die Nothwendigkeit der Reformation in Beziehung auf den innern Gesammtgeist der Kirche, im zweiten Johann von Wesel und einige seinem Kreise angehörigen Männer in Betreff der besondern kirchlichen Verderbnisse; das dritte Buch macht in den Brüdern vom gemeinsamen Leben, sowie in den nieder- und oberdeutschen Mystikern das praktische und populäre Hinwirken auf die Reformation anschaulich, und das vierte stellt in Joh. Wessel die ausgebildetste reformatorische Theologie vor der Reformation dar. Ich habe mit Goch begonnen, weil es sich bei ihm besonders um die Beurtheilung des innersten Geistes und Wesens der Kirche im Ganzen handelt; als eine in sich concentrirte, ruhige Natur lebt Goch vorzugsweise in der Betrachtung und gibt wenig Stoff für die äußere Kirchengeschichte; dafür möge dann das Interesse, das er für die Ausbildung der reformatorischen Gedanken und Principien hat, entschädigen; Wesel dagegen führt schon mitten ins kirchliche Leben hinein, und bei ihm haben wir auch noch mehrere andere Männer zur Schilderung gebracht, die sich wacker in der Kirche durchgekämpft haben; zugleich kommt hier Manches zur Geschichte der Universitäten und des theologischen Studiums in damaliger Zeit vor, was für die genauere Kenntniß jener Uebergangsperiode nicht unwichtig ist; auch wird man, wie ich hoffe, den in einer Zugabe zum ersten Bande enthaltenen Beitrag zur Aufhellung der Anfänge des Bauernkrieges nicht ohne Theilnahme lesen. Ein erhöhtes Interesse jedoch verspreche ich mir für den zweiten Band, theils wegen der reicheren Mannichfaltigkeit, theils wegen der größeren positiven Wichtigkeit der behandelten Personen und Gegenstände: die Brüder vom gemeinsamen Leben sind eine der liebenswürdigsten Erscheinungen in der Geschichte des geistigen Lebens. Gerhard Groot und Thomas von Kempen nehmen schon durch ihre Namen allgemeine Theilnahme in Anspruch, die deutschen Mystiker sind in ihrer Beziehung zur Reformation von hoher, bisher noch nicht zureichend gewürdigter Wichtigkeit, und Wessel's Theologie braucht man auch nur oberflächlich zu kennen, um ihn für den Vorgänger Luther's im eminenten Sinne zu halten. Schon aus diesem Ueberblick wird man ersehen, daß Vieles, was bisher wenig beachtet war, ins Licht gestellt, Anderes, was wenigstens in dieser Verbindung nicht betrachtet worden, zur Reformation in die gehörige Beziehung gebracht ist. Zugleich wird der Kirchenhistoriker vielfach neuen Stoff finden aus seltenen Druck- und Handschriften, die dem Verfasser zugänglich waren.
Die heilige Leidensgeschichte und die stille Woche von Christian Carl Josias Bunsen. Zwei Abtheilungen. Die Liturgie der stillen Woche mit Vorwort. 8. 1-1/4 Thlr.
Je mehr sich von verschiedenen Seiten das Bedürfniß einer organischen, auf festen Principien gegründeten Ausbildung des Cultus in der evangelischen Kirche geltend macht, desto dankenswerther ist jeder Versuch, diesem Bedürfnisse nicht bloß durch Darlegung rein subjectiver Anschauungen und Vorschläge, sondern auf dem Wege gründlich historisch-ästhetisch-theologischer Wissenschaft abzuhelfen. Der Verfasser vorgenannter Schrift, der schon durch manche schätzenswerthe Arbeiten den Ernst seiner Forschung, richtigen Tact und historischen Sinn in der Wissenschaft der Liturgie bewährt hat, legt uns hier den praktischen Versuch einer liturgischen Anleitung vor, zur würdigen Feier der heiligsten Zeit des Kirchenjahres, der stillen Woche, in die ja »der Wendepunkt der Weltgeschichte in ihrem höchsten Sinne als der Geschichte Gottes auf Erden« fällt.
Praktischer Commentar über den Jesaja mit exegetischen und kritischen Anmerkungen von F. W. C. Umbreit. 2 Theile. 2-1/4 Thlr.
Was der Verfasser in seinen früheren Commentaren, besonders über das Buch Hiob und die Sprüche Salomo's, für die Befriedigung der kritisch-wissenschaftlichen Anforderung, in seiner späteren »Uebersetzung und Erklärung auserlesener Psalmen« zur christlichen Erbauung aus dem alten Testamente in geschiedener Weise zu leisten gesucht, wird dem Leser in diesem angefangenen Werke über die Propheten des alten Bundes in einer praktischen Vereinigung geboten. Man hat den Verfasser öfters mit Herder zusammengestellt, und von einem poetischen Gesichtspunkte aus betrachtet, dürfte man gegenwärtige Schrift gar wohl als die längst gewünschte Fortsetzung von dem berühmten »Geiste der hebräischen Poesie« ansehen, aber der unparteiisch Prüfende wird dieselbe philologisch-kritisch gründlicher und dogmatisch-christlich bestimmter finden. Das Werk scheint einem lebhaft gefühlten Bedürfnisse der Zeit entgegenzukommen. Der praktische Theolog wird sich beim Gebrauche desselben auf wissenschaftlichem Boden erkennen, und der gelehrte Exeget von einem lebendig-religiösen Geiste ergriffen fühlen.
[S. 130]
Die heiligen Geschichten des Alten Testaments nach ihrem Geiste dargestellt, in welchem sie innerlich wollen erlebt seyn, zur Lehre und Erbauung für Lehrer, Eltern etc., von Chr. Fr. Georgi. 2 Thle. Hamburg und Gotha, Verlag von Friedrich und Andreas Perthes. 1-3/4 Thlr.
Christliche Apologetik. Von Dr. Carl Heinrich Sack. Zweite sehr umgearbeitete Ausgabe. 2 Thlr.
Diese nach mehr als zwölf Jahren seit der ersten erscheinende zweite Ausgabe behält die frühere Richtung des Buchs: Auffassung des Christenthums als der weder in Philosophie noch in Geschichte aufzulösenden wahren Religion durch Philosophie und Geschichte, bei. Die leitenden Begriffe werden in einem neu hinzugekommenen allgemeinen Theile begründet, in welchem die Religion als Idee, als Thatsache und als Vermittelung der Idee und Thatsache dargestellt wird. Die früheren fünf Grundbegriffe sind demgemäß unter drei zusammengefaßt, welche den drei Hauptabschnitten des besondern Theils vorstehen: Positivität, Heil und Vollendung. Unter diesem letztern Abschnitte sind die Begriffe Gemeine und heil. Schrift mit dem zu ihnen gehörigen Stoffe behandelt. Ueber zwei Drittheile des Buchs sind mit Rücksicht auf neuere Entwickelungen und Einwürfe neu ausgearbeitet.
A. Neander, Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel. 2 Theile. Dritte vermehrte Auflage. 3-5/6 Thlr.
A. Tholuck, Predigten über die Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens. Zweite unveränderte Auflage. 2 Theile. 3-1/2 Thlr.
H. Ritter, Geschichte der christlichen Philosophie. 1. und 2. Theil. 5 Thlr.
Friedrich Hurter, Geschichte Papst Innocens III. und seiner Zeitgenossen. 4 Thle. 3-1/3 Thlr.
G. C. H. Stip, Beleuchtung der Gesangbuchsbesserung. 1. Abthl. 1-1/2 Thl.
C. Ullmann, über die Sündlosigkeit Jesu. 4. Aufl. 1 Thlr.
Theod. Schwarz, Sonntagsgespräche über christliche Erziehung. Ein Volksbuch. 1 Thlr.
[1] Suso's Leben und Schriften, herausgegeben von Diepenbrock. Mit einer Einleitung von J. Görres, Regensburg, 1837.
[2] Dieser Aufsatz findet sich in seiner Schrift: »Zur Geschichte der deutschen Litteratur.« Königsberg, 1836.
[3] Echard's und Quetif's Scriptores ordinis praedicatorum, Par. 1719. fol. T. I. pag. 507, und Carl Schmidt's Untersuchung über Eckart in Ullmann's und Umbreit's theologischen Studien und Kritiken 1839, 3tes Heft.
[4] Die wenigen an und für sich unbedeutenden biographischen Notizen können nachgesehen werden in der Einleitung zur neuen Frankfurter Ausgabe von Taulers Predigten (1826), in Diepenbrock's »Suso's Leben und Schriften« und in Engelhardt's »Richard von St. Victor und Johannes Ruysbroock.« (Erlangen, 1838.)
[5] Münscher's Dogmengeschichte. 3te Auflage. 2ter Hälfte 1ste Abth. 309.
[6] Gerson handelt hierüber ausführlich in seiner epistola ad fratrem Bartholomeum Carthusiensem.
[7] Gieseler, Kirchengesch. Bd. 2. Abth. 2. 3te Aufl. 409. Möhler's neue Untersuchungen der Lehrgegensätze zwischen den Katholiken und Protestanten, Excurs über Amalrich von Bena. pag. 435.
[8] Negabant resurrectionem corporum dicentes nihil esse Paradisum neque infernum, sed qui haberet cognitionem dei in se, quam ipsi habebant, habere in se Paradisum. Cäsar Haisterbach bei Möhler, neue Unters. 443.
[9] Gieseler, 627.
[10] Ebendas. 629.
[11] Die Bulle gegen Eckart findet sich ausführlich bei Raynaldus ad annum 1329; das Wichtigste ist von Gieseler und Schmidt mitgetheilt.
[12] Münscher, Gieseler, Hase.
[13] Er (Eckart) hat aller Wahrscheinlichkeit nach nur insgeheim der Secte angehört. Stud. u, Krit. 1839, 3s H. 667.
[14] Von diesen wollen wir nur Art. 26 ausheben: Omnes creaturae sunt unum purum nihil; non dico quod sint quid modicum vel aliquid, sed quod sint unum purum nihil; und Art. 21: pater generat me suum filium; quidquid deus operatur, hoc est unum, propter hoc generat me suum filium sine omni distinctione.
[15] Vielleicht finden sie sich auch in der Hamburger Ausgabe, 162(5)?
[16] Seine Schriften von Schmidt nah Trithemius angeführt. In Docen's Miscellanea zur Geschichte der deutschen Litteratur, München 1809. 1. B., findet sich von einem unbekannten Mystiker des 14ten Jahrh. ein Tractat über die mögliche und wirkliche Vernunft, der mehrere Citate von Eckart enthält. — Ueber die Schriften Taulers und Suso's vergleiche man die Einleitungen zu den angeführten Ausgaben.
[17] Armuth ist eine Gleichheit Gottes. Was ist Gott? Gott ist ein abgeschieden Wesen von allen Creaturen. Ein frei Vermögen. Ein lauter Würken. Also ist Armuth ein abgeschieden Wesen von allen Creaturen. Was ist abgeschieden? Das an Nichts haftet. Armuth haftet an Nichts und Nichts an ihm. Tauler's Nachfolge des armen Lebens Jesu Christi. 1.
[18] Hegel's Aesthetik. 1. B. 474. Tholuck's Blüthensammlungen zur orientalischen Mystik.
[19] So in seinem Werke von der himmlischen Hierarchie. Vgl. Engelhardt, die angeblichen Schriften des Areopagiten Dionysius.
[20] Bonaventura's itinerarium mentis, die Einleitung.
[21] Engelhardt, Johannes Ruysbroock, pag. 226.
[22] Diese Wendung findet sich häufig bei Tauler, besonders in seinen Weihnachtspredigten.
[23] Tauler Pr. 2. B. 73: Kinder, ihr sollt nicht nach großen, hohen Künsten fragen. Gehet einfältig in euern Grund inwendig und lernet euch selber im Geist und in Natur erkennen, und fragt nicht nach der Verborgenheit Gottes, von seinem Ausfließen und Einfließen von dem Icht in das Nicht, und dem Funken der Seele in der Istigkeit, denn Christus hat gesprochen: Euch ist nicht Noth zu wissen von der Heimlichkeit Gottes. Darum sollen wir einen wahren, ganzen, einfältigen Glauben halten.
[24] Man vergleiche das tadelnde Wort des Apostels Kol. 2, 19: »οὐ κρατῶν τὴν κεφαλήν, ἐξ οὗ πᾶν τὸ σῶμα.«
[25] Wie er beging den Maien, pag. 25.
[26] Diese Schilderung findet sich außer an anderen Stellen in der Frankfurter Ausgabe von Tauler 1720, als ein Anhang zur medulla animae. Aus inneren Gründen scheint sie Eckart anzugehören, welches auch von dem vorhergehenden Capitel gilt, welches etliche kurze Tischreden Eckart's enthält unter der Ueberschrift: Meister Eckart's Wirthschaft von wahrhafter Armuth des Geistes.
[27] Von etlichen Visionen pag. 15. Unter andern erschien ihm auch der selige Meister Eckart.
[28] Man vergleiche z. B. die Entwickelung bei Hollaz de gratia inhabitante.
[29] Proben vom ursprünglichen Styl Eckart's und Tauler's finden sich nach alten Handschriften in Wadernagel's altdeutschem Lesebuch. Basel 1836.